Google will mit Experten netzpolitisches FrĂĽhwarnsystem etablieren

Der Suchmaschinenkonzern hat mit 34 Sachverständigen und einer Online-Umfrage im Rahmen der Denkfabrik "Internet & Gesellschaft Collaboratory" erstmals eine Reihe von Themen beleuchtet, die der Netzgemeinde unter den Nägel brennen.

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Google Deutschland hat eine Denkfabrik ins Leben gerufen, um netzpolitische Fragestellungen zu beleuchten sowie mit der Politik und der Öffentlichkeit zu debattieren. Es gehe darum, in einem ersten Schritt verschiedene Akteure aus Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen und die erarbeiteten Thesen und Empfehlungen danach in der Breite zu diskutieren, erläuterte Max Senges, Mitarbeiter im Bereich Öffentlichkeitsarbeit bei Google und einer der Hauptinitiatoren des "Internet & Gesellschaft Collaboratory", am heutigen Donnerstag bei einem Pressegespräch in Berlin. "Wir sind eine Vortastgruppe", umschrieb er den Zweck des von Google "organisatorisch und administrativ" unterstützten Panels näher. Das Netzwerk solle "Transformation und Veränderungen, die zur digitalen Gesellschaft führen", ausloten.

Von reiner Lobby-Arbeit will Senges nicht sprechen. Die gewonnenen Anregungen könnten sich zwar auch auf "Aktionen" beziehen", meinte der gelernte Philosoph und Wirtschaftsinformatiker. "Reguliert zu werden ist etwas Unangenehmes", geht er auch auf direkte Interessen Googles ein. Es sei daher besser, die Politikgestaltung vorher mit einem breit gestreuten Expertenteam "konstruktiv zu begleiten". Klassisches Lobbying funktioniere im Netzzeitalter nicht mehr, ergänzt Wolfgang Kleinwächter. Der Professor für Internet-Politik an der Universität Aarhus will die Politik lieber in einem frühen Stadium in Gestaltungsfragen der digitalen Welt einbezogen wissen, "um spätere Konfrontationen" wie etwa im Streit um das Zugangserschwerungsgesetz zu vermeiden. Das Collaboratory versteht er so als "Frühwarnsystem", um die Gesellschaft auf netzpolitische Brennpunkte aufmerksam zu machen.

Die Initiative kommt für Pavel Richter, Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland, zur rechten Zeit. Die "Aufnahmebereitschaft" für Belange der Netzgemeinde sei auf politischer Seite spätestens mit der Einberufung der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft "deutlich gestiegen", meint der frühere IT-Berater. Man sehe die Politik daher nicht als "Gegenseite", sondern als "Ansprechpartner und Resonanzboden".

In einem ersten Schritt hat das Netzwerk mit 35 Sachverständigen und einer Online-Umfrage unter 530 von diesen "per Schneeballmethode" ausgewählten weiteren "alten" Netzhasen recht allgemeine Fragestellungen rund um "Innovationskultur in der digitalen Gesellschaft" in den Fokus genommen. Dabei wurden von der Lenkungsgruppe jeweils zwei möglichst provokative Thesen zu einem Thema gegenübergestellt, die durch Kommentare ergänzt werden konnten. Die auf diese Weise abgegebenen rund 2300 Erklärungen müsse man immer mit im Auge behalten, warnte Senges vor einer Verengung der Ergebnisinterpretation auf die rein qualitativen Zahlen. Die "nicht-repräsentative" Teilnehmerrunde schlüsselte er etwas genauer auf: 84 Prozent männlich, 46 Prozent zwischen 26 und 39 Jahren alt.

Gemäß den veröffentlichten Resultaten sind etwa 68 Prozent der Befragten der Ansicht, dass bestehende Gesetze verändert werden müssen, um Internet-Innovationen zu ermöglichen. 76 Prozent sehen das Netz zugleich als globalen Raum, der eines "übergreifenden sozialen und rechtlichen Rahmens" ohne nationale Alleingänge bedarf. Als besonders groß erachten die Teilnehmer etwa den Modernisierungsbedarf etwa beim Urheberrecht: 81 Prozent halten die derzeitigen Regelungen "zum Schutz des sogenannten geistigen Eigentums" für eine Innovationsbarriere, da sie den Zugang zu Wissen begrenzten. Es bedürfe einer "grundlegender Reform des Urheberrechts" nicht nur unter Einbezug der klassischen Verwertungsindustrie, sondern auch neuer, breiter Nutzergruppen, leitete Richter aus diesem Votum ab.

Auch bei Datenschutzaspekten zeichneten sich klare Mehrheiten ab. 89 Prozent bezeichneten die anonyme Nutzung als "notwendiges, unverzichtbares und schützenswertes Grundprinzip des Internets", während sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) jüngst in einer Grundsatzrede gegen eine "schrankenlose Anonymität" ausgesprochen hatte. 81 Prozent lehnten das Sammeln personenbezogener Daten ohne Zustimmung der Betroffenen ab. Der Endnutzer sollte verschiedene Optionen zur Verfügung haben und anonym surfen können, "wenn er es will", forderte Kleinwächter auf dieser Basis. Dabei müsse man aber abwägen "zwischen Finanztransaktionen", wo eine Geldwäsche ausgeschlossen werden könnte, und der Meinungsäußerung etwa in Online-Foren. Generell würden die Gegensatzpaare deutlich machen, dass "schützenswerte Güter" häufig auf beiden Seiten stünden und in eine Balance zu bekommen seien.

Die Experten, die einzelne Ergebnisse der Sondierung vorstellten, wiesen wiederholt darauf hin, dass verschiedene Thesen als "Potenzial" verstanden werden wollten. So rangen sich etwa 73 Prozent der Befragten durch, Online-Innovationen als Ermöglichung von mehr Autonomie und Selbstbestimmung für Arbeitnehmer zu charakterisieren. 82 Prozent entschieden sich dafür, dass das Internet Chancengleichheit in der Gesellschaft schaffe, da es den Zugang zu Wissen vereinfache. 87 Prozent fanden, dass das Netz zu einem kritischen und reflektierten Umgang mit Informationen führe. Die kommenden Runden sollen im Sommer und im Herbst die Bereiche E-Government und die gewünschte sowie geplante Urheberrechtsnovellierung stärker in den Blick nehmen. Ob eines Tages auch die beklagte Monopolstellung einzelner Suchmaschinenbetreiber analysiert werden könnte, blieb offen. Interessenten sind eingeladen, sich über den Prozess in einem eigenen YouTube-Channel zu informieren und diesen mit eigenen Video-Botschaften oder Kommentaren zu begleiten. (jk)