Druck auf Wiki-Watch steigt

Wiki-Watch gerät wegen des Vorwurfs der Manipulation von Wikipedia-Artikeln immer stärker unter Druck. Die Vorwürfe gegen einen der Projektleiter sollen nun von der Viadrina-Universität überprüft werden. Das gesamte Projekt könnte auf der Kippe stehen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Die Arbeitsstelle Wiki-Watch an der Europa-Universität Viadrina gerät wegen des Vorwurfs der Manipulation von Wikipedia-Artikeln immer stärker unter Druck. Laut Presseberichten steht das gesamte Projekt auf der Kippe. Die Vorwürfe gegen Wolfgang Stock, einen der Projektleiter, sollen nun von der Universität überprüft werden.

Der Leiter des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wolff Heintschel von Heinegg, erklärte, dass er inzwischen den Dekan und den Präsidenten der Universität eingeschaltet habe. "Wir werden noch im August eine Entscheidung treffen", sagte von Heinegg der Nachrichtenagentur dpa. Geklärt werden müsse, ob man am Leiter der Arbeitsstelle und am Forschungsprojekt insgesamt festhalten könne. Wiki-Watch war im vergangenen Jahr mit dem Anspruch gestartet, mehr Transparenz in die Arbeit der Online-Enzyklopädie zu bringen.

Nachdem Stock in der vergangenen Woche den Vorwurf zurückgewiesen hatte, er habe im Auftrag des Pharma-Konzerns Sanofi-Aventis Wikipedia-Artikel umgeschrieben, räumte der Konzern gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel ein, dass Stock das Unternehmen seit Juli 2009 in Kommunikationsfragen berate – nur kurze Zeit nach den Änderungen, die den Verdacht der gezielten Manipulation nahelegten. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) brachte Stock private Gründe für seine Wikipedia-Arbeiten vor: Seine Großmutter und mehrere Freunde seien zuckerkrank gewesen.

Laut seiner Wikipedia-Historie zeigte Stock selektives Interesse an der Krankheit: So schrieb über den von Sanofi-Aventis hergestellten Wirkstoff Insulin Glargin, mehrfach fügte er Kritik in den Artikel zum "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" ein. "Wikipedia muss für alle Meinungen offen sein und diese angemessen widerspiegeln, wenn es objektiv sein will", erklärte Stock gegenüber heise online. Die Vermutung, er habe PR betrieben, sei "nachprüfbar falsch". Belege dafür lieferte er allerdings nicht.

Gleichzeitig sieht sich Stock auch verdächtigt, er habe mit mehreren Accounts – sogenannten Sockenpuppen – in der Wikipedia gearbeitet. Ein Wikipedia-Nutzer hatte auffällige Übereinstimmungen bei Änderungen verschiedener Accounts in einem Dossier (PDF-Datei) zusammengefasst. Insbesondere der Account "Investor" sorgt unter Wikipedianern für Misstrauen, da er in zahlreichen Artikeln mit direktem Bezug zu Stocks Umfeld editiert hatte und obendrein einen Fragebogen für eine Umfrage der Arbeitsstelle Wiki-Watch hochgeladen hatte.

Stock sieht sich als Opfer einer Kampagne: "Der letzte Edit in Wikipedia von mir stammt nachweislich vom 16.1.2010. Ich habe daher auch keinerlei Wikipedia-Artikel mehr bearbeitet, als das Projekt Wiki-Watch im Oktober 2010 startete", erklärt Stock. Darüber habe er eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Gegenüber der Märkischen Oderzeitung erklärte der zweite Initiator der Arbeitsstelle "Wiki-Watch", der Medienrechtler Johannes Weberling, er wolle eine Unterlassungserklärung gegen die Darstellung der FAZ erwirken.

In der Tat sind Sockenpuppen selbst mit dem in der Wikipedia angewandten Checkuser-Verfahren kaum zweifelsfrei nachzuweisen. Bei dem Verfahren werden unter anderem die IP-Adressen überprüft, mit denen sich verdächtige Accounts eingeloggt hatten. Stock hatte bereits angegeben, dass mehrere Mitglieder seines Haushalts in der Wikipedia editiert haben, übereinstimmende IP-Adressen seien so unvermeidlich.

Trotzdem verwickelt sich Stock immer wieder in Widersprüche. So hatte er auf seiner Facebook-Seite erklärt, dass er im April 2009 einen Insulin-Artikel angelegt hatte. Unter seinem Account "Kan900" ist jedoch kein solcher Beitrag zu finden, stattdessen hat der ominöse Nutzer "Investor" den Artikel Insulin Glargin im fraglichen Zeitraum angelegt. Inzwischen wurde im Facebook-Eintrag das Wort "ich" durch "wir" ersetzt. Gegenüber heise online gestand Stock ein, die Identität von "Investor" und des ebenfalls gesperrten Nutzers "Diskriminierung" zu kennen. Er wolle aber die Anonymität der Nutzer wahren. Eine Erklärung für seinen Facebook-Eintrag lieferte Stock nicht. (vbr)