Kampf um Fachkräfte: Betriebe abseits großer Zentren haben Probleme
Frankfurt, Köln oder doch lieber Eifel und Hunsrück? Bei der Wahl des Arbeitsplatzes steht so mancher vor der Entscheidung: Stadt versus Land. Für Unternehmen abseits der großen Zentren wird das vor allem bei MINT-Berufen zum Problem.
An einen Geschäftstermin kann sich Sascha Jecht noch gut erinnern. "Ich fuhr eine halbe Stunde durch Wald im Hunsrück, plötzlich lichteten sich die Bäume, und da stand eine topmoderne Fabrik", sagt der Geschäftsführer der Montabaurer Personalberatung hbp Consult. In Rheinland-Pfalz beispielsweise, aber nicht nur dort, ist das keine Seltenheit. Viele mittelständische, erfolgreiche Unternehmen sitzen auf dem Land. In Zeiten des Fachkräftemangels wird es für sie aber immer schwerer, qualifiziertes Personal zu bekommen.
"Arbeitnehmermarkt"
Es gebe grundsätzlich immer weniger Nachwuchs, sagt Jecht. "Wir haben einen krassen Arbeitnehmermarkt." Mittlerweile bewürben sich Unternehmen um Arbeitnehmer und nicht umgekehrt – vor allem gelte das in den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). "Und die, die nachkommen, entscheiden sich eher für ein Ballungszentrum als für die Eifel."
Außerdem lebten Familien heute anders als früher, oft arbeiteten beide Partner. "Das Angebot in Städten ist größer, um für beide etwas zu finden." Entsprechend viel ist Jecht damit beschäftigt, Unternehmen auf dem Land bei der Suche nach Mitarbeitern zu helfen.
Auch Dirk Hannowsky, Geschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz, sieht Probleme in ländlichen Regionen – in MINT-Branchen, aber auch im Gastgewerbe und im Handwerk. Ende Juli nannte etwa der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Rheinland-Pfalz, Gereon Haumann, den Fachkräftemangel im Land eine "Mega-Herausforderung".
Anwerbung
Hannowsky sagt, zwar hätten Betriebe auf dem Land enge Bindungen zur Region. "Es ist für Kinder naheliegend, sich dort zu bewerben, wo Papa und Opa gearbeitet haben." Schwierig werde es aber, wenn Arbeitnehmer aus anderen Gegenden angelockt werden sollten. Um das zu erreichen, erklären Jecht und seine Kollegen Bewerbern, welche Vorteile Betriebe abseits der Metropolen haben können. Die seien häufig familiengeführt, böten eine Menge Sicherheit, sagt er. "Wir sagen dann: Das ist ein Pfund, da kannst du alt werden."
Berater Jecht wird in Gesprächen mit Bewerbern häufig gefragt, wo dieser oder jener Ort liegt und ob es dort Handy-Empfang gibt. "Man muss alles ehrlich erklären", sagt Jecht. Viele Junge wollten eben lieber bei hippen Unternehmen wie Google oder Apple arbeiten.
Der Nabel der Welt
Selbst in Koblenz mit seinen mehr als 100.000 Einwohnern ist es längst eine Herausforderung, Fachkräfte zu bekommen – etwa für die Firma Stabilus. Als Weltmarktführer für Gasfedern und hydraulische Schwingungsdämpfer beweist die Stabilus GmbH seit Jahrzehnten Kompetenz für Kinematik, und das nicht nur in der Automobilindustrie. "Wir brauchen ständig neue Ingenieure", sagt Personalreferentin Melanie Hilger. Aber: "Wir stellen immer wieder fest, dass Koblenz nicht der Nabel der Welt ist." Es falle selbst bei Berufseinsteigern schwer, sie in die Region zu bekommen. Stabilus ist beispielsweise an der Fachhochschule in Friedberg nördlich von Frankfurt gezielt auf Studenten zugegangen. "Ein Feedback war: Was soll ich in Koblenz?"
Angesichts dieser Situation wird für Jecht das "Employer Branding" immer wichtiger, die Selbstdarstellung eines Unternehmens nach außen als attraktiver Arbeitgeber. Manche Betriebe wollten wissen, ob man sich auch auf Facebook präsentieren müsse, sagt er. "Dabei geht es nicht um das Ob, sondern das Wie." Das Außenbild müsse passen. "Es geht nicht, als bodenständiger Betrieb auf hip zu machen."
Personalentwicklung
"Unternehmen müssen mehr tun als früher, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein", betont auch Holger Bentz, stellvertretender Bereichsleiter Aus- und Weiterbildung bei der IHK Koblenz. Entsprechend würden Angebote der Personalentwicklungsberatung der Kammer immer mehr nachgefragt. Auch um Auszubildende werde stärker gebuhlt. "Wir stehen in Rheinland-Pfalz mittlerweile vor der Herausforderung, dass es in diesem Jahr erstmals mehr Studienanfänger als Auszubildende gibt."
Angesichts dessen stellten Betriebe Azubis Fortbildungen in Aussicht oder trumpften mit Angeboten für familienfreundlicheres Arbeiten auf. "Es geht um eine Perspektive", sagt Bentz. "Es ist ein Irrglauben, dass Azubis sonst in strukturschwachen Regionen bleiben."
Geld ist nicht alles
Das Gehalt alleine hilft Fachleuten zufolge längst nicht mehr als Lockmittel. "Geld ist immer noch wichtig, es geht aber auch immer mehr um die Sachen drum herum", sagt Jecht. Geachtet werde etwa auf die Möglichkeit, mal im Home-Office arbeiten zu können, auf flexible Arbeitszeiten oder auf Betreuungsangebote für Kinder. "Einige Unternehmen haben auch eigene Busse, mit denen sie Mitarbeiter von großen Bahnhöfen abholen. Solche Sachen kommen sehr gut an."
Ob eine Region als attraktiv empfunden wird, hängt für IHK-Mann Bentz nicht nur am Unternehmen. Es werde auf kulturelle Angebote, Schulen oder Kitas im Umfeld geschaut. "Das Gesamtpaket muss stimmen. Nur das Geld bewegt Leute nicht dorthin, wo sonst nichts ist." (jk)