Bundestagsanhörung zu Vorratsdatenspeicherung: Rote Linie fürs Datensammeln
Kai-Uwe Steffens, der eine von über 64.000 Mitzeichnern unterstützte Petition gegen die verdachtslose Protokollierung von Nutzerspuren eingereicht hatte, plädierte im Bundestag dafür, beim Datensammeln eine rote Linie zu ziehen.
Kai-Uwe Steffens, der die von über 64.000 Mitzeichnern unterstützte Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht hatte, hat während seiner Anhörung im Bundestag am Montag dafür plädiert, klare Grenzen beim staatlichen Datensammeln zu setzen. "Wir müssen uns die Frage stellen, wo wir die rote Linie ziehen", erklärte der Vertreter des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung im Petitionsausschuss. Für ihn liege diese da, "wo ohne besonderen Anlass gespeichert wird".
Steffens Petition hatte vor über einem Jahr die 50.000 Unterschriften erreicht, die für eine Anhörung im Parlament notwendig sind. Darin wird gefordert, dass die Volksvertreter die Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklären und darauf drängen sollen, dass die EU-Richtlinie aufgehoben wird. Freiheit werde hierzulande vor allem als Abwehrrecht gegen den Staat verstanden, meinte Steffens. Daher sei es auch "beste konservative Politik, auf die Vorratsdatenspeicherung zu verzichten".
Eingriffe in die Grundrechte müssten hierzulande zweckmäßig, erforderlich und verhältnismäßig sein, erklärte Steffens. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten aber festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung der Strafverfolgung nicht überzeugend und nachweisbar nutze. Das sei nur zu erwarten, wenn Verbindungs- sowie Inhaltsdaten der Telekommunikation vollständig sowie zeitlich unbegrenzt aufbewahrt und auch eine mögliche Verschlüsselung aufgebrochen werde. Das wolle aber niemand.
Steffens wertete die derzeit im Einklang mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten praktizierte siebentätige Speicherung von IP-Adressen als Einstieg dafür, dass Kommunikationsdaten der Bürger voll erfasst würden. Gesetzgeber und Strafverfolger müssten dringend Alternativen prüfen, um der Überwachungsspirale zu entkommen. Steffens bedauerte, dass bislang in keinem europäischen Mitgliedsstaat "Quick Freeze" vernünftig durchgeführt worden sei.
Die Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung umriss Steffens am Beispiel Ungarn. Dort habe der Gesetzgeber die Brüsseler Vorgaben 2008 umgesetzt. Doch die mittlerweile gewählte Regierung genüge den rechtsstaatlichen Anforderungen nur noch bedingt. So würden nun dort die Pressefreiheit, die Arbeit der Opposition und die freie Meinungsäußerung nicht zuletzt durch die Vorratsdatenspeicherung stark eingeschränkt. Angesichts der Wirtschaftskrise könnten ähnliche parlamentarische Zustände aber rasch auch anderswo herrschen. Eine Vorratsdatenspeicherung schneide an sich bereits tief in die Grundrechte und könne auch nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts ein diffuses Gefühl des Beobachtetseins erzeugen, erläuterte Steffens weiter. Dagegen wirke richterliche Kontrolle nicht.
Max Stadler, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, bestätigte, es gebe keinen Nachweis für die These, fehlende Verkehrsdaten könnten die Sicherheitslage nachdrücklich beeinflussen. Aus der vom Justizressort in Auftrag gegebenen Studie des Max-Planck-Instituts für Strafrecht lasse sich nicht entnehmen, dass sich die Vorratsdatenspeicherung auf die Aufklärungsquoten auswirke. Es existierten derzeit folglich keine Schutzlücken, solange es die anlasslose Protokollierung nicht gebe. Allerdings sei das von den Forschern ausgewertete Datenmaterial "relativ schmal" gewesen, räumte der FDP-Politiker ein. Es seien immer Einzelfälle denkbar, in denen die Vorratsdatenspeicherung nützliche Ermittlungsansätze bringen könnte.
Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums hielt dagegen, dass ohne Vorratsdatenspeicherung insbesondere bei einer Reihe von Internetdelikten oft ins Leere ermittelt werde. Auch das Umfeld der rechtsextremen NSU-Zelle hätte damit besser aufgeklärt werden können. Er räumte aber ebenfalls ein, dass der strafrechtliche Nutzen nicht wissenschaftlich bestätigt worden sei.
Die Bundesregierung stimmt sich nach wie vor über den Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium für "Quick Freeze plus" ab. Solange dazu kein Ergebnis präsentiert wird, kann im Kabinett keine andere Initiative behandelt werden. Derweil läuft ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. Parallel muss der angerufene Europäische Gerichtshof prüfen, ob die Richtlinie mit den Grundrechten der EU-Bürger vereinbar ist. (anw)