Kommentar: Voll getroffen und doch am Ziel vorbei
Anita Sarkeesian hat Recht: Videospiele sind sexistisch. Fabian Scherschel ist allerdings der Meinung, dass das überhaupt nicht schlimm ist.
Momentan wütet mal wieder eine Sexismusdebatte im Netz. Dieses Mal geht es um Sexismus in Videospielen und sexistische Videospiele-Entwickler beziehungsweise Spiele-Konsumenten. Dabei frage ich mich, ob diese Diskussion überhaupt sinnvoll ist. Gelten für Handlungen in Spielen die selben Moralvorstellungen wie für die Realität? Und sind die Probleme der Realität nicht viel wichtiger?
Auslöser der aktuellen Debatte sind eine Reihe von Videos der Medienkritikerin Anita Sarkeesian. Ihre Videos sind sehr gut gemacht, bringen ihre Argumentation knallhart auf den Punkt und sind extrem wirksam. Jedes einzelne Video zeigt pointiert auf, was laut Sarkeesian ein grundlegendes Problem der aktuellen Videospiele-Landschaft ist: Sexuelle Gewalt gegen Frauen und deren Objektifizierung. Und sie hat Recht: Computerspiele sind oft sexistisch. Übrigens gegenüber Frauen und Männern, aber das geht am Thema vorbei.
Allerdings frage ich mich ob die gezeigten Szenen überhaupt schlimm sind. Müssen wir an Computerspiele die gleichen moralischen Anforderungen stellen wie an unser Handeln in der Welt abseits von Pixeln und Polygonen? Ich frage mich das wirklich. Denn wenn wir das müssen, dann müssen wir die gleichen Maßstäbe auch an den Rest der Spiele anlegen. Computerspiele sind oft nahezu abscheulich gewaltverherrlichend. Da wird gemordet, gefoltert, bedroht und gemetzelt. Aber ist das schlimm? Wir Gamer sagen immer, dass Gewalt in Spielen uns nicht zu Amokläufern macht. Macht uns eine Vergewaltigung in einem Spiel zu Vergewaltigern?
Ich glaube nicht. Spiele sind größtenteils Machtfantasien, die nichts mit der Realität zu tun haben. In Spielen agieren wir nur selten wie im wirklichen Leben und unsere Gegenüber sind auch keine echten Menschen. Und das funktioniert, weil wir Realität und Spiel auseinanderhalten können. Wenn wir den Sexismus aus Spielen verbannen wollen, sollten wir das auch mit der Gewalt tun. Am besten sollten wir dann überhaupt keine Spiele mehr spielen. Das ist übrigens immer eine Option: Die Spiele, die meinem moralischen Kompass nicht zusagen, die kaufe ich einfach nicht. Das habe ich sowohl schon wegen billigen Gender-Klischees als auch wegen billiger patriotischer Gewaltverherrlichung getan.
Zu der Debatte siehe auch:
Ich gehe nicht in Deckung
Die Diskussion über die Normalität von Sexismus in unserer Gesellschaft ist wichtig und sollte geführt werden, aber nicht am Beispiel von Videospielen. Vielleicht sollten wir die jetzige Debatte als Aufhänger nehmen, wirklich wichtige Probleme anzugehen. Statt über Spiele würde ich zum Beispiel viel lieber darüber reden, dass immer noch viel zu wenig Frauen in Aufsichtsräten sitzen – auch in denen der Spielebranche übrigens. Oder über die Vollpfosten, die Frauen in den Fußgängerzonen dieser Republik beim Vorbeigehen aufs Derbste verbal erniedrigen. (fab)