Kommentar: Welchen Datenschutz will das Innenministerium?
Die Vorschläge für die EU-Datenschutzreform liegen in Brüssel längst auf dem Tisch. Die Debatte verschlafen hat das Bundesinnenministerium, das jetzt nochmal die Sinnfrage stellen will. Zu spät.
Die Deutschen diskutieren den Datenschutz so oft und so intensiv wie kaum eine andere Nation. Schon in den 1970ern ließ das Bundesministerium des Innern die Grundkonzeption des Datenschutzes, wie wir ihn heute kennen, in einem Gutachten entwickeln. Vielfach konkretisiert durch Gesetzgebung und Rechtsprechung gilt das deutsche Datenschutzrecht im weltweiten Vergleich als eines der bestentwickelten – und auch als eines der kompliziertesten. Es gibt mehr oder minder gut funktionierende Aufsichtsbehörden, die mit Kompetenzen ausgestattet sind.
Das alles ist in Europa nach wie vor nicht der Regelfall. Und das, obwohl es eigentlich eine gemeinsame Datenschutzrichtlinie gibt, die den Rechtsrahmen vorgibt. In Belgien können die Datenschutzbehörde zwar mahnen, aber kaum Strafen aussprechen und die Unabhängigkeit der Datenschutzbehörden war selbst in Deutschland lange unzureichend, zuletzt kassierte Österreich vor dem EuGH ein klares Urteil. Der Datenschutz, so der Beschluss von EU-Kommission, Rat und Parlament, soll nun verbessert und weiter vereinheitlicht werden. Die EU-Kommission hat das Rad nicht neu erfunden, als sie dann im Januar ihren ersten Vorschlag vorlegte. Sie hat die alten Regeln genommen, an manchen Stellen die Zügel leicht angezogen und an anderen sogar etwas gelockert, wenn man es mit deutschem Datenschutzrecht vergleicht. Daran hat sie in den vergangenen drei Jahren intensiv gearbeitet.
Wenn nun, wo die Vorschläge auf dem Tisch liegen, das Bundesministerium des Innern, wie bei seiner Datenschutzkonferenz in Berlin, betont, dass das alles doch sehr schwierig sei und man doch einmal überlegen müsse, ob die Grundprinzipien überhaupt noch sinnvoll wären, dann kommen sie damit zu spät. Umfangreiche Konsultationen mit einer Vielzahl Beteiligter hat die EU-Kommissions-Generaldirektion Justiz im Vorfeld des Vorschlags durchgeführt. Alle Argumente, die nun auch in Berlin wieder vorgebracht wurden, liegen längst auf dem Tisch – und das spätestens seit der vergangenen Bundesdatenschutzgesetznovelle 2009.
Wenn die EU-Kommission das Bundesinnenministerium nun laut knallend abwatscht, weil dieses die Diskussion im Vorfeld komplett verschlafen hat, dann tut sie das mit einiger Berechtigung. Sie ist von allen Mitgliedstaaten dazu aufgefordert worden, etwas zu tun. Natürlich sind diese Vorschläge nicht perfekt für alle Betroffenen. Das ist die Natur politischer Entscheidungen. Und sicher kann man an der einen oder anderen Stelle nachjustieren, muss es sicherlich auch. Aber so tun, als ob die Vorschläge vom Himmel gefallen wären, kann die Bundesregierung nicht – es sei denn, sie möchte ein ganz anderes Ziel erreichen: dass erst einmal gar nichts passiert und das Datenschutzrecht zumindest in Teilen nationale Domäne bleibt. Auch das wäre legitim.
Der Autor hat im Jahr 2010 für den Verbraucherzentrale Bundesverband an Konsultationen und Anhörungen der EU-Generaldirektion Justiz zur Datenschutzreform teilgenommen. (vbr)