US-Urteil zu "offensichtlichen" Patenten entfaltet Wirkungen
Die Klarstellungen des Supreme Court zur Offensichtlichkeit gewerblicher Schutzansprüche hat die Stellung von Firmen wie RealNetworks bei der Verteidigung gegen den Vorwurf von Patentverletzungen gestärkt.
Die lange erwarteten, vor zwei Monaten ergangenen Klarstellungen des Obersten US-Gerichtshof zur Auslegung des "Offensichtlichkeitsprinzips" im US-Patentsystem setzt sich verstärkt in der allgemeinen Rechtsprechung rund um gewerbliche Schutzrechte in den Vereinigten Staaten durch. Vor allem Technologiefirmen, die sich in jüngster Zeit stark von Klagen so genannter Patent-Trolle und deren Portfolio häufig trivialer Schutzansprüche betroffen sahen, können vor Gericht erste Erfolge erzielen. So hat ein Bundesrichter in San Francisco beispielsweise in einem Fall, in dem die Patentlizenzierungsfirma Friskit dem Streaming-Experten RealNetworks 2003 die Verletzung eigener gewerblicher Schutzrechte vorwarf, den Kurs gewechselt und die zunächst zugelassene Klage in der vergangenen Woche zurückgewiesen.
Richter der International Trade Commission, einer US-amerikanischen Schiedsstelle für gewerbliche Rechtsstreitigkeiten, haben zudem unter dem Einfluss der Entscheidung des Supreme Court die Verhandlung über angebliche Verstöße von 24 Firmen gegen Patente auf Druckerpatronen von Seiko Epson unter neuen Vorzeichen wieder aufgenommen.
Gemäß einem US-Bundesgesetz von 1952 und einer frühen Entscheidung des Obersten US-Gerichtshof von 1851 hat eine Erfindung in den USA eigentlich als trivial und somit nicht schutzwürdig zu gelten, wenn ein Experte auf dem betroffenen Fachgebiet sie als offensichtlich bezeichnet. Das für Berufungsklagen auch in Patentstreitigkeiten zuständige Gericht, der Federal Circuit Court of Appeals, schränkte dieses Ausschlusskriterium für gewerbliche Schutzrechte aber in den vergangenen Jahrzehnten stark ein. Demnach reichte selbst eine einfache Neukombination bereits bekannter Techniken oder Verfahren aus, um einen staatlichen Monopolanspruch zu erhalten. Diese enge Auslegungspraxis der Offensichtlichkeitsregel kassierte der Supreme Court in dem viel beachteten Fall der US-Firma Teleflex gegen den kanadischen Autozulieferer KSR International aber größtenteils wieder. Seiner Ansicht hat eine Erfindung als offensichtlich und nicht patentrechtlich schutzwürdig zu gelten, wenn ein gewöhnlicher Fachmann "die Lehre vieler Patente" dafür "wie Stücke in einem Puzzle zusammenfügen" könnte.
Diese Unterweisung hat sich etwa der Richter in San Francisco, William Schwarzer, zu Herzen genommen, der sich mit der Klage gegen RealNetworks über Techniken zum Organisieren und Abspielen von Video- und Audiodaten auseinanderzusetzen hatte. Er urteilte laut einem Bericht des Wall Street Journal nun, dass die Ansprüche Friskits nichts weiter als offensichtliche Kombinationen des veröffentlichten Stands der Technik einschließlich der Streaming-Lösungen der Multimediafirma seien. Er zog den Schluss, dass "die Idee der Integration dieser unterschiedlichen Komponenten nicht neuartig war". Zugleich verwies Schwarzer ausdrücklich auf die Ansage des Supreme Court, bei Trivialpatenten genauer hinzuschauen. Friskit prüft einem Anwalt zufolge trotzdem, in die Berufung zu gehen.
Ein Bundesrichter in Manhattan hat Anfang des Monats ebenfalls entschieden, dass ein vom Mischkonzern McNeil-PPC gehaltenes Patent nichtig ist und dabei intensiv die höchstrichterliche Entscheidung zugunsten von KSR ins Feld geführt. Schon im Juni verwarf ein anderer Bundesrichter in San Diego zudem unter Berufung auf das Grundsatzurteil einen von mehreren Patentansprüchen in einem Verletzungsverfahren gegen die Hightechbude Single Chip Systems. Der VoiP-Anbieter Vonage beruft sich auf das Urteil des Supreme Court zudem in seinem Patentstreit mit dem vor allem im Festnetz starken Konkurrenten Verizon Communications. Er erhofft sich, dass auch das Bundesberufungsgericht reagiert und das Urteil über Patentverletzungen in dem Fall durch eine niedere Instanz revidiert.
Der Hinweis auf die KSR-Entscheidung half dagegen dem Handy-Chipausrüster Qualcomm in einem vor der International Trade Commission ausgetragenen Auseinandersetzung mit dem kleineren Herausforderer Broadcom bislang nicht weiter. Die Schiedskommission hielt die Patentansprüche des Verfahrensgegners trotzdem für nicht-offensichtlich und stoppte den Import von Qualcomm-Chips und damit bestückter Mobiltelefone. Der Federal Circuit Court of Appeals urteilte Anfang des Monats genauso. Nun hofft Qualcomm auf ein Veto des US-Präsidenten in der kommenden Woche gegen die vorliegenden Beschlüsse.
Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):
(Stefan Krempl) / (jk)