Volkszählung im Internet: 2,8 Milliarden Pings in zwei Monaten

US-Wissenschaftler vom ISI sandten ICMP-echo-requests an alle öffentlichen IP-Adressen und veranschaulichen das Ergebnis auf einer knapp acht Quadratmeter großen Karte sowie mit zoomfähigen Grafiken aus Hilbert-Kurven.

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Von
  • Sven-Olaf Suhl

Wissenschaftler vom ISI ANT Lab, das sich der Analysis of Network Traffic, also der Erforschung des Datenaufkommens im Netz verschrieben hat, haben eine Zählung aller vergebenen Internet-Adressen durchgeführt und die Ergebnisse optisch aufbereitet. Mithilfe von drei Rechnern sandten sie innerhalb von 62 Tagen 2,8 Milliarden Internet Control Message Protocol (ICMP)-echo-requests aus.

Nach Einschätzung des Projektleiters John Heidemannn vom Information Sciences Institute (ISI) der University of Southern California – einer der Geburtsstätten des Internet – und seines Mitarbeiters Yuri Pradkin ist dies der erste vollständige "Internet-Zensus" seit Ende 1982, als David Smallberg alle zu jenem Zeitpunkt vergebenen dreihundertfünfzehn IP-Adressen angepingt hatte (siehe RFC-832).

Nicht vom ANT-Projekt angepingt wurden aus den insgesamt 232 (rund 4,3 Milliarden) möglichen IPv4-Adressen die 1,16 Milliarden für den zukünftigen Gebrauch reservierten Adressen sowie 342 Millionen nicht-öffentlicher Adressen (zum Beispiel Multicast-Adressen oder private IP-Adressen (not public allocated unicast adress space gemäß RFC 1918, also beispielsweise 192.168.0.0 – 192.168.255.255).

Auf die 2,8 Milliarden Pings erhielten die Forscher 187 Millionen Replies. Die geringe Antwortquote von 6,7 Prozent ist damit zu erklären, dass inzwischen zahlreiche Rechner ICMP blockieren und viele IP-Adressen durch Firewalls geschützt werden. Das ANT-Team bezeichnet denn die antwortenden Rechner mit öffentlichen IP-Adressen als das sichtbare (visible) Internet, dessen Größe seit den 315 Pings von 1982 auf 187 Millionen angeschwollen ist. Die Erforschung des unsichtbaren (invisible) Internet sieht ISI-Forscher Heidemann als eine Zukunftsaufgabe.

Um das heutige visible Internet halbwegs überschaubar darstellen zu können, tragen die Forscher – inspiriert durch eine Karikatur – die 32 Bit großen IP-Adressen als zweidimensionale Hilbert-Kurven auf.

Jeder Punkt steht für ein /8-Subnetz mit 16 Millionen Adressen

Dank dieses Kunstgriffs stehen erstens ähnliche Adressen räumlich nah beieinander – die nicht abgefragten Multicast-Adressräume liegen wie blaue Ozeane auf der Karte, und bestimmte Subnetze lassen sich einzelnen Kontinenten zuordnen. Zweitens erlaubt es die fraktale Kurve, in die Internet-Karte hineinzuzoomen: Die Hilbert-Kurve kommt durch Wiederholung ihres Konstruktionsverfahrens jedem beliebigen Punkt einer quadratischen Fläche beliebig nahe und vermag die Fläche vollständig wie ein Ornament auszufüllen, ohne sich selbst zu schneiden. Eine Hilbert-Kurve höherer Ordnung stellt ein noch feineres Ornament dar, mit dessen Hilfe sich jeweils kleinere IP-Subnetze darstellen lassen.

103 Millionen Antworten stufte das Forscherteam als positiv, 84 Millionen als negativ (zum Beispiel: "not allowed" oder "router but no host") ein und kennzeichnete die Art der Antworten von grün (positiv) über gelb (gemischt) bis rot (negativ) auf der Karte. Je heller eine Markierung ist, desto größer die Antwortquote aus dem jeweiligen IP-Adressraum.

Zusätzlich zur Darstellung in Hilbert-Kurven haben die Forscher nach dem Motto Plotting the Whole Internet auch eine 2,8 Meter×2,8 Meter große Karte aus Papier angefertigt, auf der jedes aufgedruckte Pixel einer IP-Adresse entspricht.

Mit ihren Karten wollen die ANT-Forscher das Wissen über den heutigen Gebrauch der IP-Adressen vertiefen, das viele praktische Aspekte habe: Router arbeiteten effektiver, wenn sie Clients beedienen, deren IP-Adressen denselben Subnetzen angehören. Andererseits seien Internet-Würmer, die sich an zufällig ausgewählte Adressen verschicken, mitverantwortlich für heftiger werdende Angriffe auf die Internet-Infrastruktur.

Ferner weist Heidemann auf den zur Neige gehenden Vorrat an IPv4-Adressen hin: Studien gehen davon aus, dass bereits Anfang des kommenden Jahrzehnts die letzten freien IPv4-Adressen vergeben sind. Während es weniger IPv4-Adressen als Erdenbürger gibt, ermöglicht IPv6 hingegen 2128 Adressen. Im Beitrag Das Mega-Netz. IPv6 wird Wirklichkeit auf heise Netze findet sich unter anderem der Versuch, diese immense Zahl zu veranschaulichen. (ssu)