IEEE-Tagung: Von Privatsphäre, SDN und Spektrumsquerelen

Beim Treffen der IEEE-Arbeitsgruppen rund um Netzwerktechnik ging es nicht nur um möglichst gute Wiederherstellung der Privatsphäre in der Post-Snowden-Ära, sondern auch um Software Defined Networks, parallele Spektrumsnutzung durch LTE und WLAN sowie Gigabit-Ethernet über Plastikfasern.

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Von
  • Peter Jensen
Inhaltsverzeichnis

Die diesjährige Juli-Tagung der IEEE-Arbeitsgruppe 802 fand in der vergangenen Woche in San Diego statt. Zum wiederholten Male widmete sich die Gruppe den technischen Herausforderungen, die die durch Edward Snowden aufgedeckte, verdachtsunabhängige und flächendeckende Überwachung der Telekommunikation aufwirft.

Der Vortrag Pervasive Surveillance of the Internet klassifizierte die Angriffe auf die Privatsphäre und nannte Beispiele, wie diese Bedrohungen zu verringern sind. Dabei wurde deutlich, dass nicht allein Verschlüsselung wichtig ist, wie sie typischerweise in den von der IETF betrachteten Protokollschichten zum Einsatz kommt: Auch in der darunterliegenden, von den Normen der IEEE 802 betrachteten Medienzugriffsschicht werden Änderungen nötig, um ein höheres Maß an Privatsphäre wiederherstellen zu können.

Zufällig erwürfelte MAC-Adressen sollen nach Netzen scannende WLAN-Geräte anonymisieren, sodass etwa schnüffelnde Mülleimer wie anno 2012 in London nicht mehr zu Bewegungsprofilen beitragen können.

(Bild: Renew )

Unter anderem wurde die massenhafte, ortsbezogene Sammlung von MAC-Adressen von WLAN-Geräten genannt, wie sie während der olympischen Spiele in London anno 2012 mit schnüffelnden Mülleimern geschah. Positiv wurde dabei der Hersteller Apple und sein kommendes Mobilbetriebssystem iOS 8 hervorgehoben, das für das Scannen nach WLAN-Netzen zufällig generierte MAC-Adressen verwenden soll. So wird ein iOS-8-Nutzer erst dann identifizierbar, wenn er sich tatsächlich mit einem AP verbindet und nicht schon, wenn er durch das bloße Passieren eines fremden APs eine eindeutige Kennung hinterlässt.

Einige Tagungs-Teilnehmer forderten, eine generelle Empfehlung zu entwickeln, wie IEEE-802-Geräte zufällig generierte MAC-Adressen verwenden können, die nur für die Zeitdauer einer Sitzung konstant bleiben. Andere verwiesen darauf, dass das bereits heute im Rahmen der zugrundeliegenden Normen zulässig sei, und folglich keiner Normenänderung, sondern nur der Umsetzung durch die Hardwarehersteller bedürfe. Die IEEE 802 dürfte deshalb mittelfristig eine Recommended Practice entwickeln, die Möglichkeiten zum Schutz der Privatsphäre aufzeigt.

Ausgehend von einer Studiengruppe des IEEE-802-Führungsgremiums ist die Gruppe 802.1CF entstanden, die sich dem gegenwärtigen Modethema der Netzentwickler widmet: Software Defined Networking (SDN) treibt die Abstrahierung des Netzwerks auf die Spitze und soll zum einen Netzwerkelemente besser auslasten und zum anderen das Netzwerk selbst flexibler machen. Von je her haben Netzelemente wie Brücken (Switches) und Router eine zentrale Management-Einheit, die anhand bestimmter Kriterien festlegt, über welchen Port ein empfangenes Paket wieder herauszuschicken ist. Bisher waren diese Kriterien hauptsächlich in der Hardware – den Switch-Controllern – festgelegt und nur teilweise parametrierbar.

Mit SDN sollen Netzwerke effizienter werden und sich schneller auf neue Aufgaben einstellen, indem der Datenverkehr zentral und herstellerunabhängig gesteuert wird.

(Bild: Open Networking Foundation )

Bei SDN erledigt ein herstellerunabhängiger Controller die Fallentscheidung. Damit soll es möglich werden, die Entscheidung durch übergreifende Steuerung mehrerer Einheiten eines Netzwerksegments nach neuen Kriterien zentral zu treffen. So sollen Datenströme agiler auf Netzelemente verteilt oder zwischen diesen durchgeleitet werden. Das logisch oder physisch zentrale Element braucht nun normierte Schnittstellen, um auf alle Netzelemente einheitlich zugreifen zu können. Diese Schnittstellen soll 802.1CF übergreifend für alle IEEE-802-Normen entwickeln. Wie die einzelnen Gruppen (802.3 für LAN/WAN, 802.11 für WLAN, 802.15 für Zigbee, Bluetooth, etc.) zuarbeiten werden, bleibt abzuwarten.

In der WLAN-Gruppe 802.11 hat es dieses Mal die bemerkenswerte Entscheidung gegeben, einer bereits beantworteten Anfrage des Mobilfunk-Normengremiums 3GPP ein weiteres Schreiben hinterherzuschieben: Während im Mai noch Einigkeit bestand, welche WLAN-Messwerte die 3GPP nutzen könnte, um ein Mobilfunkgerät anzuweisen, Datenverkehr vom Mobilfunknetz ins WLAN und umgekehrt zu verlagern (Wifi Offload), war man sich jetzt nicht mehr so einig, dass die verschickte Antwort die richtige sei. Da 3GPP aber bereits im August tagen wird und die nächste Generation (Release 12) der Mobilfunknorm schon bald zu verabschieden plant, wurde die neue Empfehlung in aller Eile entwickelt. Unklar ist, wie die 3GPP mit diesem Hin und Her umgehen wird.

Die Quelle des Schreibens, die Arbeitsgruppe 802.11mc (Standard Maintenance), hat gegenwärtig einige kontroverse Themen auf der Agenda: Nachdem 11mc zu Beginn des Jahres die Industrievereinigung Wi-Fi Alliance (WFA) um Stellungnahme bezüglich der Einmottung der 802.11b-Norm bat, hat Letztere nach langen internen Querelen geantwortet. Die WFA verweist darauf, dass ihre Mitglieder noch keinen Konsens bezüglich 802.11b erzielen konnten. Sie bat um Geduld bis September, nannte aber immerhin schon einige Beispielszenarien, in denen die WFA-Mitglieder nach wie vor geeignete Einsatzzwecke für 802.11b sahen. Ob diese genauso gut mittels 802.11g erfüllt werden könnten, ist offen.

Von den rund 300 Delegierten der 802.11 nahmen diese Woche bis zu 250 an den Tagungen der Arbeitsgruppe AX (TGax) teil. Darin spiegelt sich die besondere Bedeutung des nächsten großen Entwicklungssprungs nach dem Gigabit-WLAN 802.11ac wider. Bereits jetzt ist ein Hauen und Stechen um weitere Plätze im Vorstand der TGax entbrannt und es wurde vereinbart, dass im September stellvertretende Vorsitzende gewählt werden. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen hörte man, dass Qualcomm und Broadcom mit der Macht ihres nichtöffentlichen TGax-Konsortiums (mit Intel und Huawei als weiteren Mitgliedern) bereits die Plätze unter sich aufgeteilt hätten.

In der Tagungswoche wurden mehr als vierzig Beiträge präsentiert und die ersten Grundkonzepte für 802.11ax schälen sich heraus. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird 802.11ax in der Auf- und Abwärtsstrecke auf OFDMA setzen und damit LTE ähnlicher werden. Dies ist insofern bemerkenswert, da der Plan der 3GPP, LTE im unlizenzierten 5-GHz-Spektrum (LTE-U) einzusetzen und so dem schnellen WLAN den Spektrumsplatz streitig zu machen, nach wie vor als Schreckgespenst in der IEEE 802 umgeht. Die als Wireless Coexistence Working Group bezeichnete 802.19 soll deshalb die möglichen Auswirkungen des LTE-U-Betriebs auf die bislang vorherrschenden WLAN-Systeme als auch die Koexistenz dieser unterschiedlichen Konzepte untersuchen.

Bei Car-2-X-Projekten wie SimTD funken Autos nicht nur untereinander, sondern auch mit stationären Verkehrsleitmitteln, also Ampeln oder Baken. Nutzen die gleichberechtigt dasselbe Spektrum wie WLAN, kann es zu gefährlichen Verzögerungen bei der Kommunikation kommen.

(Bild: Daimler )

Auch das obere Ende des unlizenzierten 5-GHz-Spektrums um 5,9 GHz ist Gegenstand intensiver Debatten: Schon vor 15 Jahren reservierte die US-Regulierungsbehörde FCC das Dedicated Short Range Communication Band (DSRC) für den Betrieb von Intelligent Transportation Services (ITS). Seitdem hat sich dort aber so gut wie nichts getan. Forschungsprojekte wie SimTD haben das Thema zwar aufgegriffen, aber bis heute hat die Industrie ihre Chance nicht ergriffen, sodass der Automobilmarkt immer noch meilenweit von einem flächendeckenden Einsatz entfernt ist. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die FCC den exklusiven Einsatz der Car-to-X-Kommunikation (C2X) überdenkt und auch normales Haushalts-WLAN im gleichen Spektrum zulassen will.

Dies hätte aber womöglich Einfluss auf den C2X-Betrieb, wenn das kostenlose WLAN in der Kaffeebude an der Kreuzung die Meldungen der elektronischen Bremslichter der Fahrzeuge auf der Straße verzögerte. Womöglich deshalb ist das US Department of Transportation (USDOT) hellhörig geworden und hat um Kommentare zu seinem Plan gebeten, C2X-Funk für alle Neuwagen verpflichtend zu machen. Das USDOT dürfte das Ergebnis der Koexistenzstudie, die ein "Tiger Team" der für regulative Fragen zuständigen 802.18-Gruppe gegenwärtig erarbeitet, genauestens auswerten, um dann mit der FCC von Behörde zu Behörde zu diskutieren.

Microsofts Spektrumsdatenbank lässt sich schon heute interaktiv nach Ort, Zeitraum und Frequenzbereich befragen: Am 6.11.2013 waren einige Funkbänder in Brüssel gut belegt.

(Bild: Microsoft Spectrum Observatory )

Ein Microsoft-Beitrag zu einem umfassenderen Vortrag zum Thema Spectrum Occupancy Sensing erläuterte, wie eine Cloud-Datenbank Cognitive Radios helfen kann, als ungenutzt erkanntes Funkspektrum für jedermann zugänglich zu katalogisieren: Freiwillige betreiben heute schon Messstationen, die permanent die Spektrumsnutzung im Frequenzbereich von 400 MHz bis 4,4 GHz beziehungsweise zwischen 50 MHz und 2,2 GHz registrieren und in Microsofts Cloud speichern. Die Datenbank lässt sich heute schon interaktiv abfragen. Mit den Daten hofft man eine solide Basis für die Argumentation mit Regulierungsbehörden zu erhalten, um die Freigabe weiteren unlizenzierten Spektrums zu stimulieren.

Bei allen mobilen Anwendungen sollte nicht untergehen, dass alle Datenpakete von und in die Funknetze irgendwann in einem Festnetz landen oder dort weitergeleitet werden. Schon lange hat Ethernet auch dort alle andere Normen hinweggefegt, von ATM, SDH oder gar Token Ring spricht niemand mehr. Nichtsdestotrotz konzentriert sich die 802.3-Gruppe nicht nur auf immer höhere Datenraten (etwa 802.3bs für 400 GBit/s über LWL oder 802.3bq für 40 GBit/s über Kupferkabel, 40GBase-T), sondern erschließt immer neue Anwendungsfälle für Ethernet.

Billige, leicht verarbeitbare Plastikfasern (POF) kommen etwa in der Industrie für optische Datenübertragung zum Einsatz, wenn sichere Potenzialtrennung oder hohe Störfestigkeit gefordert ist. Das IEEE will nun die mit POF mögliche Datenrate auf 1 GBit/s verzehnfachen.

Sowohl in 802.3bp als auch in 802.3bu werden Norm-Erweiterungen entwickelt, um Ethernet über ein einzelnes verdrillten Aderpaar zu betreiben. Während Erstere Datenraten bis zu 1 GBit/s unterstützen soll, entwickelt Letztere die passende Power-over-Ethernet-Funktion (PoE). Auch 802.3bw setzt auf nur noch ein Aderpaar, zielt aber zugunsten verbesserter Energieeffizienz und Robustheit nur auf 100 MBit/s Datenrate.

Zwar ist es um Plastic Optical Fiber (POF) etwas still geworden. Dennoch setzt die IEEE mit 802.3bv auch auf die billigen, aber gegen elektromagnetische Störungen unempfindlichen Plastikfasern als 1 GBit/s schnelle Ethernet-Variante. [Update] Die Study Group dafür wurde verlängert und kann im November erneut versuchen, eine Task Force zu gründen. [/Update] Am anderen Ende des PoE-Spektrums wird in 802.3bt über die Bereitstellung von 70 bis 100 Watt diskutiert. Damit dürften dann auch Bürorechner samt Bildschirm über das LAN-Kabel zu betreiben sein.

Die nächste Interim-Tagung der IEEE-Wireless-Gruppen wird im September in Athen stattfinden, zu der auch die Next Generation 60 GHz Study Group (SG) zum ersten Mal zusammen kommen wird. Ihr Ziel wird die Einrichtung einer Task Group (TG) mit Fokus auf Datenraten zwischen 10 GBit/s und 100 GBit/s per Funk sein. (ea)