Streit um IBMs „Katzenhirn“-Simulation
Eine Präsentation von IBM auf der Supercomputing-Konferenz SC09 hat zu einem heftigen Streit unter Wissenschaftlern geführt. In einem offenen Brief an den IBM-CTO Bernard Meyerson bezeichnete der Hirnforscher Henry Markram die zu dieser Präsentation verbreiteten Behauptungen als „Betrug an der Öffentlichkeit“.
Eine Präsentation von IBM auf der internationalen Supercomputing Conference SC09 in Portland, Oregon, hat zu einem heftigen Streit unter Wissenschaftlern geführt. In einem offenen Brief an den IBM-CTO Bernard Meyerson bezeichnete der Hirnforscher Henry Markram die von IBM in einer Pressemitteilung zu dieser Präsentation verbreiteten Behauptungen als „Betrug an der Öffentlichkeit“, „komplette Zeitverschwendung“ und „schädlich für die Wissenschaft“.
Stein des Anstoßes ist insbesondere die publikumswirksame Behauptung der Wissenschaftler um Dharmendra Modha, Leiter des Bereichs „Cognitive Computing“ bei IBM Research, man habe „ein Gehirn größer als das einer Katze nahezu in Echtzeit“ simuliert. Die Präsentation auf der SC09 trug dementsprechend den Titel: „The Cat is out of the Bag: Cortical Simulations with 109 Neurons and 1013 Synapses.“
Modha und seine Kollegen hatten bereits vor einem Jahr für viel Aufsehen gesorgt, als sie den Zuschlag für ein Teilprojekt des Programms „Systems of Neuromorphic Adaptive Plastic Scalable Electronics“ (SyNAPSE) der DARPA bekommen hatten. Nicht weniger als ein „Reengineering des Gehirns“ schwebe ihm vor, hatte Modha erklärt. IBM werde mit seinen Uni-Partnern ein System kreieren, das in Anlehnung an das menschliche Gehirn in der Lage ist, kognitive Fähigkeiten zu entwickeln. Für das C2S2-System (Cognitive Computing via Synaptronics and Supercomputing) stellt die DARPA zunächst 4,9 Millionen Dollar zur Verfügung.
Im Rahmen eines Interviews mit Technology Review hatte Modha dann allerdings eingeräumt, dass seine Simulation mit relativ einfach strukturierten Neuronen läuft. „Im vergangenen Jahr haben wir Hirngewebe simuliert, das etwa so groß ist, wie das einer Ratte“, sagt er. „Aber um das klar zu sagen: Das war nicht das Gehirn einer Ratte – es war neuronales Gewebe, dessen Größe dem eines Rattenhirns entspricht. Jede Simulation ist nicht mehr als eine Skizze – eine Art Cartoon – der Realität, die ungeheuer komplex ist. Unter dieser gegebene Voraussetzung haben wir die Neuronen so komplex modelliert wie möglich. Aber letztendlich bin ich ein Ingenieur und kein Neurologe. Ich will sehr irdische Probleme lösen – ich will IBM helfen, bessere Services für seine Kunden anzubieten.“
Der Hirnforscher Henry Markram, dessen ebenfalls von IBM gefördertes Projekt „Blue Brain“ auch die Simulation von Hirngewebe zum Ziel hat, geht dagegen einen ganz anderen Weg: Er will die einzelnen Neuronen so exakt wie möglich simulieren. Das bislang übliche Vorgehen, ein Neuron einfach als mit anderen Hirnzellen verknüpften Punkt zu betrachten lasse „über 90 Prozent der Funktionalität des Gehirns“ außer Acht, sagt Markram. Kritiker hatten auch Markram vorgeworfen, seine Ankündigung, in zehn Jahren könne man das Hirn eines Säugetiers biologisch exakt in Echtzeit simulieren, schüre überzogene Erwartungen.
Nach der SC09-Präsentation zeigte sich Markram jedoch deutlich angefressen. „Du hast mir doch gesagt, dass Du diesen Kerl an den Zehen aufhängst, wenn er wieder so dummes Zeug über die Simulation eines Mäusehirns erzählt“, schreibt Markram in seinem von IEEE Spectrum dokumentierten Brief an den „lieben Bernie“. „Ich bin absolut geschockt von dieser Pressemitteilung. Nicht, weil es eine technische Meisterleistung wäre, sondern weil es eine Täuschung der Öffentlichkeit ist.“ (wst)