Kommentar: Googles hohe Kunst des Weglassens
In der Causa Bettina Wulff vs. Google will der Konzern nicht einlenken und pocht auf die Unabhängigkeit seiner Suchalgorithmen. Dabei gehört es zum Alltag der Suchmaschine, den Nutzern Suchbegriffe und Ergebnisse gezielt vorzuenthalten.
Bühne frei: Die Agenda des Hamburgischen Landgerichts (LG Hamburg) ist am vergangenen Freitag um eine weitere Folge aus der Reihe "Deutsches Recht gegen Google" bereichert worden. Diesmal bekommt es der Suchmaschinenanbieter in Hamburg nicht mit abstrakten Gebilden wie der GEMA oder der Wissenschaftlichen Buchgemeinschaft, sondern mit einer prominenten Person aus Fleisch und Blut zu tun. Bettina Wulff, die Gattin des im Februar zurückgetretenen Bundespräsidenten, möchte mit einer Klage gegen Google erzwingen, dass die Autovervollständigen-Funktion im Suchfeld ihren Namen nicht mehr in Zusammenhang mit Begriffen wie "Prostituierte" oder "Escortlady" anbietet.
Nun ist also Google dran. Wie kann das Unternehmen reagieren? Nahe läge, sich ohne Schuldanerkenntnis der Unterlassungsforderung zu beugen und kontextbezogene Suchvorschläge in Zusammenhang mit Bettina Wulffs Namen künftig auszublenden. Dass dies technisch kein Problem darstellt, belegte Google diverse Male mit der Verbannung von inkriminierten Begriffen. Mal geht es da um Jugendschutz, dann wieder um das Auffinden von Raubkopien: Google unterdrückt sowohl manche kontextabhängige Suchvorschläge als auch einige Suchtreffer. Wer das überprüfen möchte, suche beispielsweise nach dem überaus populären Pornoschnipsel-Portal Youporn. Google blendet den Begriff konsequent aus, weil der Dienst von der BPJM als jugendgefährdend eingestuft ist.
Wenn hier hyperventilierende Netzaktivisten "Zensur" rufen, haben sie die Bedeutung dieses Begriffs nicht verstanden. Allenfalls kann man von einer "Filterung" sprechen, die Google vornehmen muss, um sich im lokal gegebenen Rechtsrahmen zu bewegen. Wo immer eine Überschreitung dieses Rahmens droht, kann Google mit technischen Sperren reagieren – und muss es auch, um seinen Dienst weiter betreiben zu können. In den letzten Tagen ist eine Debatte darum entbrannt, ob Google mit derlei Maßnahmen sogar redaktionell in den gelieferten Content eingreift und damit publizistisch aktiv ist, wie Konrad Lischka meint – unter Verweis auf Googles eigene Argumentation in Kartellrechtsverfahren in den USA. Dann würde der Konzern hierzulande als Verlag nach anderen Maßstäben behandelt werden müssen – und wir bekämen, wie Torsten Kleinz festhält, massive juristische Probleme mit Meinungs- und Pressefreiheit.
Google dreht nun, anstatt sich konkret zum Fall äußern, das Rad sogar um eine Schraube zurück. Die Stellungnahme von Kay Oberbeck (Unternehmenssprecher Google Nord-Europa) zur Klage von Bettina Wulff lautet wörtlich und in voller Länge:
"Die bei der der Google Autovervollständigung sichtbaren Suchbegriffe spiegeln die tatsächlichen Suchbegriffe aller Nutzer wider. Die angezeigten Begriffe sind das algorithmisch erzeugte Resultat mehrerer objektiver Faktoren, inklusive der Popularität der eingegebenen Suchbegriffe. Google schlägt diese Begriffe nicht selbst vor – sämtliche in Autovervollständigung angezeigten Begriffe wurden zuvor von Google-Nutzern eingegeben."
Auf den ersten Blick könnte man meinen, Google behauptet hier, keinen Einfluss auf die Ergebnisse zu haben, alles den Algorithmen zu überlassen und dies auch künftig so halten zu wollen. Genau genommen hat Oberbeck aber lediglich einen Sachverhalt beschrieben, der gar nicht Gegenstand der Debatte ist. Niemand – auch Bettina Wulff nicht – hat behauptet, Google schlage Begriffe selbst vor. Und natürlich bezweifelt keiner, dass die Resultate algorithmisch erzeugt sind. Worum es in Wahrheit geht, ist, unter welchen Voraussetzungen Google seine Algorithmen überstimmt und Ergebnisse durch Weglassen beeinflusst. Und dazu äußert sich der Konzern wieder einmal nicht. Dieser Debatte will er augenscheinlich aus dem Weg gehen – oder, wie Marcus Schwarze formuliert: "'Bettina Wulff' abgefragt bei Google: Wie die Suchmaschine ihre eigenen Richtlinien verletzt."
Tatsächlich stellt sich die Lage viel profaner dar. Im konkreten Fall dreht es sich letztendlich um die simple juristische Frage: Verletzt Google die Persönlichkeitsrechte von Bettina Wulff, indem beim Autovervollständigen der Begriff "Prostituierte" in Zusammenhang mit ihrem Namen eingeblendet wird? Falls dem so sein sollte, kann das Gericht bestimmen, dass Google den Begriff künftig ausblendet – eben, weil Google es kann und täglich tausendfach tut. Und weil der Konzern das nicht gerne zugibt, sich stattdessen gerne als neutrale Netzinstanz mit weißer moralischer Weste sieht, leitet er erfolgreich Scheindebatten ein.
Sehen wir einmal davon ab, dass es eines Jeden gutes Recht ist, seine Persönlichkeitsrechte zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu verteidigen, so hat die ganze Auseinandersetzung aber auch vonseiten Wulffs manch seltsamen Aspekt. Am Montag schob sich die ehemalige First Lady mit tatkräftiger Unterstützung des Boulevards mit wiederum scheinheiligem Google-Bashing selbst ins Rampenlicht zurück: "Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte", lässt sich Bettina Wulff von der BILD-Zeitung aus ihrem noch nicht erschienenen Buch zitieren. Und diese Aussage bezieht sich dem Blatt zufolge unter anderem auf die Suchmaschine Google. "Entsetzlich und beschämend" sei es, dass ihr Sohn "als Erstes solche Begriffe liest", wenn er ihren Namen google. Dennoch hat sie dem Treiben monatelang tatenlos zugeschaut, bevor sie ihre Klage einreichte. Nun schob sie sogar die Veröffentlichung ihres Buches vor und ließ ausgerechnet die BILD-Zeitung vorab darin schmökern und daraus zitieren.
War Wulff gut beraten, musste sie wissen, dass sie mit dem Gang an die Öffentlichkeit auch die Google-Algorithmen neu befeuert. In der vergangene Woche hätte ihr Sohn noch ihren gesamten Namen angeben müssen, um "Prostituierte" vorgeschlagen zu bekommen, am heutigen Montag erscheint "Bettina Wulff Prostituierte" bereits nach der Eingabe von "Be". Falls das LG Hamburg Wulff recht gibt, dürfte Google Berufung einlegen. Die ehemalige First Lady kann also nicht davon ausgehen, dass sich in den nächsten Monaten oder vielleicht sogar Jahren etwas ändert.
Hilfreich kann der Fall jedenfalls sein, Googles Rolle als Gatekeeper im Netz zu debattieren – und die mangelnde Transparenz, der die User bei Googles Filtern und Suchergebnislisten gegenüberstehen. Dirk von Gehlen fordert daher Konsequenzen: "In einer netzpolitisch wachen und geschulten Öffentlichkeit würden wir [Googles Veränderungen] nicht nur miterleben, sondern mitgestalten. Wir würden Forderungen an Google stellen – zum Beispiel die, seine Suchfilter offenzulegen." (hob)