Infotainment unterhöhlt Glaubwürdigkeit
Auf dem Medientreffpunkt Mitteldeutschland diskutieren bis Mittwoch rund 1500 Experten aus Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aktuelle Entwicklungen in der Medienbranche.
Zu viel Infotainment in den Nachrichten beklagte Sachsen Ministerpräsident Georg Milbradt zur Eröffnung des "Medientreffpunkts Mitteldeutschland" am Montagnachmittag in Leipzig. Medien würden ihrer Verantwortung in der Gesellschaft nicht gerecht, wenn sie Politik auf eine Art Boxkampf des "Wer gegen Wen" reduzieren. Wenn Politik dann als eine Abfolge von Skandalen beim Bürger ankomme, laufe etwas schief im Lande, sagte der Ministerpräsident.
Wahlbeteilungen von 20 Prozent wie jüngst bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt seien eine fatale Folge, an denen auch die Medien eine gewisse Mitverantwortung tragen würden. Der Staat wolle und könne auch gar nicht durch Regelungen in diesen Mechanismus eingreifen. Milbradt erwartet aber, dass alle im Mediensystem agierenden Player stärker ihrer Verantwortung gerecht werden und mitwirken bei der Vermittlung von Wertvorstellungen und der Erhöhung der Medienkompetenz des Einzelnen. Das beträfe auch Elternhaus und Schule, die sich verstärkt darum kümmern sollten, junge Leute zu einem kritischen und selbstbewussten Umgang mit modernen Medien zu befähigen.
Milbradt machte dabei keinen Hehl daraus, dass er diese Rolle insbesondere vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwarte. Mit Blick auf die momentane Debatte zu den Rundfunkgebühren sagte er, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht zuletzt gerade wegen der Wahrnehmung dieser Aufgabe das Geld des Gebührenzahlers erhalten. Wenn sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr von anderen Programmen unterscheidet, stelle sich natürlich die Frage, wie man eine Zwangsabgabe wie die Rundfunkgebühr dauerhaft rechtfertigen kann.
Milbradt streifte auch das Thema der Medienkonzentration. Der Gesetzgeber müsse zukünftig stärker mit in Augenschein nehmen, dass die Eigentümer von Netzwerken zunehmend durch ihre Einspeisungs- oder Nichteinspeisungspolitik Einfluss darauf nehmen, welche Inhalte am Ende die Bürger erreichen. Ein zu hoher Vermengungsgrad zwischen Netzwerkbetreibern und Anbietern von Medieninhalten sei eine Gefahr für Meinungsvielfalt und Medienpluralismus.
Bernd Hilder, Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung widersprach Milbradt insofern, dass er darauf verwies, dass Skandale nicht von den Zeitungen erfunden werden. Medien, einschließlich Tageszeitungen, seien nicht Transporteure der Wünsche von Politikern, sondern primär dem Leser verpflichtet. Und es zeige sich, dass Leser auch bereit seien, lange und ernsthafte Artikel zu lesen, wenn sie denn interessant und relevant seien und Politik auch kritisch hinterfragen.
Zwar hätten die Zeiten der Spaßgesellschaft und das Internet mit Web 2.0 und "user generated content" die Rahmenbedingungen gerade für so genannte "seriöse Medien" erheblich verändert. In den vergangenen zwanzig Jahren nicht verändert habe sich dagegen die Aufgabe der Medien, durch glaubwürdige und gut recherchierte Informationen zur Meinungsbildung mündiger Bürger beizutragen und diese damit zur Teilnahme am politischen Diskussionsprozess zu befähigen. Insofern seien die Medien auch eine Art Volkshochschule, sagte dazu der Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, Stephan Andreas Casdorff.
Dass vielen Bürgern jedoch das politische Urinteresse abahnden gekommen sei, räumte ARD Programmdirektor Günter Struve ein. Binnen 60 Sekunden hätte zum Beispiel die ARD am vergangenen Sonntag nach dem "Tatort" Millionen von Zuschauer verloren, als das Programm mit einer "Tageschau extra" zu den französischen Wahlen weiterging. Alle politischen Sendungen, so Struve, hätten in den letzten Jahren Federn gelassen. Der ARD-Programmdirektor schob das auch auf die in Berlin regierenden Große Koalition, die das Desinteresse an Politik noch befördern würde.
Auf dem Medientreffpunkt Mitteldeutschland diskutieren noch bis zum Mittwoch rund 1500 Experten aus Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aktuelle Befunde und Entwicklungen in der Medienbranche. Der Treffpunkt findet dieses Jahr bereits zum 18. Mal statt. Er wurde unmittelbar nach der Wende 1990 vom Medienstadt Leipzig e.V. initiiert und fand zunächst unter dem Titel "Medienforum Sachsen" und, bis 1998, als "Mitteldeutsches Medienforum statt". Seither hat sich die Veranstaltung zu einer der größten und renommiertesten Medientreffpunkte in Deutschland entwickelt. (Wolfgang Kleinwächter) / (vbr)