EU-Staaten verabschieden sich von der Datensparsamkeit
Die Justiz- und Innenminister der EU wollen wesentliche Datenschutzprinzipien untergraben. So stellen sie die "legitimen Interessen" von Firmen und Ämter an Personendaten – etwas zum Zwecke des Direktmarketing – vor die Interessen der Betroffenen.
Bei den Grundsätzen zum Sammeln personenbezogener Daten hat sich die Industrielobby im EU-Rat weitgehend durchsetzen können: Firmen, öffentliche Verwaltungen und sogar "Drittparteien" sollen dem Beschluss nach persönliche Informationen schon dann für andere Zwecke als ursprünglich angegeben verarbeiten dürfen, wenn ihre "legitimen Interessen" schwerer wiegen als die der Betroffenen. Auf diese weitgehende Änderungen am Vorschlag der EU-Kommission zu Kapitel 2 der geplanten Datenschutzverordnung haben sich die Justiz- und Innenminister der Mitgliedsstaaten am Freitag geeinigt.
Vorgaben zum sparsamen Umgang mit personenbezogenen Informationen im Sinne des etwa im Bundesdatenschutzgesetz noch festgeschriebenen Ansatzes der "Datenvermeidung" haben die Regierungsvertreter aus dem Entwurf gestrichen. Sie folgten damit der Empfehlung der federführenden Ratsarbeitsgruppe. Woher der Wind bei dieser Abkehr von bisherigen Datenschutzprinzipien weht, zeigt ein neu eingefügter Erwägungsgrund. Darin unterstreichen die Minister im Einklang mit einem Vorstoß der früheren italienischen Ratspräsidentschaft: Das Verarbeiten persönlicher Daten für Zwecke des Direktmarketings soll von den berechtigten Interessen der Informationssammler gedeckt sein.
Als weiteres Beispiel für eine derartige Freigabe des Datensammelns nennt das Papier eine bestehende "relevante und angemessene Beziehung" zwischen dem Betroffenen und der Informationen verarbeitenden Stelle wie etwa ein Kundenverhältnis. Es sei auf jeden Fall sorgfältig zu ermessen, ob ein "Datensubjekt" zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem umrissenen Kontext erwarten könne, dass seine Informationen zu einem speziellen Zweck genutzt werden. Dies steht zumindest in den Erläuterungsgründen, im eigentlichen Gesetzestext tritt diese Bedingung weniger deutlich zutage.
Als weitere Bedingung für eine Datenverarbeitung wird die "unzweideutige Einwilligung" des Betroffenen angeführt. Sollte dafür eine schriftliche Erklärung nötig sein, sewien gesonderte Anforderungen erforderlich. So müsse das Opt-in-Gesuch gut von anderen Angelegenheiten unterscheidbar, einfach verständlich und zugänglich sowie in klarer Sprache gehalten sein.
Für das Nutzen besonders sensibler Daten – etwa bezüglich Gesundheit, Rasse, Gene, sexuelle Vorlieben, Glaubensüberzeugungen oder eine Gewerkschaftsmitgliedschaft – wird eine "explizite" Einwilligung vorgeschrieben, wie sie bislang generell schon gilt. Auch diese Hürde wird aber mehrfach ausgehöhlt, etwa wenn ein Nutzer entsprechende Informationen selbst über sich beispielsweise im Internet preisgibt oder die Daten für medizinische Diagnosen nötig sind.
Allgemein soll ein Erheben persönlicher Informationen gestattet sein, wenn es nicht "exzessiv" ist. Als "Rechtsgrundlage" gelten nicht nur Gesetze der Mitgliedsstaaten, sondern auch andere "klare" und in ihren Folgen vorhersehbare staatlichen Akte. Das Heranziehen persönlicher Informationen wird immer dann als rechtmäßig angesehen, wenn dies "im öffentlichen Interesse" ist oder zum Erfüllen einer offiziellen behördlichen Befugnis erfolgt. Auch ein Verarbeiten zu "wissenschaftlichen, statistischen oder historischen Zwecken" wollen die EU-Staaten für legal erklären.
Seine Position zu der gesamten Verordnung hat der Rat nach wie vor nicht abgesteckt. Den Änderungen muss auch das Parlament noch zustimmen, das in vielen Punkten zunächst eine andere Meinung vertreten hat. (uk)