Politik und Wirtschaft arbeiten am "Industrieland 3.0"

Deutsche Unternehmen müssten Spitzenreiter digitaler Transformation werden, hieß es auf einer Konferenz des BDI. Als eine Bedingung gilt der Aufbau weltweiter Breitbandnetze, als Bremse der Datenschutz.

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Deutsche Unternehmen müssten "Spitzenreiter digitaler Transformation" werden, forderte Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), auf einer Konferenz (PDF-Datei) seines Verbands am Donnerstag in Berlin. Für die Wirtschaft sei das Internet dabei ein maßgeblicher Erfolgsfaktor, betonte der BDI-Chef. Die Vernetzung schaffe auch Bedingungen für Nachhaltigkeit, da es ohne Smart Grids und intelligente Verkehrssysteme nicht gehe.

Die nächste industrielle Revolution, in der die Innovationen zu 40 Prozent durch Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) getrieben würden, stellt laut Keitel einen "Quantensprung" dar, "den wir nicht selbst erfinden oder initiieren, sondern nur zulassen müssen". Es stehe unter Strafe, diesen Zug zu verpassen. Die globale Konkurrenz warte nicht und setze ihrerseits bereits auf veränderte Wertschöpfungsprozesse. Von der Politik erwartete der BDI-Chef vor allem Zurückhaltung: "Wir haben ein gutes Werte- und Rechtssystem", meinte er, "das reicht eigentlich." Das Internet sei kein rechtsfreier Raum, und vor allem brauche die Wirtschaft "keinen Schutz überholter Geschäftsmodelle". Konkret sprach Keitel in diesem Kontext das von der Koalition geplante Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse im Internet an, das der BDI ablehnt. Zudem müsse die Netzpolitik beim Wirtschaftsministerium gebündelt werden.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler bezeichnete es als Aufgabe der Politik, einen "klugen Rechtsrahmen" zu setzen und Standards zu entwickeln helfen. Diese seien etwa nötig, um das "Internet der Dinge" weiter zu entwickeln, in dem RFID-Funkchips etwa Produktionsabläufe im Automobilbereich optimieren könnten. Der Staat müsse aber auch ab und an regulieren. Als Beispiel nannte der FDP-Politiker die Auflage für den Gesundheitssektor, zehn Prozent der Patienten in diesem Jahr mit der elektronischen Gesundheitskarte auszurüsten. Die Leistungserbringer hätten sich unter dem Hinweis auf den Datenschutz jahrelang dagegen gewehrt, sodass schon das hiesige "Industrieland 1.0" international "etwas in Verruf geraten" sei.

In der Politik seien einige Abwägungsprozesse nötig, führte Rösler aus. Beim Cloud Computing müsse aufgepasst werden, dass der noch junge Markt nicht von Verbraucherschützern erdrosselt werde. Andererseits müsse das Bewusstsein der Unternehmen für Datensicherheit geschärft werden. Die Netze, vor allem bei der Energieversorgung, müssten stabil sein. Smart Grids könnten hier verbesserte Steuermöglichkeiten schaffen und Schwankungen durch die Integration erneuerbarer Energien ausgleichen.

Elmar Frickenstein, Leiter Entwicklung Elektrik, Elektronik und Fahrerlebnisplatz bei BMW, sieht den Aufbau eines weltweiten mobilen Breitbandnetzes als nötig an, um die Vision vom Auto als Knoten im Netz verwirklichen zu können. Der Fahrzeugbauer habe seit zwölf Jahren IT-Infrastrukturen im Wagen, die einen automatischen Notruf auslösen, einen Termin mit der Werkstatt bei der Abnutzung der Reifen machen oder Echtzeitinformationen über Staus liefern könnten. Dies müsse hierzulande aber genauso möglich sein wie etwa in China oder Amerika. Ferner seien für einen besseren Verkehrsfluss oder teilautonomes Fahren Serverstrukturen erforderlich, auf die alle Fahrzeughersteller zugreifen könnten. Frickenstein bemängelte weiter, dass es keine einheitliche internationale Ladestruktur für Elektroautos und keine universellen Schnittstellen für die Kommunikation mit Ladestellen gebe.

Es gebe ein großes Nachwuchs- und Fachkräfteproblem, meinten Rudolph Martin Siegers, Leiter Siemens Deutschland, und Michael Fuchs, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Die Anzahl der Auszubildenden sinkt massiv", beklagte Fuchs, da die Demographie-Entwicklung brutal zuschlage. "Im 'MINT'-Bereich haben wir schon ein Lag von 150.000 Leuten", unterstrich der Politiker. Er bedauerte, dass Verbraucher- und Datenschützer der technischen Entwicklung große Auflagen machten. Eine gewisse Innovationsangst gebe es vor allem bei den "grünen Kollegen". Sein Kollege bei der SPD, Garrelt Duin, monierte, dass der Datenschutz E-Government kaputt machen könne. Man müsse hier mit Augenmaß justieren. Ein Vertreter des Hightech-Verbands Bitkom sprach sich dafür aus, "die Netzpolitik nicht nur den Netzpolitikern" zu überlassen, da diese oft die größten Bremser seien.

Der Datenschutz könne auch ins Positive gewendet werden, hielt Wolfgang Wahlster, Chef des Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), dem entgegen. Sicherheit aus Deutschland sei auch eine Marke, man vertraue hiesigen IT-Systemen im Ausland daher sehr. Führungspositionen nehme Deutschland bei vernetzten eingebetteten Computern und Unternehmenssoftware ein. Diese beiden Felder müssten nun über das Theseus-Forschungsprogramm zum "Internet der Dienste" zusammengeführt werden. Die Innovation liege auch in den Fabriken, da das Internet die Produktion immer stärker durchdringe. Dafür müssten enorme Datenmengen von Sensoren übertragen werden. Politik und Wirtschaft wollten daher auf dem nächsten IT-Gipfel im Dezember das Projekt "Smart Factory" auf den Weg bringen. (anw)