"Neuroracer" und "Project Evo": Spielen macht gesund

Computerspiele machen dumm? Neurowissenschaftler Dr. Adam Gazzaley ist anderer Meinung. Seine Studien belegen: Wer im Alter 12 Stunden pro Monat spielt, verbessert seine kognitiven Fähigkeiten.

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Von
  • Roland Austinat
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Dr. Adam Gazzaley, Leiter des Neuroscience Imaging Centers der University of California, San Francisco, ist sich sicher: "Wer mit 60 Jahren zum Arzt geht, um ihm von einer leichten kognitiven Störung zu berichten, bleibt besser daheim." Denn wer vergisst, was er aus dem Kühlschrank holen wollte, erhält in den wenigsten Fällen eine tiefgehende Diagnose, sondern meist nur ein Standardmedikament. "Wirkt das nicht sofort, erhöht der Arzt die Dosis und wird zum Manager der Nebeneffekte. Außerdem ist das nur eine Möglichkeit von vielen, etwas gegen die Vergesslichkeit zu tun", meint Gazzaley. "Wo die Behandlung eigentlich einen geschlossenen Feedback-Kreislauf benötigt, ist die Latenz so groß, dass es sich um einen offenen handelt: Der Patient kommt erst einen Monat später wieder, wenn sein Medikamentenvorrat aufgebraucht ist." Adam Gazzaley fordert stattdessen ein neue Behandlungsmethode: gezielt, individuell, multimodal und mit einem geschlossenen Feedback-Kreislauf.

Der Neurowissenschaftler fordert nicht nur, sondern forscht auch selbst: Mit funktioneller Magnetresonanztomographie, Elektroenzephalografie und transkranieller Magnetstimulation untersuchen er und seine Mitarbeiter das menschliche Gehirn. Mit den Ergebnissen bewaffnet entwickelt das Team dann Wege, um die neuronale Plastizität des Gehirns zu beeinflussen. "Als Reaktion auf neue Erfahrungen kann das Gehirn seine Funktionsweise und Struktur verändern", sagt Dr. Adam Gazzaley. Klassische Methoden sind Ausbildung, Meditation, stimulierende Umgebungen, Medikamente, die die Neurotransmitter beeinflussen, Ernährung, Neurofeedback, Neuromodulation – und Videospiele.

GTC: Spielen macht gesund (10 Bilder)

Die menschliche Multitasking-Fähigkeit nimmt nach einem Maximalwert im Alter von 23 Jahren kontinuierlich ab.

"Videospiele sind die einflussreichste Mediengattung, sie sind interaktiv und machen Spaß", so Gazzaly. Doch besitzen sie einen positiven Einfluss? Der Wissenschaftler bejaht: "Selbst Actionspiele und 3D-Shooter führen zu kognitiven Verbesserungen." Deshalb entwickelte er mit einigen LucasArts-Designern ein Videospiel namens "Neuroracer", das die kognitiven Fähigkeiten von älteren Erwachsenen verbessern soll. Sie steuern darin einen Rennwagen und müssen auf gelegentlich erscheinende Schilder reagieren.

Mit einem Experiment wollten Dr. Gazzaly und sein Team herausfinden, ob und wie sich mit "Neuroracer" die menschliche Multitasking-Fähigkeit verbessern lassen. Die nimmt nach einem Maximalwert im Alter von 23 Jahren kontinuierlich ab. Doch eine Gruppe von 60- bis 85-jährigen Menschen, die einen Monat lang dreimal pro Woche eine Stunde "Neuroracer" spielten, erreichte Multitasking-Werte, die selbst diesen Optimalwert übertrafen.

Außerdem verbesserten sich die Leistung ihres Arbeitsgedächtnisses und ihre Daueraufmerksamkeit. Doch Adam Gazzaly ist sich sicher: "Das ist noch kein richtiger Durchbruch. Dazu kommt es erst, wenn wir ein individualisiertes Spiel für ein bestimmtes Defizit entwickeln und dann die Ergebnisse der Software als Therapeutikum auswerten können."

In Boston im US-Bundesstaat Massachusetts entwickelte das Studio Akili Interactive Labs das Spiel "Project Evo". Einer der Studiogründer: Dr. Adam Gazzaly. "Project Evo" ist erneut ein Rennspiel, doch diesmal kann man mit seinem Helden auf Tablets und Smartphones durch verschiedene Welten rasen. Auch depressive oder autistische Menschen könnten davon profitieren.

Doch wo bleibt die zu Beginn von Dr. Gazzaly geforderte Feedbackschleife? Kombiniert man "Project Evo" mit Neuromodulation beziehungsweise Neurofeedback, lassen sich so das Gehirn des Spielers "auslesen" und die Ergebnisse an das Spiel zurückgeben. Das reagiert darauf und kann sich selbst modifizieren, um das Gehirn zu fordern – in Echtzeit.

All dies ist natürlich arg rechenintensiv, doch Gazzaly baut hier auf den Einsatz von GPUs. Eine solche Anwendung könne schon in den nächsten fünf Jahren marktreif sein, glaubt er. Langsam interessieren sich auch Pharmagiganten wie Pfizer und Shire für seine Arbeit, denn sie forschen schon länger an Medikamenten zur Behandlung der Alzheimerkrankheit (Pfizer) beziehungsweise stellen Pillen zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen her (Shire).

In den nächsten zehn Jahren will sich Dr. Gazzalys Institut auch mit der Erforschung und Behandlung von Krankheiten wie posttraumatischem Stresssyndrom, Schizophrenie, der Parkinsonschen Krankheit und Multipler Sklerose beschäftigen. Außerdem will der Forscher die Öffentlichkeit auf seine Arbeit und deren Potenzial aufmerksam machen. Dazu dient unter anderem das Projekt "Rhythm and the Brain", bei dem Adam Gazzaly mit Mickey Hart zusammenarbeitet – einem der zwei Schlagzeuger der Psychedelic-Rock-Band Grateful Dead.

Mit einem EEG-Helm auf dem Kopf, einem Pulsmesser am Ohrläppchen und einer Oculus-Rift-VR-Brille vor den Augen spielt Hart auf der GPU Technology Conference 2014 eine Runde "NeuroDrummer" – ein "VR Rhythm Game", in dem es auf Multitasking ankommt: Hart muss die Arme im richtigen Takt bewegen und Geräusche auslösen, die seine Flugbahn verändern oder ihm entgegenfliegende Asteroiden zerstören.

Mit dem Spiel verbunden ist das Programm "GlassBrain", das eine dreidimensionale Rekonstruktion von Harts Gehirn in Echtzeit auf einer weiteren Oculus-Rift-Brille darstellt. Einer der Entwickler reist mit dem Gamepad während Mickey Harts Percussion- und Trommeldarbietung durch dessen Gehirn und findet heraus, von wo bestimmte elektrische Signale ausgesendet werden und wohin sie unterwegs sind. Ein wahrhaft psychedelisches Spektakel.

Mickey Harts Interesse an diesem Projekt ist persönlicher Natur: "Meine Oma litt an Alzheimer und hatte jahrelang kein Wort mehr gesagt", erinnert er sich. "Doch als ich ihr mit meine Trommeln einen Rhythmus vorgespielt habe, hat sie meinen Namen gesagt – die Musik hat ihre mentalen Leitungsbahnen wiederhergestellt." Dr. Adam Gazzaly will eine solches Feedback auch in ein Spiel einbauen: "Dann könnte man erstmalig in sein eigenes Gehirn eintauchen und sich seine eigenen Denkprozesse anschauen – eine echte High-Tech-Variante von Biofeedback." (anw)