Polizeiliche Datensammlung zur Verhinderung von Hooliganismus in Zürich

Eine Art "Minority Report" in der Schweiz: Durch Speicherung in "Gamma" sollen auch Personenkreise, die der Gewaltbereitschaft lediglich verdächtigt werden, präventiv von Vandalismus und Gewalt bei Sportveranstaltungen abgehalten werden.

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Von
  • Tom Sperlich

In der größten Schweizer Stadt Zürich wird am 1. Januar die polizeiliche Datenbank "Gamma" aktiviert, die ein spezielles Konzept umsetzt: eine so genannte De- Anonymisierung "Gewalt suchender" Sportrowdys. Der Grundgedanke: Gewalt kann möglicherweise, bevor sie überhaupt passiert, verhindert werden. Durch Speicherung in Gamma sollen einschlägige Personenkreise präventiv von Vandalismus und Gewalt bei Sportveranstaltungen abgehalten werden. Wer als "Gewalt suchend" angesehen wird, verhält sich laut Definition der Gamma-Befürworter anlässlich von Sportveranstaltungen derart auffällig, dass er sich von rein sportinteressierten Zuschauern klar unterscheidet. Er oder sie kann dann "einer polizeilichen Maßnahme unterzogen werden", weil der potenzielle Hooligan beispielsweise "eine Bedrohungslage gegenüber Personen oder Eigentum schafft", lautet die Definition des Polizeidepartements Zürich .

Da jede registrierte Person darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass sie in der Gamma-Datenbank erfasst wurde, weiß sie, dass ihre persönlichen Daten der Stadtpolizei Zürich bekannt sind. Diese De-Anonymisierung soll die registrierten Personen dann von Straftaten abhalten, hoffen die Befürworter. Das heißt aber auch: Personen, die sich auffällig zur falschen Zeit am falschen Ort bewegen, können sich künftig prophylaktisch registriert finden, obwohl sie keinerlei Gesetzesübertretung begangen haben.

Gamma wurde in einer Zürcher Volksabstimmung im September 2009 mit einer großen Mehrheit von 72 Prozent der Stimmen angenommen. Da später kein Rechtsmittel gegen Gamma ergriffen wurde, wird deshalb die Stadtpolizei Zürich die Datenbank ab dem 1. Januar einsetzen.

Gamma war und ist selbstverständlich umstritten. Im Vorfeld der Abstimmung setzte sich beispielsweise ein überparteiliches überparteiliches Aktionskommitees "Gamma Nein" aus linken und rechten Politikern, Kulturschaffenden und Juristen gegen die neue Datenbank ein. Eines der wichtigsten Argumente der Gegner der Datenbank von Sportrowdys (die auch schon zweimal zum Big Brother Award nominiert wurde) ist, dass mit "Hoogan" auf nationaler Ebene bereits eine Datenbank existiert. In diese werden allerdings ausschließlich Personen eingetragen, die bereits gewalttätig geworden sind und deshalb etwa mit Stadionverboten, Meldeauflagen, Ausreisebeschränkung oder Polizeigewahrsam belegt wurden. Eine Mehrheit des Zürcher Stimmvolks hatte jedoch offensichtlich die periodischen, gewalttätigen Ausschreitungen rund um Fußball- und Eishockeyspiele satt und setzte sich daher über mögliche Bedenken und Eingriffe in die Bürgerrechte hinweg.

Ganz offiziell und mit dem Segen des Volkes wird die Datensammlung nun also nochmals ausgebaut: Wer in Zürich als sogenannt gewaltbereit oder gewalttätig gilt, wird in Gamma und zudem auch noch in der (ebenfalls umstrittenen) nationalen Datenbank Hoogan registriert. Die Gegner aber lehnten eine weitere, städtische Datenbank als unnötig ab. Vor allem will man keine Datensammlung über unschuldige Personen, schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ): Mit der Nutzung von Gamma werde die Unschuldsvermutung, wie sie laut Völkerrecht und Bundesverfassung für alle noch nicht straffällig gewordenen Personen gelten sollte, "zumindest geritzt", zitiert die Zeitung Staatsrechtler..

Gamma soll vorerst bis Ende 2010 betrieben werden. Sollten die Erfahrungen mit der Datenbank und ihr Zusammenwirken mit anderen Maßnahmen zur Reduktion von Gewalt bei Sportveranstaltungen positiv sein, wird dem Gemeinderat eine Weisung zur definitiven Einführung vorgelegt, heißt es in einer Mitteilung der Stadtpolizei Zürich. (jk)