Justizministerin kritisiert "Protektionismus" im chinesischen Patentsystem
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht "ermutigende Fortschritte im chinesischen Patenrecht", bemängelt aber eine Unterlaufung des Wettbewerbs durch die staatliche Bevorzugung einheimischer Erfindungen. In Europa geht parallel die Debatte über die Erhöhung der Patentqualität weiter.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geht davon aus, dass sich die Haltung zum Schutz der Rechte an immateriellen Gütern in Industriestaaten und Entwicklungsländern stärker aneinander angleichen. "Die klassische Rollenverteilung ändert sich", sagte die FDP-Politikerin auf einer Konferenz von Industrieverbänden im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin zum Tag des geistigen Eigentums. So sitze Mexiko etwa bei den Verhandlungen über das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA mit am Tisch, in dem die Ministerin nach der Veröffentlichung des aktuellen Entwurfs durch die EU "viele gute Ansätze" sieht. Auch der Dialog mit Schwellenländern wie Brasilien, Indien oder China, die sich in UN-Gremien immer wieder gegen Initiativen zur besseren Durchsetzung etwa von Urheber- oder Patentrechten einsetzen, solle "im Rahmen der G20-Staaten fortgesetzt werden".
"Ermutigende Fortschritte" machte Leutheusser-Schnarrenberger im chinesischen Patentrecht aus, das im Kern auf dem deutschen Pendant aufbaut. "Noch vor zehn Jahren gab es sechsmal mehr deutsche als chinesische Patentanmeldungen", führte die Ministerin aus. Inzwischen beantragten chinesische Ingenieure 160.000 Patente pro Jahr und lägen damit über der deutschen Vergleichszahl. Dies sei aber kein Grund zur Sorge, "solange wir es schaffen, unsere eigene Innovationskraft zu erhalten und auszubauen". Wenn im Reich der Mitte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aber darauf abgestellt werden soll, dass Produkte und Dienstleistungen auf inländischen Innovationen beruhen, dann sei das "eine Diskriminierung ausländischer Unternehmen". Dabei gehe es um "Protektionismus und eine Beschränkung des freien Wettbewerbs", bemängelte die Liberale chinesische Eigenarten der Anwendung des Patentsystems. Die EU müsse hier auf eine Änderung drängen.
Zuvor hatte Rüdiger Schwarz, Patentexperte bei Porsche, moniert, dass China "etwas völlig Anderes" aus dem Patentwesen mache als westliche Staaten. Zugleich fürchtete er, dass die Chinesen die ständige Schärfung der Möglichkeiten zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern in der EU gegen die dortige Wirtschaft verwenden könne. Ein Düsseldorfer Patentanwalt ergänzte, dass Peking das System als "sehr differenziertes Messer" einsetze, um eine politische Einflussnahme zu erlauben. Neben einer "Patentflut" aus China machte Thomas Pattloch von der EU-Kommission eine sehr rege Tätigkeit auch bei anderen gewerblichen Schutzrechten im Reich der Mitte aus. So gebe es dort etwa 830.000 Markenanmeldungen pro Jahr, was über dem EU-Durchschnitt liege. Zudem wollten chinesische Unternehmen keine Tantiemen zahlen für internationale Standards, wenn diese Patent- oder Urheberrechte einschlössen.
In Europa geht parallel die Debatte über die Erhöhung der Patentqualität weiter. In führenden Patentämtern auch auf dem alten Kontinent sei man oft geneigt zu sagen: "Was neu ist, ist erfinderisch", kritisierte Heiner Flocke, Vorsitzender des Patentvereins. So werde häufig "die Tagesarbeit eines angestellten Ingenieurs" gewerblich geschützt. Zudem fehle es im System an einem vorläufigen Rechtsschutz, da von "Verletzungsgerichten" schneller über eine einstweilige Verfügung entschieden werde, als beim Bundespatentgericht über einen Einspruch gegen eine Patentanmeldung. Dies stelle eine "große Bedrohung vor allem für kleine und mittlere Unternehmen dar".
Uwe Scharen, Vorsitzender Richter des für Patente zuständigen Zehnten Senats des Bundesgerichtshofs, gab die Parole aus, dass die Korrektur von "Auswüchsen" des Systems etwa durch die Vergabe von "Trivialpatenten" schon von den Patentämtern verhindert und korrigiert werden müsse. Andernfalls bestehe ein Schutzanspruch, mit dessen Auslegung sich das Gerichtswesen auseinandersetzen müsse. Scharen fürchtete zugleich, dass Unternehmen verstärkt versuchten, "mit funktionalen, schwammigen Begriffen" in Anmeldungen einen Patentschutz zu erlangen. Das mindere die Funktionalität des Patentwesens.
Der Leiter der Direktion Patentrecht im Europäischen Patentamt, Ingwer Koch, räumte ein, dass es "Ausreißer" bei der Erteilung gewerblicher Schutzrechte gebe. Die Münchner Behörde habe daher mit Wirkung zum 1. April die Vergaberichtlinien verschärft und dabei strikte Vorgaben der Beschwerdekammern als Maßstab herangezogen. Die Prüfer würden nun entsprechend geschult, damit die höheren Hürden und die engere Fassung von Fachbegriffen bald flächendeckend angewendet werden könnten. Als Kernproblem der Einhaltung der Patentqualität machte Lothar Steiling als Vertreter der Bayer AG und des Ausschusses für gewerbliche Schutzrechte im Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) das explosionsartige Wachstum bei der Anzahl von Patentanträgen aus. Noch bevor darüber entschieden werde, setzen Firmen entsprechende Anmeldungen bereits als Drohmittel ein. Darüber hinaus würden Patentportfolios zwischen Firmen "nur noch ausgetauscht", was eine zweifelhafte Entwicklung "weg vom Einzelschutzrecht" darstelle. (jk)