Branchenverbände fürchten Preissteigerungen durch die Vorratsdatenspeicherung

Bitkom, eco und VATM fordern die rasche Verabschiedung einer Entschädigungsregelung für die geplanten neuen Überwachungsverpflichtungen, während sich ein Verfassungsrichter um den Rechtsstaat sorgt.

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In der Wirtschaft herrscht weiter Unmut über die geplante Verpflichtung zur sechsmonatigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten. So haben die Branchenverbände Bitkom, eco und VATM in separaten Mitteilungen die rasche Verabschiedung einer Entschädigungsregelung für die neuen Überwachungsauflagen gefordert, welche die große Koalition am morgigen Freitag im Bundestag gemäß dem Votum des federführenden Rechtsausschusses befürworten soll. Bitkom und VATM machen sich zugleich für eine längere Übergangsregelung auch für die klassischen Telcos und Mobilfunkanbieter stark, scheinen sich ansonsten mit dem Kommenden aber weitgehend abgefunden zu haben. Allein der Providerverband eco appellierte noch einmal an die Abgeordneten, das Vorhaben aufzuschieben oder den Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung ohne die besonders umkämpfte Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden.

Im Vordergrund steht aber auch beim eco die Geldfrage. "Die flächendeckende und verdachtsunabhängige Speicherung, wer mit wem wann telefoniert, eine SMS oder eine E-Mail gesendet hat, ist mit immensen Anschaffungskosten für die TK-Unternehmen verbunden", moniert der eco-Vorstandsvorsitzende Michael Rotert. Allein die Internetwirtschaft müsse 332,5 Millionen Euro für die Anschaffung von Hard- und Software aufbringen, dazu kämmen noch die laufenden Betriebskosten und die Kosten der traditionellen Telcos. Wenn dafür keine staatlichen Ausgleichszahlungen in Aussicht gestellt würden, "werden die Belastungen letztlich auf die Verbraucher abgewälzt werden müssen".

Der überwiegende Teil der aufzubewahrenden Verbindungsdaten ist laut Rotert für die Strafverfolgung nutzlos, da diese etwa von Spam-Mails generiert würden. Beim Rest handle es sich um meist sensible Daten von unbescholtenen Bürgern, die einen erheblichen Eingriff in ihre Grundrechte hinnehmen müssten. Lediglich an einem Punkt sei inzwischen Realismus eingekehrt, meint der eco-Vertreter. Der Internetwirtschaft werde eine Übergangsfrist für die technische Umsetzung der Speicherpflicht bis zum 1. Januar 2009 zugestanden. "Etwas anderes wäre auch völlig illusorisch gewesen."

Kritisch sehen dagegen der VATM und der Bitkom, dass weder Festnetzanbietern noch Mobilfunk-Netzbetreibern hinreichende Umsetzungsfristen zugestanden werden und die Speicherpflichten für sie bereits Anfang 2008 greifen sollen. Wie die Telcos die Anforderungen des Gesetzgebers in der verbleibenden kurzen Zeit nach der offiziellen Ausfertigung des Vorstoßes erfüllen sollen, bleibe schleierhaft. Der Bitkom weist vor allem darauf hin, dass bei Handy-Gesprächen künftig neben den Verbindungs- und Standortdaten auch die Seriennummern der Geräte erfasst werden müssten. Dafür müssten die Anbieter "technisch und personell aufrüsten". Dies sei nicht von heute auf morgen machbar.

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder moniert weiter, dass den Unternehmen nach den aktuellen Plänen der Regierungsfraktionen für eine mögliche Entschädigung die Kosten für die Hilfssheriffsdienste nur zum Teil erstattet werden sollen. Daten-Auskünfte an staatliche Ermittler oder Geheimdienste würden demnach mit Pauschalen vergütet. "Auf den hohen technischen Investitionen würden die Unternehmen ganz sitzen bleiben", klagt Rohleder. "Immerhin ist der Entwurf ein Schritt in die richtige Richtung, nachdem die Entschädigung jahrelang auf Eis lag." Jetzt müssten auch im Detail faire Regeln gefunden werden.

Eine regelrechte Standpauke hielt derweil der Verfassungsrichter Udo di Fabio Mitgliedern der Bundesregierung. In der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin kritisierte der als Verfechter konservativer Werte geltende Karlsruher Gerichtsvertreter laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung am Dienstagabend einen "präventionstechnischen Überbietungswettbewerb" bei der Gesetzgebung. Damit wollten Politiker davon ablenken, "dass sie sich als unfähig erweisen, Militär oder Polizei ordnungsgemäß auszustatten". Die Bürger würden aber keinen "totalen Überwachungsstaat" wünschen, erklärte di Fabio den anwesenden Ministerialbeamten, Geheimdienstler, Diplomaten und Generäle. Sie "wollen eine effektive Polizei". Wer dort Stellen kürze und gleichzeitig das Recht verschärfe, handle nicht im Interesse der Wähler.

Konkret wandte sich der Verfassungsrichter vor allem gegen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und dessen wiederholte Äußerungen, dass der bisherige Rechtsstaat mit seinen freiwilligen Beschränkungen der Staatsmacht den neuen Formen des Terrors nicht mehr gewachsen sei. Schäuble hatte etwa auch darüber sinniert, wie "Gefährder" zu behandeln seien und ob Top-Terroristen gezielt getötet werden dürften. "Ich halte es für eine Krankheit, dass ständig unser System in Frage gestellt wird", hielt di Fabio dem Minister entgegen. "Die intellektuelle Lust am antizipierten Ausnahmezustand ist kein guter Ratgeber." Polizeimaßnahmen seien zwar nicht von vornherein eine Bedrohung der freiheitlichen Gesellschaft. "Aber es gibt auch die, die immer schon wissen, dass jeder weitere Schritt in Richtung Sicherheit ein Schnitt ist von der verschwindenden Salami namens Freiheit."

Schäuble wies am Mittwochabend vor einem feierlichen Treffen des Bundeskabinetts mit den Verfassungsrichtern Vorwürfe gegen seine Pläne zurück. Er betonte vor der Justizpressekonferenz die Bedeutung der Prävention im Anti-Terrorkampf. Der Gesetzgeber sei verantwortlich dafür, klare Regelungen zu schaffen. Schäuble forderte unter anderem, den vom Bundesverfassungsgericht zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung stark eingeschränkten großen Lauschangriff wiederzubeleben.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)