Disclaimer: Unnötiger Ballast für E-Mails
Was viele Firmen automatisch unter ihre E-Mails schreiben lassen, entbehrt oft jeder juristischen Bedeutung. Und Sinn ergeben solche Disclaimer häufig auch nicht, denn wer weiß schon, ob er der "beabsichtigte Empfänger" ist.
- Tobias Haar
Wer kennt sie nicht, die so genannten Disclaimer, die meist am Ende von E-Mails dem Leser verbieten, diese auch nur zu haben, wenn sie ihm versehentlich geschickt wurde. Alles klar? Hier ein gängiges Beispiel:
"Disclaimer:
Diese E-Mail kann vertrauliche und/oder rechtlich geschützte Informationen enthalten. Wenn Sie nicht der beabsichtigte Empfänger sind oder diese E-Mail irrtümlich erhalten haben, informieren Sie bitte sofort den Absender telefonisch oder per E-Mail und löschen Sie diese E-Mail aus Ihrem System. Das unerlaubte Kopieren sowie die unbefugte Weitergabe dieser Mail ist nicht gestattet."
Fühlt man diesen Distanzierungen mit Verstand und juristischem Blick auf den Zahn, wird schnell klar, dass sie – zumindest in unseren Breitengraden – keine Daseinsberechtigung haben.
Es fängt damit an, dass der Inhalt der falsch adressierten E-Mail ja vom Empfänger schon gelesen und zur Kenntnis genommen wurde, wenn er auf den Disclaimer stößt. Woher aber soll er in jedem Einzelfall wissen, dass er nicht "der beabsichtigte Empfänger" ist? Wie soll er entscheiden, ob die E-Mail "vertrauliche und/oder rechtlich geschützte Informationen" enthält – es ist ja nur die Rede von "kann"? Und dann soll der "unbeabsichtigte Empfänger" auch noch den Absender anrufen und die E-Mail aus dem System löschen? Dass unerlaubtes Kopieren und Weitergeben nicht gestattet sein soll, leuchtet dabei vielleicht noch am ehesten ein.
Wie aber ist der Fall aus juristischer Sicht zu bewerten? E-Mail-Disclaimer stammen aus dem anglo-amerikanischen Rechtssystem, in dem es üblicher ist als hierzulande, selbst den Umgang miteinander zu regeln, weil es häufig an gesetzlichen Vorschriften fehlt. Aber, und dieser Einwand ist aus deutscher Sicht schlagend, wieso sollte sich ein Empfänger an Vorgaben eines anderen halten müssen, den er vielleicht noch nicht einmal kennt? In der Tat ist eine Vorgabe in Disclaimern nicht verbindlich, wenn
zwischen Absender und Empfänger keine vertragliche Beziehung besteht, es sei denn, der Empfänger ist mit deren Geltung einverstanden.
Das Löschen der Nachricht könnte sogar im Konflikt mit dem Gesetz stehen, denn ein Kaufmann hat die Pflicht, geschäftliche E-Mails über einen längeren Zeitraum aufzubewahren. Das schreibt § 257 des Handelsgesetzbuches für "empfangene und abgesandte Handelsbriefe" vor. Es ist unter Juristen mittlerweile herrschende Meinung, dass dies auch für geschäftliche E-Mails gilt. Und dabei spielt es keine Rolle, ob die Mail an den richtigen oder den falschen Empfänger verschickt wurde.
Und was sind die Rechtsfolgen, wenn man sich nicht an den "Disclaimer" hält? Keine, die über das hinausgehen, was gesetzlich ohnehin bereits untersagt ist. Vertragliche Ansprüche bestehen wie gesagt meist nicht. Schadensersatzansprüche können allenfalls wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches bestehen, wofür allerdings sehr hohe Anforderungen gelten. So müsste der Empfänger einer nicht an ihn gerichteten E-Mail ihren Inhalt schon mit der Absicht verwenden, einen anderen zu schädigen.
Befinden sich Absender und Empfänger aber in einer Geschäftsbeziehung zueinander, gelten vertragliche Rücksichtnahmepflichten. Dann ist das Nutzen und Weiterleiten fälschlicherweise erhaltener Informationen unter Umständen wirklich vertragswidrig und kann Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche auslösen. Das aber gilt unabhängig davon, ob man einen Disclaimer verwendet oder nicht.
Leider hilft vielen geschäftlichen E-Mail-Versendern die Erkenntnis nicht weiter, dass ein Disclaimer rechtlich nichts bringt und man sich bei Lichte betrachtet damit eher sogar noch lächerlich macht. Denn in vielen Unternehmen hängt der E-Mail-Server den Text automatisch vor Versand an die E-Mail, ohne dass der Versender dies beeinflussen könnte. Ist man in einem US-Unternehmen beschäftigt, dürfte jeder Versuch, diese Praxis abzustellen, bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Oft sind die Disclaimer noch dazu in Deutsch und Englisch verfasst, sodass man schon einiges an E-Mail-Ballast verschickt.
Letztlich hilft also nur eines: genau darauf zu achten, an wen E-Mails mit Informationen geschickt werden. Handelt es sich wirklich um brisante, geheim zu haltende Inhalte, sollte ohnehin ein sichereres Medium verwendet werden. Oder man nutzt Verschlüsselungsverfahren, um unberechtigte Kenntnisnahme auszuschließen oder jedenfalls deutlich zu erschweren. Eines ist klar: Wer sich nur auf Disclaimer verlässt, ist keineswegs auf der sicheren Seite.
Fortsetzung am 27.12.: Bizarre Stilblüten in Disclaimern
(ck)