Free Software Summit: Kampagne für "öffentliche Software" in der Verwaltung
Die Aktivistin Katharina Nocun plädiert dafür, mehr freie Software in die Behörden zu bringen. Nötig seien dafür zunächst gute und schlechte Beispiele, wie die öffentliche Hand mit Steuergeldern im IT-Bereich umgeht.
Für Katharina Nocun steht außer Frage: Freie Software und die öffentliche Verwaltung passen wie die Faust aufs Auge. Damit könnten Steuergelder eingespart, Codezeilen und ganze Anwendungen weitergegeben, wiederverwendet und verbessert sowie etwas für Datenschutz und -sicherheit getan werden, konstatierte die Aktivistin am Samstag auf einem Treffen der Free Software Foundation Europe (FSFE) am Rande der "QtCon" in Berlin. Nötig sei eine Kampagne, um auch die Politik davon zu überzeugen.
Gesetzliche Verpflichtung
Langfristig sei eine gesetzliche Verpflichtung erforderlich, wonach möglichst viele IT-Projekte in Behörden mit freier Software verwirklicht werden müssten, erläuterte sie. Bis es soweit sei, bräuchten Entscheidungsträger konkrete Beispiele, wie sich mit Open Source ihre Arbeit und den Bürgerservice verbessern könnten. Hilfreich seien auch gegenteilige Darstellungen, wie derzeit in Ämtern Gelder für Programme und Systeme verschwendet würden.
Nocun stieß etwa in der kleinen bayerischen Gemeinde Zolling auf eine seit 2013 eingesetzte "Bürger-App" des Dienstleisters Komuna. Die Funktionalität reiche von Informationen über Events für Touristen über ein virtuelles Fundamt bis zur Registrierung von Hunden. Zolling habe dafür einmalig 4700 Euro gezahlt, dazu komme eine monatliche Betriebsgebühr.
Jeder zahlt für sich
Für die 14.000 Einwohner höre sich das zunächst günstig an, meinte die Politologin. 85 andere Städte nutzten die App in ähnlicher Form aber ebenfalls. Insgesamt könnten hierzulande rund 12.000 Gemeinden Interesse an einer vergleichbaren Anwendung haben, was ein Kostenpotenzial von 65 Millionen Euro für die Software und 28 Millionen pro Jahr für den Betrieb ausmache. Allein mit einem solchen Mobilprogramm würden enorme Steuergelder verprasst und Synergien nicht genutzt.
Ähnlich verhalte es sich mit der proprietären "Blockwart-App", die Berlin jüngst für 910.000 Euro in Betrieb genommen habe, ergänzte Nocun. Viele Kommunen hätten vermutlich gern vergleichbare Anwendungen, "mit denen die Bürger ausgefallene Straßenlaternen oder Schlaglöcher melden können". Wenn diese auf freier Software basierte, könnten Entwickler vor Ort den Code an eigene Bedürfnisse anpassen, also etwa "Denunziationsfunktionen" sowie Google Maps austauschen. Vergleichbare Kritik brachte Nocun an den Katastrophenschutz-Anwendungen wie KatWarn oder Nina an.
Transparenz und Werbung
"Das alles sind nur Teile eines großen Puzzles", erläuterte sie. "Überall in Europa werden Steuergelder verschwendet, Innovationspotenziale gehen verloren." Begrüßenswert wäre es daher, wenn Politiker "beim nächsten Projekt von Anfang an freie Software in Betracht ziehen". Um eine einschlägige Lobby-Kampagne vorzubereiten, müsste zunächst mehr Transparenz etwa mit Informationsfreiheitsanfragen geschaffen werden, welche Verwaltungen welche Softwareanwendungen zu welchen Bedingungen förderten.
Die FSFE hat zu diesem Zweck ein Wiki aufgesetzt, in das Informationen aus ganz Europa einfließen sollen. Sie hofft auf aktive Mitstreiter. Gesucht werden laut FSFE-Präsident Matthias Kirschner auch noch Experten für Automatisierungssoftware, die helfen, Daten etwa aus gelieferten Dokumenten herauszuziehen, zusammenzutragen und zu analysieren.
Rechte auf Aktenzugang
Karel De Vriendt, Ex-Chef des Teams für das Programm der EU-Kommission für interoperable Dienste in der öffentlichen Verwaltung, hatte zuvor Einblicke in die "noch nicht immer glückliche Beziehung" zwischen Behörden und Open Source gegeben. Für ihn ist klar: Wenn ein Amt auf Kosten der Steuerzahler für den eigenen Einsatz Software entwickeln lässt, "sollte es alle Rechte daran haben". Auch Code sei ein "Dokument" und falle unter die EU-weit festgeschriebenen Rechte auf Aktenzugang und zur Verwendung öffentlicher Informationen. Es spräche also vieles dafür, solcherlei "für jeden verfügbar zu machen, möglichst über eine Open-Source-Lizenz".
Lobbyisten gegen Open Source
Inzwischen habe die EU-Kommission ihre eigene Open-Source-Strategie abgesteckt. Freie Software soll damit bei Beschaffungen gleiche Chancen gegenüber proprietären Angeboten haben. Stellen wie die französische Gendarmerie oder die italienische Armee hätten große Open-Source-Projekte auf den Weg gebracht. Trotzdem sei es nicht einfach, die Linie im Alltag durchzuziehen: Viele Lobbyisten in Brüssel verbreiteten nach wie vor die schräge Botschaft, dass keiner freie Softwareprojekte aufrechterhalte.
Auch der Leitfaden der Kommission für offene Standards sei nicht einfach auf den Weg zu bringen gewesen, plauderte De Vriendt aus. Großen Normungsinstituten wie der ISO sei dieser ein Dorn im Auge, da sie bislang Geld allein für die Beschreibungen der Früchte ihrer Arbeit verlangten. Zudem sei bei eingebauten Patenten alles auf die in der Regel eine Vergütung vorsehende Frand-Basis ("Fair, Reasonable And Non-Discriminatory") ausgerichtet gewesen, die mit freier Software nicht harmoniere. Internet-Normungsgremien wie die IETF, Oasis oder das W3C seien in Brüssel zudem erst nach und nach anerkannt worden. (kbe)