Bildungsstunde zu Medienkompetenz im Bundestag

Bei einer Anhörung im Parlament bezeichneten Experten Medienkompetenz als "Schlüsselqualifikation für die Mediengesellschaft". Auch beim Jugendschutz bewirke sie mehr als etwa eine noch stärkere Regulierung oder Verbote.

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Experten haben Medienkompetenz bei einer Anhörung der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestags am heutigen Montag als Schlüsselqualifikation bezeichnet. Auch für den Jugendschutz sei die Fähigkeit, informiert mit den Herausforderungen neuer Medientechniken umzugehen, besser, als es über stärkere Regulierung und Verbote "zu versuchen", erklärte Gerd Gigerenzer, Direktor beim Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Besonders wichtig sei, dass die Nutzer "die richtigen Fragen" stellen und Quellen beurteilen könnten. Noch werde eine informierte Herangehensweise an die Herausforderungen einer technologischen Gesellschaft aber "nicht wirklich gelehrt". Mehr Anleitung zur Eigeninitiative sei deshalb nötig.

Gigerenzer plädierte für eine "digitale Selbstkontrolle". Viele Menschen meinten, dass man nicht mehr über drei Tage ohne E-Mail auskomme. Es sei aber wichtig, dass der Nutzer selbst die Technologien kontrolliere und nicht von ihnen kontrolliert werde. Generell sollte die Vermittlung von Medienkompetenz "nicht bei den Kindern beginnen, sondern bei den Lehrern". In diesem Sinne betonte auch Jürgen Ertelt, Projektkoordinator "Jugend online" bei der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit, dass Auszubildende und Pädagogen die "Streetwork in Digitalien" anzugehen und das Internet dabei als "erweiterten Lebensraum" aufzufassen. Lehrer sollten sich dabei als "Navigator und Katalysator eines Bildungsprozesses verstehen".

Allgemein bezeichnete Ertelt Medienkompetenz als "Motor für Erneuerungsprozesse für mehr staatsbürgerliches Engagement und gegen Politikverdrossenheit". Sie könne als eine Art Frühwarnsystem aufgefasst werden, über das ein "großer transparenter Dialog" unter Einschluss von Themen wie Datenschutz oder Wikileaks geführt werden könne. Der Jugendarbeiter warnte zugleich davor, Medienkompetenz als reinen "Reparaturbetrieb von Jugendschutz" anzusehen. Andererseits sei Jugendschutz ohne Medienkompetenz nicht mehr zu denken.

Der Mainzer Medienpädagoge Stefan Aufenanger plädierte dafür, dass Kinder und Jugendlich möglichst früh Erfahrungen mit digitalen Medien sammeln sollten. Es sei "naiv" zu sagen, wer etwas mit Medien tue, sei darin schon kompetent. Nötig sei es, Räume zu schaffen, in denen Nachdenken über die Medienaktivitäten ermöglicht werde. Die Schaffung von Medienkompetenz sei als lebenslange Aufgabe zu sehen, Erwachsene und Senioren dürften ebenso wenig vernachlässigt werden wie Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft. Erhöhte Auflagen forderte Aufenanger für Werbung im Internet, die stärker von Inhalten zu trennen sei. Insbesondere Kinder hätten momentan große Schwierigkeiten, Online-Reklame als solche auszumachen.

Im Einklang mit Aufenanger machte sich Klaus Jantke vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) dafür stark, "Kontexte" für Reflexion und Diskussion zu schaffen, statt Inhalte auszugrenzen. So sei etwa auch ein Online-Spiel, in dem man das Massaker an der Littleton High School in Colorado nachstellen könne, bei der angemessenen Einbettung in pädagogische Projekte als "sehr gutes Serious Game" zu betrachten. Konkrete Voraussetzungen für dieses Genre der "Bildungsspiele" festzusetzen, entpuppe sich so als unsinnig. Zugleich meinte Jantke, dass ein gewisses Suchtpotenzial Bestandteil jedes guten Spiels sei und dass man sich damit auseinandersetzen müsse: Es gehöre zur Medienkompetenz, "die eigene Mediennutzung wissentlich zu begrenzen".

Hannes Schwaderer, Geschäftsführer von Intel Deutschland, machte sich als Vertreter der Initiative D21 dafür stark, Rechner als "ganz gewöhnliches Arbeitsmittel im Klassenzimmer" zu verstehen und so eine Brücke zwischen Alltags- und Schulrealität zu schlagen. Dies vergrößere die Lernmotivation von Kinder. Im internationalen Wettbewerb liege Deutschland hier zurück, da weniger als ein Prozent der Schüler in einer "Notebook-Klasse" seien. Im Durchschnitt käme auf zehn Schüler ein PC, während der Mittelwert bei den OECD-Ländern bei 5:1 liege. Ferner beklagte Schwaderer einen "immensen Wildwuchs" bei Computer-Klassenzimmern aufgrund fehlender Qualitätsstandards. Für Wartung und Pflege würden so jede Woche 55.000 Lehrerstunden aufgewendet. Andere Experten betonten, dass eine bessere Computerausrüstung ohne zugehörige Nutzungskonzepte nicht ausreiche.

Auch "wirtschaftliche Bedeutung" maß Philippe Gröschel, Jugendschutzbeauftragter der Firma VZnet Netzwerke, dem Thema bei: Wer neue Medien aktiv nutzen könne und sich im Umgang damit wohl fühle, werde sie häufiger verwenden und dabei weniger Betreuungsbedarf haben. Weniger gut schnitten bei dem Unternehmensabgesandten Jugendschutz-Programme ab. Wenn diese von Familien und Erziehungsberechtigten bereits als wünschenswerte Instrumente angesehen würden, bräuchte es seiner Ansicht nach den heftig umkämpften neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag nicht. Generell gebe es für die Novellierung aber keine richtige Alternative. Kathrin Demmler vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis bezeichnete Filterprogramme ebenfalls als "problematisch". Sie gaukelten einen sicheren Surfraum vor, der so aber nicht vorhanden sei. Ein verstärkter Einsatz von Alterskennzeichnungen könne aber "positive Begleiteffekte" haben. (pmz)