Neue Ermittlungen im Todesfall des Hackers Boris F. gefordert
Der Anwalt der Eltern des erhängten Berliner Starhackers "Tron" hat eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt, da von der Polizei Indizien nicht ausgewertet worden seien.
Im Todesfall des Berliner Starhackers Boris F., der unter dem Pseudonym Tron bekannt wurde und vor rund dreieinhalb Jahren unter mysteriösen Umständen erhängt an einem Baum im Süden Berlins aufgefunden worden war, gibt es Neues: Der Rechtsanwalt der Eltern, Wolfgang Kaleck, hat nach eigenen Angaben einen weiteren Beleg für die von ihm und zahlreichen Ex-Kollegen des "Computer-Genies" vertretene Mordtheorie zu Tage gefördert. Es geht dabei um den Gürtel, an dem der Tote hing. Der könne gar nicht von Boris F. stammen, versucht der Jurist in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Berlin nachzuweisen. Die von der Kriminalpolizei vertretene Selbstmordthese sei hinfällig. Der Anwalt fordert die Wiederaufnahme des im Mai 2001 eingestellten Ermittlungsverfahrens und die unterbliebene "spurentechnische Untersuchung" des Gürtels auf Fingerabdrücke oder Genmaterial.
Das Beweisobjekt hatte die Staatsanwaltschaft zusammen mit anderen noch von Amts wegen verwahrten Gegenständen vor kurzem herausgegeben. Gemeinsam mit dem Sprecher des Chaos Computer Clubs, Andy Müller-Maguhn, gingen die Eltern des toten Hackers die Sachen durch. Dabei fiel ihnen auf, dass der mit einer Drahtschlinge verknüpfte Ledergürtel, an dem sich Boris F. erhängt haben soll, sehr lang ist und damit dem Anwalt zufolge dem Verstorbenen "nicht gehören kann". Denn Tron war schlank, während der Gürtel anscheinend von einem eher dicklichen Menschen getragen wurde. Wie im Antragsschreiben ausführlich dargelegt, zeigt das zweite Loch des 114 Zentimeter langen Hosenhalters "wesentliche Gebrauchsspuren". Demnach müsse der Träger einen Taillenumfang von etwa 96 Zentimeter gehabt haben. Die Mutter des Verstorbenen erinnerte jedoch daran, dass ihr Sohn bei gemeinsamen Einkäufen immer die kleinstmöglich erhältliche Gürtellänge von 85 Zentimeter gewählt habe. In der Regel habe der Verstorbene sogar noch zusätzliche Löcher in seine Gürtel eingestanzt, um einen festen Hosensitz zu ermöglichen. Für den als schlacksig geltenden Tron hat Kaleck somit gemeinsam mit den Eltern einen Taillenumfang zwischen 70 und 75 Zentimeter errechnet.
Laut Müller-Maguhn ist der Gürtel nun "das härteste Indiz für eine Fremdeinwirkung". Er könne sich "keine plausible Erklärung vorstellen, wie die neuen Ungereimtheiten mit einem Selbstmord in Einklang zu bringen sind". Ein Rätsel ist es Müller-Maguhn, wieso die Polizei das Fundstück bei ihren bisherigen Ermittlungen nicht untersucht habe; er wirft den Behörden seit langem Schludrigkeiten im Verfahren vor und äußerte sogar bereits den Verdacht auf "Strafvereitelung im Amt". Müller-Maguhn vermutet, dass beispielsweise Geheimdienste eine Aufklärung des Kapitalverbrechens vereiteln wollen.
Tron stand wegen seiner technischen Fähigkeiten auf dem Gebiet der Kryptographie zwischen vielen Gefechtslinien. Ruhm in der Szene hatte er sich vor allem durch den Hack der Verschlüsselung des Pay-TV-Senders Premiere und der zum Empfang nötigen d-box von Nokia erworben. Zahlreiche Angehörige der Cracker-Szene hatten danach ein Auge auf ihn geworfen. Aufmerksamkeit lenkte Boris F. auch mit seiner Diplomarbeit auf sich, die ein einfaches Konzept zur Verschlüsselung von Telefongesprächen über ISDN vorstellte ("Cryptofon"). Daneben schwebte Tron die Ausweitung des Konzepts auf die gesamte digitale Kommunikation mit dem "Cryptron" vor, wie die Memorial-Site Tronland ausführt. Die billige Abhörsicherung hätte den staatlichen Lauschern das Leben schwerer gemacht. Aktenkundig wurde daher auch das Interesse von Geheimdiensten an Boris F.: Ein Zeuge berichtete im Ermittlungsverfahren von einem Anwerbungsversuch durch den Bundesnachrichtendienst. (Stefan Krempl) / (jk)