Deutschland holt Breitbandrückstand nur langsam auf

Laut der Studie "Monitoring Informations- und Kommunikationswirtschaft" liegt die Bundesrepublik bei der Verbreitung schneller Netzzugänge 16 Prozent hinter dem EU-Durchschnitt, bleibt aber beim E-Commerce vorn dabei.

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Ein gemischtes Bild über die Entwicklung der Informationsgesellschaft in Deutschland zeichnet die Studie "Monitoring Informations- und Kommunikationswirtschaft 2007", welche die Marktforscher von TNS Infratest im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführt haben. Die deutsche Wirtschaft rund um Informations- und Kommunikationstechniken (IKT) liegt demnach 2006 mit einem neu berechneten "ePerformance-Index" von 3233 Punkten um sieben Prozent über dem europäischen Durchschnittswert von 3000 Punkten. Bis 2007 soll dieser Wert auf 3722 Punkte und damit um weitere 15 Prozent wachsen. Daneben zeigt der Report aber auch deutlichen Nachholbedarf auf. Dieser betrifft unter anderem die Investitionen im Gesamtmarkt. Im Bereich "Infrastruktur" liegt der Index bei Breitbandanschlüssen zum Teil deutlich unter dem westeuropäischen Durchschnitt.

Joachim Wuermeling, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, stellte bei der Vorstellung der Studie am heutigen Dienstag in Berlin die positiven Ergebnisse heraus: "Der Aufschwung hält weiter an, die IKT-Technologien dienen zunehmend als Wachstumsbeschleuniger für viele Branchen." Sie seien ein "Innovationsmotor" in vielen Industriesektoren von der Autofertigung bis zum Maschinenbau. Insgesamt habe sich der "Reifegrad" der deutschen IKT-Wirtschaft verbessert. Besonders erfreulich sei, dass Deutschland beim E-Commerce weiter eine Spitzenposition einnehme und man dort von einer "Vorragstellung der deutschen IKT-Industrie" sprechen könne. Beim Marktwachstum, bei der Beschäftigung sowie beim E-Government hielt Wuermeling aber weitere Anstrengungen für nötig. Beim IT-Gipfel der Bundesregierung angestoßene "Leuchtturmprojekte" wie die semantische Suchmaschine Theseus, für die gerade die vorgesehenen Mittel in den Haushalt eingestellt worden seien, die geplante einheitliche Behördennummer sowie Entwicklungsfelder wie RFID würden den Standort zudem "weiter stärken".

Das seit 2000 laufende Monitoringprojekt wartet in diesem Jahr mit einer methodischen Neuerung auf. "Wir haben eine Aufteilung in die Segmente Gesamtmarkt, Infrastruktur und Anwendungen vorgenommen", erläuterte Sabine Graumann, Director Business Intelligence bei TNS Infratest. Für jeden Teilabschnitt seien im Rahmen eines Experten-Workshops weiter zehn Kernindikatoren ausgewählt worden für den Zeitraum 2005 bis 2007. Der EU-Durchschnittswert werde dabei jeweils auf 100 Punkte angesetzt, bei allen zehn Indikatoren in einem Segment liege er entsprechend bei 1000. Bei allen Indexwerten darüber nehme Deutschland also eine Führungsrolle ein, ansonsten müsse nachgesteuert werden.

Beim Gesamtmarkt ist die Bundesrepublik 2006 mit 134 Milliarden Euro Umsatz zwar der weltweit drittgrößte und in Europa der mit Abstand größte Handelsplatz der IKT-Branche, zumindest ohne Berücksichtigung der Umätze im Bereich Unterhaltungselektronik. Allerdings liegt der Kernindikatorwert "Wachstum" um 48 Prozent unterhalb des ausgewiesenen europäischen Durchschnitts. Die Prognose sieht nicht viel besser aus, da demnach die deutsche IKT-Wirtschaft ihre Position 2007 trotz guter konjunktureller Lage und steigenden Ausgaben von Verbrauchern und Unternehmen nur "minimal verbessern" wird. Der Telekommunikationssektor weise als einziger Markt in Europa absolut rückläufige Umsätzen aufgrund der Stagnation oder der zu erwartenden Rückgänge im Festnetzbereich und sinkenden Mobilfunkpreisen durch "Discounter" auf.

Die deutsche IKT-Wirtschaft kommt nach dem Indikator Ausgaben für die beiden Techniken als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwar auf einen Wert von 102 Punkten und liegt damit 2 Prozent über dem westeuropäischen Durchschnitt. Der bundesdeutsche Anteil ist gegenüber dem Vorjahr aber leicht um zwei Prozent zurückgegangen. Deutschlands IKT-Ausgaben steuern so 5,76 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Das Land mit dem höchsten Anteil der IKT am BIP in Europa ist Lettland mit einem Wert von 176 Punkten. Das sind 9,89 Prozent Anteil am BIP. Der Anteil der Beschäftigten in der IKT-Wirtschaft am gesamten Arbeitsmarkt liegt in Deutschland 38 Prozent unter dem Durchschnitt der größten EU-Länder. Dieser niedrige Wert ist dem Bericht nach zu einem guten Teil mit der hohen Arbeitsproduktivität der deutschen IKT-Wirtschaft zu erklären.

Dass Deutschland im Gesamtmarkt trotzdem noch vergleichsweise gut abschneidet, liegt vor allem an der Steigerung der Umsätze im E-Commerce zwischen Firmen untereinander und Unternehmen sowie Verbrauchern um mehr als 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit kommt die hiesige IKT-Branche auf einen Pro-Kopf-Umsatz, der 19 Prozent über dem westeuropäischen Durchschnitt liegt. 2006 sind auf den einzelnen Einwohner heruntergebrochen demnach durchschnittlich 12.759 Euro für elektronischen Handel ausgegeben worden, der Gesamtumsatz beträgt 438 Milliarden Euro. Deutschland kann sich in diesem Feld so weltweit an siebter Stelle platzieren und liegt nur sieben Punkte hinter dem europäischen Spitzenreiter, den Niederlanden. Für 2007 sagen die Auguren für die Bundesrepublik ein weiteres Wachstum von 84 Prozent voraus, auch wenn die Durchsetzung von E-Commerce in Unternehmungen trotz der beachtlichen Zahlen noch "unzureichend" sei.

Im Infrastrukturbereich hat Deutschland bei der Breitbandpenetration in der Bevölkerung den Indikatorenwert zwar von 55 auf 84 Punkte erhöht. Damit belegt es aber nur den elften Platz in Europa. Der europäische Spitzenreiter Dänemark kommt auf einen Stand von 165 Punkten, die USA entsprechen mit 99 Punkten fast genau im westeuropäischen Durchschnitt. Mit einem Wachstum des Score-Wertes bei DSL-Anschlüssen von 65 auf 98 Punkte hat die Bundesrepublik Deutschland diesen 2006 praktisch auch erreicht. Mit einer DSL-Penetrationsrate von 14,9 Prozent in der Bevölkerung liegt Deutschland dabei an neunter Stelle in Europa. Alternative Breitbandtechniken wie das TV-Kabel haben sich aber bei weitem noch nicht durchgesetzt. Hier liegt Deutschland in Westeuropa auf dem letzten Platz. Bei den Anwendungen hinkt Deutschland vor allem bei der Online-Verfügbarkeit von E-Government-Diensten, der Nutzung derselben durch Unternehmen und beim Netzzugang in Bildungseinrichtungen hinterher.

Graumann empfahl der Politik, einen "verstärkten Fokus auf die Rahmenbedingungen zu legen". Dies sei vor allem bei der IT- und Internetsicherheit notwendig, da diesbezügliche Bedenken die noch nicht zufriedenstellende Nutzung des globalen Informationsnetzwerks mit erklären könnten. Darüber hinaus ist dem Report nach die Medienkompetenz noch mangelhaft und es fehlen Standardisierungen und verwaltungsübergreifende Prozesse beim E-Government. Langfristig seien "weitere Risiken" für die IKT-Wirtschaft wie die Herausbildung einer "Subkultur" von Technikfeinden und -verweigerern sowie terroristische Anschläge auf das World Wide Web nicht auszuschließen. Einen "Trendbericht" anhand einer Expertenumfrage wie noch 2005 enthält die Studie dieses Mal nicht. Damals hatten die Forscher etwa starke Bedenken des IKT-Mittelstands gegen Softwarepatente festgestellt. (Stefan Krempl) / (jk)