EU und USA vereinbaren umfassenden Austausch geheimer Informationen

Brüssel und Washington haben sich auf ein Übereinkommen zur Weitergabe von Verschlusssachen verständigt. Dabei trauen die beiden Staatenbunde Verschlüsselungssystemen offenbar nicht, da der Transfer überwiegend per Kurier erfolgen soll.

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Brüssel und Washington haben sich auf ein Übereinkommen zur umfassenden Weitergabe von Verschlusssachen verständigt. Dies berichtet die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch auf Basis des inzwischen verfügbaren Textes des entsprechenden Vertrags (PDF-Datei) vom Mai 2007 und des zugehörigen Beschlusses des EU-Rates. Den Weg für eine solche Vereinbarung frei gemacht hatten die Justiz- und Innenminister der EU bereits Ende 2003. Das Abkommen musste aufgrund der gewählten Rechtsgrundlage weder vom EU-Parlament noch von nationalen Volksvertretungen beraten werden.

Als "Geheiminformation" wird in dem Papier alles beschrieben, was "bei unautorisierter Enthüllung den Interessen der US-Regierung, der EU oder einem ihrer Mitgliedsstaaten Schaden zufügen könnte". Die Sensibilität entsprechender Dokumente wird in die vier Kategorien "Streng geheim", "Geheim", "Vertraulich" und "Zugriffsbeschränkt in der EU" unterteilt. Die entsprechenden Verschlusssachen sollen nur im Fall einer ausdrücklichen Zustimmung der Seite, welche sie zur Verfügung gestellt hat, für andere Zwecke als den ursprünglich ausgemachten verwendet werden dürfen. Anderweitige zwischenstaatliche und bereits abgeschlossene Abkommen zum Transfer von Geheiminformationen sollen nicht betroffen sein.

Bei der Übermittlung vertrauen beide Seiten bestehenden Verschlüsselungssystemen nur sehr begrenzt. Laut einer separaten Vereinbarung (PDF-Datei) über die bei der Informationsweitergabe zu berücksichtigenden Sicherheitsvorkehrungen sollen Dokumente von der Stufe "Vertraulich" an nämlich möglichst "per Kurier" übersandt werden. Offenbar sollen nur "zugriffsbeschränkt" gestempelte Papiere und bereits digital vorliegende Akten elektronisch ausgetauscht werden, wobei ein kryptographischer Schutz vorgesehen ist. Die Ursache sieht Statewatch darin, dass die EU anscheinend nach wie vor über keine als hochsicher eingestuften Mechanismen zur Verschlüsselung digitaler Kommunikation verfügt. Dies weise auf gravierende Schwachstellen auf dem alten Kontinent beim kryptographischen Schutz vertrauenswürdiger Daten hin.

Da die EU und die USA das Abkommen komplett an parlamentarischer Kontrolle vorbei ohne jegliche öffentliche Debatte abgeschlossen haben, ist dessen Reichweite schwer abzuschätzen. So geht aus den online verfügbaren Vereinbarungsgrundlagen etwa nicht hervor, ob sich die mit dem Austausch angestrebte Stärkung der Sicherheit allein auf militärische Aspekte beziehen soll oder auch auf innere Angelegenheiten. Es bleibt unklar, ob beispielsweise Forschungsinformationen eingeschlossen sein sollen oder Angaben zur Strafverfolgerung, zum Austausch der in der EU bald verdachtsunabhängig auf Vorrat zu speichernden Telefon- und Internetdaten oder zu Anti-Terrordatenbanken.

Ein "Witz" sind für Tony Bunyan von Statewatch die vermeintlichen Aufsichtsbestimmungen. Eine Kontrolle sei nur durch die Unterzeichner des Vertrags selbst vorgesehen, auch hier würden unabhängige demokratische Instanzen außen vor bleiben. Eine derartige Geheimniskrämerei hält Bunyan auch beziehungsweise gerade beim Umgang mit Verschlusssachen für gänzlich unangebracht. Gehe es bei der Vereinbarung doch auch "um den Aufbau eines Sicherheitsregimes für die künftige Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung, Außenpolitik, Justiz und Inneres zwischen der EU, Drittstaaten und nicht zur Verantwortung zu ziehenden internationalen Organisationen". Damit würden die Ziele der "politisch-militärischen Achse" zwischen Brüssel, Washington und der NATO zementiert. (Stefan Krempl) / (pmz)