EU-Staaten untergraben die Netzneutralität
Der EU-Rat hat eine Position verabschiedet, mit der Provider Schnellspuren im Internet einrichten und ein Zwei-Klassen-Netz aufziehen könnten. Auflagen zum Blockieren von Inhalten müssten nicht immer eine Gesetzesbasis haben.
Die Telecom-Lobby hat sich beim jüngsten Beschluss des EU-Rates für ein Regulierungspaket für den elektronischen Binnenmarkt nach einigem Hin und Her weitgehend durchsetzen können. So sieht die am Mittwoch verabschiedete Linie der Mitgliedsstaaten keine echten Hürden für ein Zwei-Klassen-Netz vor. Provider könnten schier nach Belieben kostenpflichtige Zusatzdienste und Schnellspuren im Internet einführen.
Konkret heißt es in dem Verordnungsentwurf in Artikel 3.3, dass es öffentlichen Telekommunikationsanbietern freistehen sollte, entsprechende Vereinbarungen mit "Endnutzern" zu treffen. Dazu zählt das Papier auch Anbieter von Inhalten, Anwendungen und anderen Services. Den Providern soll es gestattet werden, diesen Gruppen Spezialdienste zu verkaufen, die eine besondere "Qualitätsstufe" benötigen.
EU-Rat versus EU-Parlament
Das Ministergremium stellt sich damit gegen die Initiative des EU-Parlaments. Die Abgeordneten haben Netzneutralität klar als Grundsatz definiert, wonach "der gesamte Internetverkehr gleich und ohne Diskriminierung, Einschränkung oder Störung unabhängig von Absender, Empfänger, Art, Inhalt, Gerät, Dienst oder Anwendung behandelt wird". Spezialdienste wollen die Volksvertreter nur unter strengen Voraussetzungen akzeptieren.
Der Rat möchte zudem die Möglichkeiten von Providern für Netzwerkmanagement ausdehnen. Es soll etwa zum Erfüllen "rechtlicher Verpflichtungen", zum Bewahren der Netzwerksicherheit, zum Verhindern von Staus auf dem Datenhighway oder zum Ausfiltern von Spam auf Nutzerwunsch hin gestattet sein.Auch der EU-Kommisar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, hat sich jüngst auf einer Diskussionsveranstaltung in diese Richtung geäußert. Er sieht bei den strikten Befürwortern der Netzneutralität gar "Taliban-artige" Züge.
Auch fĂĽrs Implementieren von KinderschutzmaĂźnahmen durch Eltern wird ein Freibrief zum Verkehrsmanagement erteilt, obwohl diese eigentlich nutzer- und nicht netzseitig einzurichten sind. Offenbar hatten die Mitgliedsstaaten hier auch voreingestellte Porno-Filter im Blick, die in GroĂźbritannien ĂĽblich sind.
Die rechtlichen Vorgaben zum Blockieren oder Filtern unrechtmäßiger Internetinhalte werden in den Erwägungsgründen zudem sehr weit gefasst. Die Rede ist dort nicht nur von Gesetzen, Gerichtsanordnungen oder vergleichbaren Entscheidungen von Behörden, sondern auch von "anderen Maßnahmen", die das Befolgen einschlägiger Gesetze sicherstellen sollen.
Bedenken wegen vager Formulierungen
Bei der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) schrillen angesichts derlei vager Formulierungen die Alarmglocken. Der Text sei bewusst unklar gehalten worden, beklagt die Vereinigung. Damit erzeuge er "ausreichend Unsicherheit", um Dinge wie Eingriffe in Datenpakete ohne klare Rechtsgrundlage zu erlauben, was die Europäische Grundrechtscharta eigentlich untersage. Auf diese Weise würden auch die Privatsphäre und die Meinungsfreiheit der Nutzer unterwandert, nicht nur das Prinzip des offenen Internets.
Über seinen Vorschlag will der Rat nun direkt mit dem Parlament verhandeln. Sollten sich beide Seiten einig werden, würden die abgesegneten Bestimmungen sofort das bestehende nationale Recht ersetzen. Nach Ansicht der EDRi-Aktivisten hoffen die Mitgliedsstaaten, dass sich die Abgeordneten in den Gesprächen vor allem auf Nachbesserungen beim Abbau der Roaming-Gebühren konzentrieren und der Netzneutralität weniger Aufmerksamkeit schenken. Auch der hiesige Verein "Digitale Gesellschaft" kritisiert den "Torpedo" der EU-Staaten gegen das offene Internet scharf.
(js)