Schweiz: Verkehrssteuerung mit variablen Preisen
Die Schweizer Regierung will volle Züge und Autobahnen entlasten. Eine Methode: "Mobility Pricing". Zu Stoßzeiten könnten Autobahnnutzung und Zugticket dann mehr kosten als sonst.
Der Schweizer Bundesrat sucht nach Wegen, die Verkehrsinfrastruktur zu entlasten. Die Regierung prüft deshalb auch das sogenannte "Mobility Pricing". Mit nutzungsabhängigen Verkehrsabgaben sollen die vorhandenen Kapazitäten auf Straße und Schiene effizienter genutzt werden, hofft Verkehrsministerin Doris Leuthard. Mit Pilotprojekten in verschiedenen Städten und Regionen soll das ab 2019 getestet werden.
An der Kapazitätsgrenze
Doch die Kapazitätsgrenze von motorisiertem Individualverkehr (MIV) und Öffentlichem Verkehr (ÖV) ist gerade zu Spitzenverkehrszeiten bereits heute meist erreicht. Trotz doppelstöckiger Waggons überfüllte Züge, Stoßstange an Stoßstange auf den Hauptautobahnen – wer heute zu Stoßzeiten unterwegs sei, müsse leiden, sagte Leuthard. Und bei der Zunahme des Verkehrs ist noch kein Ende abzusehen: Modellrechnungen zufolge wird die Verkehrsleistung auf Straße und Schiene bis 2030 um rund ein Viertel anwachsen. Bereits heute aber betragen die volkswirtschaftlichen Kosten von Staus rund 1,6 Milliarden Franken (rund 1,4 Mrd. Euro) pro Jahr, rechnen die Schweizer Behörden vor.
Der Zubau von Infrastruktur ist aber in der kleinen, bereits dicht bebauten Schweiz weder einfach noch preisgünstig haben. Der Bundesrat will deshalb prüfen, wie die bestehende Infrastruktur effizienter genutzt werden kann. Dieses sei für die Regierung primär ein Instrument zur Lösung von Kapazitätsproblemen und nicht zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, heißt es in Bern. Es gehe nicht um eine Preiserhöhung, sondern eine andere Art zu bezahlen. Auch wer zur Rush Hour pendelt, soll demnach nicht mehr bezahlen als bisher. Man wolle die Berufstätigen nicht bestrafen, beteuerte Leuthard, konnte damit Befürchtungen vor Kostensteigerungen aber nicht ganz ausräumen.
Verschiedene Modelle
Der Bundesrat hat bereits verschiedene Modelle der Verkehrsströme-Umschichtung geprüft. Eine Auswertung zeigt, dass die meisten Kantone, Parteien und Verbände dem Mobility Pricing grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Daraufhin hat die Regierung nun grünes Licht für ein Konzept gegeben. Ziel sei es, die Mobilitätsnachfrage langfristig durch benutzungsbezogene Abgaben besser über den Tag zu verteilen und Infrastruktur für MIV und ÖV gleichmäßiger auszulasten. So liege die Auslastung in den Zügen abseits der Rushhour bei nur noch 30 Prozent, sagte Leuthold. Die Regierung weist darüber hinaus darauf hin, dass laut einer Studie 63 Prozent Pendler, die zu Stoßzeiten im Großraum Zürich unterwegs sind, bereits heute auch die Möglichkeit hätten, andere Zeiten zu wählen.
Konkretes Interesse, Mobility-Pricing-Konzepte in einem Pilotprojekt zu prüfen, haben bereits die Kantone Genf, Tessin, Zug sowie die Stadt Rapperswil-Jona und der Grossraum Bern angemeldet. Hinsichtlich der Pilotprojekte stellt der Bundesrat sogar beliebte oder obligatorische Schweizer Spezialitäten wie die Autobahnvignette und das Generalabonnement (GA) für die SBB (einer Jahresnetzkarte vergleichbar) in Frage. Im MIV könnte statt einer pauschalen Vignette ein „Smart Device“ die tatsächliche Nutzung der Strassen-Infrastruktur erfassen und abrechnen, beispielsweise via Smartphone-App oder einer elektronischen Vignette.
Autofahrer müssten etwa eine Kilometerabgabe und zu Hauptverkehrszeiten eventuell an neuralgischen Stellen einen Kilometerzuschlag entrichten. Städte mit hoher Verkehrsbelastung könnten eine City-Maut prüfen. Das alles würde sukzessive bestehende Abgaben ersetzen – den Mineralösteuerzuschlag, die zweckgebundene Mineralölsteuer, die Automobilsteuer, die Vignette und kantonale Motorfahrzeugsteuern. Spezielle Lösungen bräuchte es für Gelegenheitsnutzer, werden Überlegungen in den Medien wiedergegeben.
Keine Mobilitätsflatrate mehr
Für den öffentlichen Verkehr sehen die Planspiele differenzierte Tarife vor. Das beliebte Generalabo als Mobilitätsflatrate widerspreche der Idee des Mobility Pricing, geben Experten zu bedenken. Ein elektronisches Ticketingsystem steht hingegen prominent oben auf einer Mobility-Pricing-Agenda des Bundes. Spitzenbeamte des Bundes wollen die Netzkarte jedoch nicht zur Disposition stellen, sondern allenfalls anpassen. Mit dem Swisspass wurde bereits die technische Grundlage geschaffen, um die Strecken der ÖV-Nutzer zu erfassen. Was in der bisherigen Praxis aus datenschutzrechtlicher Perspektive nicht unwidersprochen blieb.
Wenn die Regierung solche Überlegungen in die Tat umsetzen will, ist ein befristetes Bundesgesetz nötog, über das das Parlament voraussichtlich 2018 diskutiert. Die Pilotprojekte könnten dann 2019 beginnen. Mobility Pricing könne dabei nur ein Teil künftiger Lösungen sein, betont die Regierung. Weitere Maßnahmen wie flexible Arbeitszeitmodelle, angepasste Unterrichtszeiten, Home Office oder Fahrgemeinschaftenk könnten ebenso zum Ziel beitragen. (vbr)