Gewaltfreie Lernspiele mit Deutschem Computerspielpreis gekürt

Überraschend wurde das Aufbauspiel Anno 1404 für den internationalen Preis nachnominiert, und bewahrte die Jury davor, ein gewalthaltiges Actionspiel küren zu müssen.

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Am gestrigen Abend wurde in Berlin der mit insgesamt 500.000 Euro dotierte Deutsche Computerspielpreis zum zweiten Mal verliehen. Mit dem Preis sollen deutsche Entwicklerstudios geehrt werden, deren Spiele besonders "innovativ, kulturell und pädagogisch wertvoll" sind. Die in den Verkaufsranglisten meist auf den vorderen Plätzen rangierenden Action-Spiele und Shooter gehören da allerdings nicht zu. "Der Deutsche Computerspielpreis soll kein Umsatzverstärker für Spiele aller Art sein", erklärte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Der Preis unterscheidet sich bereits in seinen Kategorien stark von anderen internationalen Auszeichnungen der Spielebranche, wie den Game Developers Awards. Statt einzelne technische Kategorien zu bewerten, kürt der Deutsche Computerspielpreis Kinder- und Jugendspiele, Serious Games und Lernspiele, Konzepte aus Schüler- und Studentenwettbewerben sowie Mobil- und Online-Spiele. So ist es auch kein Wunder, dass der gemeine Computer- und Videospieler, der seine Informationen aus der Spielfachpresse bezieht, von den meisten Preisträgern zuvor noch nie etwas gehört hat.

So wurde als bestes Kinderspiel Capt'n Sharky für Nintendo DS ausgezeichnet, ein reines Lernspiel für Vorschulkinder aus dem Tivola-Verlag. In der Begründung heißt es: "Gerade Kinder ab 4 Jahren werden durch den Sprecher und die intuitive Steuerung an die Hand genommen." Sicherlich wurde Capt'n Sharky vorbildlich umgesetzt und bietet neben Deutsch auch eine Sprachoption für Türkisch an. Die Juroren scheinen sich allerdings nicht mit der Frage auseinandergesetzt zu haben, ob denn eine Handheldkonsole als solche das richtige Spielzeug für einen Vierjährigen ist, oder ob es pädagogisch nicht sinnvoller wäre, die Kleinen zunächst mit richtigen Büchern, Papier und Buntstiften lernen zu lassen, wie man sich auch ohne elektronische Hilfe beschäftigen kann.

Nicht nur für Jugendliche interessant:Das skurrile PC-Adventure The Whispered World von Deep Silver

(Bild: Deep Silver)

Den Preisträger The Whispered World empfiehlt die Jury für Jugendliche ab zehn Jahren. Das PC-Adventure von Deep Silver besteche "durch seine spannende Geschichte, dichte Atmosphäre, tolle Musik, gute Sprecher und eine gehörige Portion Witz". Besonders hoben die Juroren den "witzigen" Kopierschutz hervor, der mit dem Spiel beigelegten Würfeln arbeitet – es geht also auch ohne Online-Zwang.

Den Spagat zwischen der Vermittlung von Wissen und Spaß gelang im vergangenen Jahr dem Serious Game "Experimente" der IW Medien GmbH am besten, das mit kleinen Mini-Spielen Zusammenhänge der Mechanik und Hydraulik verdeutlicht. Abseits solcher zweck- und lerngebundenen Spiele wurde das DS-Remake der Giana Sisters als bestes Mobiles Spiel ausgezeichnet. Auch hier dominiert offenbar der pädagogische Anspruch des Preises, denn Giana Sisters sei "für Männer wie Frauen attraktiv und enthält nur minimale aggressive Elemente", so die Begründung.

Mit dem Preisgeld von 15.000 Euro kann der Schüler Frederic Schimmelpfennig sein Spiel Goosegogs für die geplante Veröffentlichung im September 2010 weiter entwickeln.

(Bild: Frederic Schimmelpfennig)

Während in der Kategorie "Bestes Online-Lernspiel" in diesem Jahr mangels Qualität der eingereichten Titel kein Preis vergeben wurde, gewann die Hotelsimulation WeWaii von Travian Games aus München den Preis als bestes Browser-Spiel. Für ihre Konzepte für "Goosegogs" und das Horror-Adventure Night of JoeAnne wurden ein Schüler der Nikolaus-August-Otto-Schule in Bad Schwalbach sowie Studenten der Mediadesign Hochschule Düsseldorf ausgezeichnet. Für sein an Locoroco erinnerndes Jump&Run Goosegogs, dass im September 2010 auf den Markt kommen soll, erhielt Frederic Schimmelpfenning 15.000 Euro Preisgeld.

Das von Related Designs in Mainz programmierte und von Ubisoft vertriebene Aufbauspiel Anno 1404 wurde gleich doppelt prämiert, als bestes deutsches und bestes internationales Spiel. In der letztgenannten Kategorie war es zuvor zu einem Disput gekommen. Zu den nominierten Spielen gehörte nämlich nicht nur das kinderfreundliche "Professor Layton und die Schatulle der Pandora", sondern auch zwei weniger "pädagogisch wertvolle" Titel wie das Rollenspiel "Dragon Age Origins" und Sonys Action-Abenteuer "Uncharted 2", das zuvor bereits viele internationale Preise gewonnen hatte. Doch mit beiden Titeln konnten sich die Vertreter aus der Politik nicht anfreunden, weshalb in letzter Minute Anno 1404 nachnominiert wurde.

Sicherlich gibt es an der Qualität des jetzigen Preisträgers nichts auszusetzen. Man könnte der Jury allenfalls vorwerfen, den Punkt "Innovation" zu wenig berücksichtigt zu haben, wenn sie die vierte Auflage einer Aufbau-Serie als "Bestes Spiel" kürt, die bis in das Jahr 1998 zurückreicht. Zurücktreten sollte der Deutsche Computerspielpreis jedoch von seinem Anspruch, Computer- und Videospiele in ihrer Gesamtheit "als Kuturgut adeln" zu wollen. Die Kontroversen um die Nominierungen für Uncharted 2 in diesem oder GTA IV im vergangenen Jahr verdeutlichen, welch krampfhaftes Verhältnis deutsche Politiker und Pädagogen noch immer zu elektronischen Spielen haben, die sie keinesfalls als legitimes Unterhaltungsmedium für Erwachsene ansehen. Sie verdammen nicht nur jede Form von gewaltsamer Auseinandersetzung und plädieren für das utopische Ideal eines sauberen Bildschirms, sondern sie billigen den Spielern nicht einmal zu, ihre Spiele völlig sinnfrei genießen zu wollen, ohne dabei immer gleich etwas lernen zu müssen. Mit diesem Ansatz poliert der Deutsche Computerspielpreis zwar das Image der Spielindustrie bei besorgten Eltern auf, geht aber an den eigentlichen Vorlieben der Spieler vorbei.

Ehrlicher wäre es, wenn der Preis auf seine beiden Hauptkategorien "Bestes Deutsches Spiel" und "Bestes Internationales Spiel" – die dem absoluten Anspruch ihres Titels kaum gerecht werden können – verzichten würde und sich künftig nur noch auf pädagogisch wertvolle, gewaltfreie Computerspiele konzentriert. Dann könnten auch die "kleinen" Preisträger aus dem Schatten der großen, kommerziell erfolgreichen Titel wie Anno 1404 heraustreten und sich in einer größeren medialen Aufmerksamkeit sonnen, die ihnen sonst verwehrt bleibt. (hag)