Karl Koch: Der Tod eines Hackers und die "morbide Faszination von Geheimdiensten"
Auf einer Podiumsdiskussion zum 25. Todestag des frühen Datenreisenden Karl Koch ging es um Selbstüberschätzung, Psychosen, Verschwörungstheorien und Haschischwolken im Spannungsfeld zwischen Computerexperten und Schlapphüten.
Ein Vierteljahrhundert war es am Freitag her, dass der "KGB-Hacker" Karl Koch tot in einem Waldstück bei Gifhorn aufgefunden wurde. Die konkrete Ursache seines Ablebens ist bis heute ungeklärt. Die Wau-Holland- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung nutzten den Jahrestag, um zu einer Debatte über Hacker und Geheimdienste oder die helle und dunkle Seite der Macht nach Berlin zu laden. Veteranen des Chaos Computer Clubs (CCC), in dessen Umfeld Koch agierte, waren genauso dabei wie ein Reporter, der am damaligen Medienskandal rund um den Spionagefall nah dran war.
"Ich glaube an Selbstmord", erklärte der damalige Mitarbeiter des NDR-Magazins "Panorama", Thomas Ammann, nach dem Zeigen von Ausschnitten aus dem 1998 erschienenen Film "23 – Nichts ist so wie es scheint", der Koch ein Denkmal setzte. "Es gab für ihn kein Entrinnen mehr." Zugleich übte er Selbstkritik, da das auf Koch und seine Mitstreiter angesetzte Team von TV-Journalisten und vor allem der Redaktionsleiter mehr oder weniger "unwissentlich" den Geheimdiensten und dem Bundeskriminalamt (BKA) zugearbeitet hätten.
Steffen Wernéry, der vor 25 Jahren neben dem 2001 verstorbenen Wau Holland dem CCC-Vorstand angehörte, hat nach wie vor Zweifel an dieser Version der Geschichte. Er trug vor, dass sich nach dem Tod Kochs Mitglieder des NDR-Betriebsrats beim ihm beklagt hätten, dass der Sender damals "vom Verfassungsschutz verseucht" gewesen sei. Es sei herausgekommen, dass die federführenden NDR-Jungreporter auch Stasi-Kontakte gehabt hätten und offenbar eine "große KGB-Hackernummer" fahren wollten, um den Reformprozess ins Schleudern zu bringen. Der KGB hätte daran freilich kein Interesse gehabt, sodass der Hauptprotagonist verschwinden sollte.
Die CCC-Mitglieder versuchten laut Wernéry zu dieser Zeit, in der das Ausspähen von Daten durch eine Änderung des Wirtschaftskriminalgesetzes bereits strafbar geworden war, sich "propagandamäßig" als "die netten Hacker von nebenan" darzustellen. Parallel betätigten sie sich als erste Surfer im entstehenden Cyberraum, den sie mit selbstgebastelten Modems in Form von "Datenklos" zu erobern suchten.
Das beliebteste Ziel waren “VAXen”, schreibtischhohe Mainframe-Nachfolger von Digital. Bei diesen bereits weitflächig vernetzbaren Rechner stand eine Hintertür offen, zudem setzten ihre Administratoren in der Regel auf Standardpasswörter. Die Datenreisenden trafen sich so zum “Hangout” auf den Rechnern des CERN, das später zum Geburtsort des World Wide Web werden sollte und damals als “Hackerfahrschule” bekannt war, aber auch auf den Maschinen etwa von Philips, Thomson oder der NASA.
Wernéry kam das frühe “Surfen” teuer zu stehen: er landete 1988 für 78 Tage im berüchtigten Knast von Fresnes bei Paris, nachdem er einer Einladung von Philips zu einer Konferenz gefolgt war. Internationale Ermittlungsbehörden hatten in Folge des "NASA-Hacks ein Auge auf ihn geworfen, seine gesamte Computerausrüstung wurde bei einer Hausdurchsuchung sicher gestellt. "Wir sind Opfer einer Intrige geworden", sagt der Hamburger heute. Es sei ihm zwar klar gewesen, dass Hacks gegen Geld früher oder später passieren würden. Ohne die Sensationslust einiger Medien wäre alles aber anders verlaufen.
Das mit den Datenreisen sei "ein großer Spaß" gewesen, bekräftigt Andy Müller-Maguhn. Für ihn gibt es aber noch "jede Menge Dunkel in dieser Geschichte". Die damit auf den Club ausgeübte Zersetzungskraft sei direkt aus dem Lehrbuch der Stasi entliehen worden. Die Sache habe nicht nur heftige Diskussionen über die Hackerethik ausgelöst, sondern innerhalb des "Altherrenkreises" der CCC-Stammväter zu internen gegenseitigen Verdächtigungen geführt. Die Streitigkeiten hätten zwar in einer "großen Haschischwolke" stattgefunden, was die Konfliktfähigkeit eingeschränkt habe. Trotzdem habe der Club nur mit Müh und Not überlebt.
Der Ex-CCC-Sprecher fragt sich nach wie vor, ob das Sicherheitsloch in die VAX-Maschinen absichtlich für westliche Geheimdienste eingebaut wurde. Seine These ist, dass die Hacker mit ihrem eigenen Ausnutzen der Lücke "anderen nachrichtendienstlichen Operationen" in die Quere gekommen sein könnten. Generell seien "die Dienste" nicht zu unterschätzen; ihre Systematik sei mit den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden noch einmal teils handgreiflich geworden.
Derlei Theorien kann Hans Hübner, der als "Pengo" an Kochs Aktivitäten beteiligt war, nicht mehr hören. Der Fan der Illuminatentrilogie sei nicht aus dem Weg geschafft worden, sondern "stark psychotisch" gewesen, erklärte der mit aufs Podium gekommene Mitstreiter. Ein Mordfall wäre auch jenseits jeglichen politischen Interesses gewesen, da sich der Verfassungsschutz Koch als Quelle hätte erhalten wollen: "Von Karls Tod hat niemand profitiert."
Zugleich wehrte sich Hübner gegen alte Vorwürfe aus der Hackerszene, "dass wir die getauschten Logins nach drüben getragen haben". Das "weltumspannende Hochenergie-Kernphysiknetz", zu dem sich die VAX-Besucher Zugang verschafft hatten, wäre zwar auch "für die Russen" interessant gewesen. Es habe unter ihnen aber keinen Experten mit dem Ansporn gegeben, selbst Hacker zu werden. Der KGB habe eine klare Bestellliste für bestimmte Software gehabt, Schlüssel für den Vorläufer des Internets hätten ihn nicht interessiert. Koch, er und seine Kompagnons seien auch nicht die "großen Geister" gewesen, die etwa Brennstäbe in Kernkraftwerken hätten steuern können: "Wir haben halt gekifft und uns das so vorgestellt." Wirklich daran geglaubt habe aber nur Koch, der "echt durchgeknallt war".
"Das klingt wie aus einer Antifa-Gruppe in einer beliebigen brandenburgischen Stadt", wertete die den Linken angehörige Autorin Susanne Lang die Auseinandersetzung. Es entstünden immer die gleichen Dynamiken, wenn man sich mit dem Verfassungsschutz einlasse. Erst komme ein Moment der gnadenlosen Selbstüberschätzung, dann die ganze Organisation unter die Räder. Auch Bernd Fix von der Wau-Holland-Stiftung warnte vor der "morbiden Faszination von Geheimdiensten". Es sei wichtig, sich möglichst wenig davon beeinflussen zu lassen. Dass Koch tot sei, hänge auch damit zusammen, dass Dritten die Möglichkeit gegeben worden sei, ihn auszunutzen. (axv)