Heimliche Online-Durchsuchung beschäftigt Karlsruhe [Update]

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt im Oktober in einem viel beachteten Verfahren erste Verfassungsbeschwerden gegen die Lizenz zur Online-Durchsuchung im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz.

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Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am 10. Oktober in einem viel beachteten Verfahren erste Verfassungsbeschwerden gegen die Lizenz zur Online-Durchsuchung im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz. Im Februar hatten die Mülheimer Autorin Bettina Winsemann (alias Twister), drei Rechtsanwälte sowie ein Mitglied der Linkspartei Karlsruhe wegen einer Reihe von Vorschriften in der neuen Rechtsgrundlage für die Arbeit der NRW-Verfassungsschützer angerufen. Insbesondere griffen sie dabei die erstmals offiziell eingeführte, einen Richtervorbehalt nicht vorsehende Befugnis für Sicherheitsbehörden zu heimlichen Online-Durchsuchungen an. Um eine vergleichbare Lizenz zu Online-Razzien für das Bundeskriminalamt (BKA) ist in der Regierungskoalition ein heftiger Streit entbrannt.

Konkret gestattet das zur Verhandlung stehende Gesetz den Landesverfassungsschützern "heimliches Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen beziehungsweise die Suche nach ihnen, sowie den heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel". Die Norm spezifiziere nicht näher, welche Arten von Zugriffen gesetzlich erlaubt sein sollen, lässt die Mitteilung des Bundsverfassungsgerichts zum Verhandlungstermin erste Skepsis demgegenüber erkennen. "Technisch denkbar und unter Ermittlungsgesichtspunkten möglicherweise zielführend könnten eventuell die folgenden Arten von Zugriffen sein: Der einmalige Zugriff auf die auf der Festplatte des betroffenen Computers gespeicherten Daten; eine kontinuierliche Überwachung der gespeicherten Daten, bei der jede Änderung des Datenbestands mitgeschnitten wird; der Zugriff auf weitere Funktionen des betroffenen Rechners (etwa Mitverfolgung der Tastatureingaben, Zugriff auf über das Internet geführte Telefonate)."

Die Beschwerde richtet sich weiter gegen Bestimmungen in dem Gesetz, wonach unter bestimmten Voraussetzungen eine Benachrichtigung des Betroffenen unterbleiben, die Verfassungsschutzbehörde bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsunternehmen und Finanzunternehmen Auskünfte über Beteiligte am Zahlungsverkehr und über Geldbewegungen und Geldanlagen einholen sowie einen großen Lauschangriff starten kann. Bemängelt wird, dass personenbezogene Daten in Sachakten über verfassungsfeindliche Bestrebungen bestehen bleiben dürfen, auch wenn die zu der betreffenden Person geführten Dateien gelöscht worden sind. Ein kritischer Punkt sei zudem, dass der Geheimdienst Erkenntnisse in gemeinsamen Dateien nicht nur mit anderen Verfassungsschutzbehörden, sondern auch mit weiteren Sicherheitsbehörden verarbeiten dürfe. Zur Diskussion steht damit letztlich auch das "Trennungsgebot" zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden, das Kritikern zufolge etwa auch bei der Anti-Terrordatei nicht mehr eingehalten wird.

Nach Auffassung der Beschwerdeführer verletzt die "Online-Durchsuchung" das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Viele vertrauliche Informationen, die früher in körperlicher Form in den eigenen vier Wänden aufbewahrt wurden und damit in den räumlichen Schutzbereich der Wohnung fielen, würden heute auf dem heimischen Computer gespeichert und fielen daher ebenfalls in den Schutzbereich des Grundgesetzes. Die Unverletzlichkeit der Wohnung könne nur unter sehr engen Voraussetzungen eingeschränkt werden, die aber bei Online-Razzien nicht gegeben seien.

Darüber hinaus rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Regelung über die Online-Durchsuchung wahre weder das Gebot der Normenklarheit noch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Soweit zudem das Beobachten des Internets vorgesehen sei, verletze die Norm auch das Fernmeldegeheimnis. Zudem entspreche das Gesetz nicht den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur strafprozessualen akustischen Wohnraumüberwachung aufgestellt habe. Es fehle an Regelungen zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und Vorschriften zur Kennzeichnung der gewonnenen Daten.

Die Gegenstellungnahme, die ein Gutachter im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung verfasst hat, sieht die Sache ähnlich wie ein Ex-Verfassungsrichter anders. In dem Papier wird das Problem des Schutzes des privaten Kernbereichs mit dem Hinweis gelöst, dass der Surfer beim Eintritt in das Internet seinen engen Kreis der Privatsphäre verlässt und damit auch die privat abgespeicherten Daten auf dem von ihm genutzten Computer mehr oder weniger zur "Sozialsphäre" gehören. Zahlreiche Wissenschaftler sowie Datenschützer haben sich gerade aber sehr skeptisch zu einer Vereinbarkeit des Konzepts von Online-Durchsuchungen mit dem Kernbereichsschutz geäußert.

[Update]:
Gegen das Verfassungsschutzgesetz NRW hat im März auch Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) Verfassungsbeschwerde eingelegt. Nach Angaben der beteiligten Anwälte wird auch diese Beschwerde bei der anberaumten Verhandlung mitberaten. Anscheinend will das Bundesverfassungsgericht mit dem Termin für die Verhandlung eventuell noch Einfluss auf die Debatte um Befugnisse für verdeckte Online-Durchsuchungen für das BKA nehmen. Die SPD plädiert hier dafür, die Entscheidung aus Karlsruhe abzuwarten, während die CDU/CSU-Fraktion mit Rückendeckung von Kanzlerin Angela Merkel die Lizenz für bundesweite Netzbespitzelungen schon vorher rasch im Kabinett verabschiedet wissen will.

Die heimliche Online-Durchsuchung eines Computers stößt bei Datenschützern ebenso wie bei Juristen auf Skepsis. In einer Reihe von Artikeln melden sie grundsätzliche Bedenken an und warnen vor der beabsichtigten Änderung des Grundgesetzes. Siehe dazu:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)