EU-Konferenz berät über RFID-Einsatz für das "Internet der Dinge"

Wirtschaft und Politik befürworten die breitflächige Verbreitung von Funkchips zur Schaffung eines "Internet der Dinge", doch spezielle Datenschutzregeln für die Identifizierungstechnik soll es vorerst nicht geben.

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Vertreter von Wirtschaft und Politik haben auf einer RFID-Konferenz der EU auf Initiative der deutschen Ratspräsidentschaft in Berlin am heutigen Dienstag die breitflächige Verbreitung von Funkchips zur Schaffung eines "Internet der Dinge" befürwortet. Spezielle Datenschutzregeln für die Funk-Identifizierungstechnik soll es dagegen vorerst nicht geben. Man müsse mit dem Straßenbau beginnen, erklärte der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Peter Hintze (CDU), metaphernfreudig: Erst dann sei über den Einbau von Ampeln nachzudenken. Martin Jetter, Geschäftsführer IBM Deutschland, betonte, dass die bereits gesammelten "mannigfaltige Erfahrungen in verschiedenen Branchen" mit RFID es möglich machen würden, auch ohne das Einschreiten des Gesetzgebers "eine Balance zu finden zwischen Chance und Risiko".

Die deutsche Präsidentschaft hat für die Konferenz mit den Befürwortern der Funktechnik, Regierungsstellen, der EU-Kommision sowie Verbraucher- und Datenschützern ein Grundsatzpapier zu den Perspektiven des RFID-Einsatzes entworfen. Dieser "European Policy Outlook RFID" (PDF-Datei) soll Herausforderungen und Handlungsempfehlungen für ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene aufzeigen und nach seiner Finalisierung auf Basis der Debatten der Tagung gleichsam als Staffelstab an die nachfolgende portugiesische Präsidentschaft und die Kommission übergeben werden.

Auf 39 Seiten ist in dem Dokument viel von den Chancen und ein wenig von Risiken des geplanten Internet der Dinge mit seiner automatischen Erkennung sämtlicher RFID-bestückter Gegenstände an beliebigen Knotenpunkten des globalen Datennetzes die Rede. Die Funktechnik werde in den nächsten fünf Jahren eine bis zu zehnfache Produktivitätssteigerung ermöglichen, heißt es in dem Papier pauschal. Großangelegte RFID-Infrastrukturprojekte mit staatlicher Unterstützung könnten für breite Tests und die Einführung der Identifikationsverfahren in "Leuchtturmprojekten" genutzt werden. Ironischerweise verweist das Dokument an diesem Punkt just auf eine Vertriebsseite für Schutzhüllen gegen ein unerwünschtes Auslesen der RFID-Chips in den EU-weit einzuführenden E-Pässen.

An Herausforderungen werden etwa die Förderung des Zugangs kleiner und mittlerer Unternehmen zu RFID und der Verbreitung der Funktechnik innerhalb der Bevölkerung, die Vermeidung von Marktbehinderungen, die Harmonisierung von Frequenzen oder die Vertretung europäischer Interessen in einem globalen "Netzwerk der Dinge" angeführt. Auch die Technik selbst sei noch verbesserungswürdig etwa bei der Energieaufnahme, der Kommunikation zwischen Chip und Lesegerät oder den Sicherheits- und Datenschutzfunktionen. Ein "spezielles RFID-Gesetz erscheint nicht angebracht, da die Datenschutz-Gesetzgebung weiterhin technologieneutral ausgerichtet sein sollte", ist in dem Papier weiter nachzulesen. Es gebe Kritikern zufolge zwar Hinweise darauf, dass die breite Verwendung von RFID neue Anforderungen an die staatlichen Datenschutzregeln stellen könnte. Gegenwärtig sei aber die Selbstregulierung der Wirtschaft gefragt.

Widersprüche taten sich bei der Einschätzung auf, ab wann der Einsatz der Funkchips sich direkt für die Endverbraucher auswirken wird. In den Handlungsempfehlungen heißt es, dass RFID mindestens bis 2010 eine "interne Technik" bleibe, mit welcher der Konsument kaum etwas zu tun habe. Jetter unterstrich dagegen, dass "die Technologie des Internet der Dinge längst in viele Branchen Einzug gehalten hat". So leiste RFID als Basistechnik "Erstaunliches" etwa in Supermärkten oder in der Logistik. Es sei zwar noch eine Vision, dass der Verbraucher das Handy an den Spargel halte und erkennen könne, ob dieser wirklich frisch und aus Beelitz sei. An einer "lückenlosen Rückverfolgung" der Erzeugung von Nahrungsmitteln und der Kühlkette werde im staatlich geförderten Projekt " IT FoodTrace aber bereits gearbeitet. Fatal wäre nun ein "Zerreden" der Potenziale der Funktechnik, "denn dann schafft die Konkurrenz aus Asien und den USA Fakten".

Rudolf Strohmeier, Kabinettschef Informationsgesellschaft und Medien bei der EU-Kommission, sprach von "offensichtlichen Herausforderungen" in den Bereichen Datenschutz und Sicherheit angesichts der Szenarien von Milliarden adressierbar RFID-Tags. Eine der Hauptaussagen der EU-Konsultation zu diesem Thema sei gewesen, dass damit tiefe Eingriffe in die Grundrechte der Bürger einhergehen könnten und "Vertrauen" in die Systeme eingebaut werden müsse. Nur 15 Prozent der Teilnehmer an der Befragung glaubten, dass die Industrie selbst die Privatsphäre der Bürger im "Internet der Dinge" ausreichend schützt. 55 Prozent wünschten gesetzliche Vorgaben. Die Kommission hatte sich vor einem Jahr für eine weltweite RFID-Regulierung stark gemacht. Im März war zunächst aber allein von der Suche nach einer gemeinsamen RFID-Strategie und einer Anpassung der Richtlinie für den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation die Rede. Konkrete Empfehlungen sollen Ende 2008 folgen.

Gegenüber heise online wollte Cornelia Kutterer vom Verbraucherschützer-Dachverband BEUC potenzielle Vorteile von RFID für die Konsumenten nicht in Abrede stellen. Sie habe aber Zweifel daran, ob Produzenten wirklich bereit seien, angesichts ihrer gegenwärtigen Zurückhaltung bei der Artikelkennzeichnung kritische Produktinformationen auf den Tags abzulegen. Die Politik dürfe nicht erst Massenkarambolagen abwarten, griff sie das Bild der Verkehrsinfrastruktur auf, mit dem Peter Hintze in die Diskussion eingestiegen war. Der Industrie warf sie eine Verzögerungstaktik in Regulierungsfragen vor. Schon heute gäbe es kaum Möglichkeiten für die Verbraucher, allgemeine Datenschutzprinzipien wie die sparsame Verwendung personenbezogener Informationen durchzusetzen. Dieses Problem werde sich durch RFID und das damit einhergehende Ubiquitous Computung verschärfen. Selbstregulierung helfe da nicht weiter. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar drängte bereits im Vorfeld der Konferenz erneut auf verbindliche Regeln für den Einsatz von RFID-Chips. (Stefan Krempl) / (jk)