Bundestag: Netzpolitik.org soll Gutachten zur Abgeordnetenbestechung löschen
Der Deutsche Bundestag fordert vom Blog Netzpolitik.org ein ins Netz gestelltes Gutachten wieder zu löschen. Darin geht es um die deutsche Rechtspraxis beim Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung.
Der Deutsche Bundestag hat vom Blog Netzpolitik.org verlangt, ein vor kurzem ins Netz gestelltes Gutachten, das vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags stammt, wieder zu entfernen. Die Macher des Blogs haben bereits erklärt, der Aufforderung nicht nachkommen zu wollen.
Das Schreiben des Bundestags (PDF-Datei) fordert Blogmitbetreiber Markus Beckedahl dazu auf, „die fortwährende rechtswidrige Veröffentlichung unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 17.10.2012 einzustellen und die Veröffentlichung zukünftig zu unterlassen.“ Im Schreiben findet sich aber keine weitere Begründung, warum die Veröffentlichung rechtswidrig sei.
Das gegen den Willen des Bundestags publizierte Gutachten (PDF-Datei) befasst sich mit dem Problem der Abgeordnetenbestechung und stellt fest, dass Deutschland zu den „Schlusslichtern“ beim Strafmaß für diese Korruptionsform zählt. Laut dem Blogpost von Netzpolitik.org wurde es bislang vom Bundestag unter Verschluss gehalten. Die Blogger hätten das Gutachten mit der Auflage erhalten, es nicht zu verbreiten oder zu veröffentlichen – inklusive des Warnhinweises, dass die Publikation von Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes einen Verstoß gegen das Urheberrecht darstelle. Dass sie es dennoch publiziert haben, begründen sie damit, dass es keinen erkennbaren Geheimhaltungsgrund für das Gutachten gebe. Bei einer Arbeit, die vom deutschen Volk bezahlte Staatsbedienstete anfertigten, mit dem Urheberrecht zu argumentieren, bezeichneten die Blogger als „indiskutabel“. Entsprechend wollen sie auch die Aufforderung zur Löschung des Dokuments ignorieren.
Joerg Heidrich, Justiziar des Heise-Verlags und IT-Recht-Spezialist, sieht ebenfalls keine zwingenden juristischen Gründe für eine Entfernung des Gutachtens. Die Nutzungsrechte daran lägen mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Bundestag, der allein über eine Veröffentlichung entscheiden könne. Wie in vielen anderen Fällen auch werde hier offenbar das Urheberrecht vorgeschoben, um eine politisch unerwünschte Veröffentlichung zu verhindern
Heidrich vermutet, dass die Forderung nach Unterlassung sogar eher zu einem Streisand-Effekt führen könnten. Damit wird die massenhafte Verbreitung von Inhalten im Netz bezeichnet, deren Veröffentlichung mit juristischen Schritten eigentlich unterbunden werden sollte – benannt nach der US-Schauspielerin Barbra Streisand, die über eine Klage die Löschung von Bilder ihres Hauses erreichen wollte und das Gegenteil bewirkte. So äußerte Beckedahl auch im Posting, gerne Hinweise auf weitere Netz-Backups des Gutachtens entgegenzunehmen. (axk)