Demokratie in Blöcken – die Blockchain als Politikinstrument
Die Blockchain könnte Politik und Verwaltung optimieren, meint ein britisches Wissenschaftsbüro in einem Bericht. Die Regierung wird darin aufgefordert, Wohlfahrts-Coins, betrugssichere Steuersysteme oder Blockchain-Wahlen zu erproben.
Mancher Internet-Visionär preist sie als neue Killer-Technik: die Blockchain. Über das Prinzip einer dezentralen Buchhaltung in einer verteilten Datenbank, ursprünglich Basis des Bitcoin-Konzepts, ließen sich nicht nur Währungen protokollieren, sondern auch viele andere Güter und Prozesse, im Idealfall deutlich schneller, billiger und sicherer.
Ein Joint-Venture der von der Technik begeisterten Bankbranche erarbeitet zur Zeit etwa einen Standard, über den Banken via Blockchain klassische Währungen, Wertpapiere und andere Finanzprodukte handeln können. Dass sich auch die Arbeitsweise von Politik und Verwaltung optimieren ließe, erörtert das britische Government Office for Science, eine für die Beratung der Regierung zuständige Abteilung des Wirtschaftsministeriums, in einem Bericht.
Magna Carta 2.0?
Das Vorwort stammt von zwei britischen Ministern, die Autoren des Dokuments sind vor allem Vertreter von Blockchain-Startups und von Banken, aber auch Wissenschaftler und Behördenmitarbeiter. Dem verbreiteten Hype über die Blockchain schließen sie sich an: "Die Blockchain-Technik bietet der Regierung einen Rahmen, in dem Betrug, Korruption, Fehlerhaftigkeit und Kosten papier-intensiver Prozesse reduziert werden kann. Sie hat das Potenzial, die Beziehung zwischen Regierung und Bürgern in puncto Datenaustausch, Transparenz und Vertrauen neu zu definieren." Die Auswirkungen der Technik auf die britische Gesellschaft könnten so bedeutend sein wie der der Magna Carta, der Quelle des europäischen Verfassungs-Gedankens. In dem Bericht werden fünf Szenarien skizziert:
Schutz kritischer Infrastruktur
Blockchain-Technik könnte helfen, sensible öffentliche Infrastrukturen wie Brücken, Schutzwälle gegen Hochwasser oder Eisenbahnsysteme besser zu schützen. Die Idee: läuft die jeweilige Software über ein dezentrales System, fallen Manipulation und unbefugte Eingriffe eher auf.
Sozialleistungen könnten in Form von "Wohlfahrts-Coins" ausgezahlt und dokumentiert werden. Unberechtigte Zahlungen ließen sich so vielleicht besser verhindern. Menschen ohne Bankkonto, die heute durchs Raster des Sozialsystems fallen, wären dann an die staatliche Blockchain angeschlossen. Per Smartphone würden sie sich ausweisen und direkt Zahlungen empfangen. Die Autoren merken allerdings kritisch an, dass diesem speziellen Geld das Stigma staatlicher Beihilfe anhaften könnte.
Nachvollziehbare Entwicklungshilfe
Statt klassischen Währungen würden "Entwicklungshilfe-Coins" ausgezahlt, die an den britischen Pfund gekoppelt sind. So ließe sich besser nachvollziehen, wer das Geld ausgibt und ob damit das geschieht, was den Geberländern vorschwebt.
Wenn lokale und nationale Behörden Prozesse über die Blockchain abwickeln, könnte das den bürokratischen Aufwand und damit die Kosten für Unternehmen senken. Denkbar wäre so etwas für die Anmeldung von Unternehmen, die Anträge auf Patente oder auch für die Erhebung von Steuern, von Versicherungs- oder Rentenbeiträgen.
Europäisches Umsatzsteuer-Regime
Zwischen 150 Milliarden und 190 Milliarden Euro pro Jahr geht EU-Staaten heute an Umsatzsteuer verloren, weil Unternehmen durch Tricks legal Steuer vermeiden oder schlicht betrügen, lautet eine in dem Bericht zitierte Schätzung. Ein selbstlernendes, EU-weites System auf Basis Blockchain-basierter Smart Contracts könnte in Echtzeit betrügerische Muster aufdecken, etwa Umsatzsteuerkarussel-Geschäfte.
Zudem denken die Autoren an eine Blockchain für politische Wahlen. Per "Wahl-Coin" würden Bürger ihre Stimme abgeben. Sie könnten überprüfen, ob ihr Votum tatsächlich gezählt wurde und in einer Echtzeit-Demokratie über jedes denkbare Thema abstimmen.
Forschen und testen
In dem Bericht wird die britische Regierung nicht nur aufgefordert, die Technik zu erforschen, sie soll sie auch konkret erproben, Pilotprojekte auf kommunaler Ebene könnten den Anfang machen. Parallel dazu soll der Staat einen passenden Regulierungsrahmen schaffen. Dabei soll er jedoch nicht nur auf Gesetze bauen. Getreu dem Motto "Code is Law" soll er auch versuchen, regulatorische Vorstellungen mit im Code zu verankern.
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(anw)