TV-Streaming in der Cloud: Aereo-Anhörung vor US Supreme Court

Der US Supreme Court muss entscheiden, ob Aereo Streams über TV-Antennen aus Antennen-Phalanxen und digitale Videorecorder vermieten darf. Dabei geht es auch um die Zukunft der Cloud.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 20 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Aereo betreibt in elf US-Städten Phalanxen winziger TV-Antennen und vermietet sie einzeln an Einwohner der jeweiligen Stadt. Diese Kunden können dann über einen individuellen Stream das von ihrer Antenne empfangene terrestrische TV-Signal (auch zeitversetzt) abrufen. Außerdem bietet Aereo einen Videorekorder-Dienst an. Die großen TV-Sender haben Aereo wegen Copyright-Verletzung verklagt. Für Dienstag hat der US Supreme Court zu einer Anhörung geladen.

Ausschnitt aus einer Phalanx tausender Antennen, wie sie Aereo beispielsweise in Brooklyn betreibt.

(Bild: Aereo)

Im zweiten US-Bundesgerichtsbezirk (Second Circuit) haben erste und zweite Instanz festgestellt, dass Aereo kein Copyright verletzt: Da jeder Aereo-Nutzer seine eigene Antenne respektive Videodatei habe, findee keine öffentliche, sondern eine private Aufführung statt. Und nur die öffentliche Aufführung ist den Rechteinhabern exklusiv vorbehalten. Andernfalls wäre jedes Einschalten eines Fernsehers eine Copyright-Verletzung.

Im zehnten Gerichtsbezirk hingegen wurde eine Einstweilige Verfügung gegen Aereo erlassen, weshalb es den Betrieb in zwei Städten vorerst einstellen musste. Zudem hat ein Bezirksgericht in Zentralkalifornien eine Einstweilige Verfügung gegen einen ähnlichen Dienst, FilmOn, erlassen. Entscheidungen in der Sache selbst gibt es außerhalb des zweiten Gerichtskreises noch nicht. Nun soll der US Supreme Court Klarheit bringen (ABC vs Aereo, 13-461). Am Dienstag findet dazu eine mündliche Anhörung statt.

Im Vorfeld haben rund 40 Einrichtungen, die nicht selbst Partei des Verfahrens sind, dem Gericht Stellungnahmen übermittelt. Die Kläger werden beispielsweise von der US-Regierung, zwei großen Sportligen, den großen Kabelnetzbetreibern Time Warner und Cablevision sowie dem Verband der Musikindustrie (IFPI) unterstützt. Der größte Kabelnetzbetreiber des Landes, Comcast, ist Eigentümer der Senderkette NBC. Sie ist einer der Kläger.

Für Aereo argumentieren, neben Verbraucherschützern, beispielsweise Mozilla, die Computer and Communications Industry Association (CCIA) sowie, etwas überraschend, die American Cable Association (ACA). In diesem Verband haben sich die kleinen Kabelnetzbetreiber zusammengeschlossen. Die ACA-Mitglieder geben zwar zu, dass sie durch Aereo einige Kunden verlieren könnten. Ein Verbot Aereos könnte aber den kleinen Kabelbetreibern selbst den Zugang zu effizienter Technologie versperren. Diese sei unerlässlich im Wettbewerb mit den Großen der Branche.

Die CCIA vertritt die Interessen von Firmen wie eBay, Facebook, Google, Microsoft, Pandora, Redhat, Samsung, Yahoo und T-Mobile. Auch ein Verband kleiner und unabhängiger TV-Sender möchte, dass Aereo weiterlebt. Denn dank Aereo erhöht sich die technische Reichweite von TV-Sendern.

Juristisch spitzt es sich auf die Frage zu, ob die von Aereo bereitgestellten individuellen Videostreams eine öffentliche Aufführung sind oder eine private. Ersteres wäre mangels Lizenz rechtswidrig, Letzteres nicht lizenzpflichtig und damit legal. Die Bedeutung der Frage geht weiter über Aereo hinaus, weshalb sich auch Google&Co in dem Prozess engagiert haben.

"Die selbe Regel gilt für praktisch jede Firma, die mit Streams aus der Cloud arbeitet", erklärte Aereo-Chef Chet Kanojia im Bloomberg Radio vergangene Woche. "Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes seit der Betamax-Entscheidung verlangt jemand vom Supreme Court, die Haftung für Copyright auf die Anbieter von Geräten auszudehnen. Darf (eine Videoaufnahme und -Wiedergabe, die) Zuhause legal ist, auch in der Cloud gemacht werden? Das ist eine sehr wichtige Frage."

Das Problem: Das Copyright-Gesetz ist nicht für das Online-Zeitalter konzipiert. "Das Parlament hat ein Gesetz geschrieben, das total undeutlich dazu ist, was hier das richtige Ergebnis sein sollte", meinte die Rechtsprofessorin Rebecca Tushnet im selben Radioprogramm, "Ich kann nicht sehen, wie Aereo haftbar sein sollte, Cloud-Dienste wie jene von Amazon oder Drobpox aber nicht, [wenn sie Dateien der Kunden hosten]. Außer man macht einen mühsamen Eiertanz. Das Gericht könnte das tun. Aber die Leute sind besorgt, weil die von den TV-Sendern vorgebrachten Theorien dazu führen würden, dass auch Dropbox haftet."

In einem nicht alltäglichen Schritt wird der Anwalt der Regierung sogar bei der mündlichen Anhörung das Wort ergreifen. Er glaubt, dass es einen Weg gibt, Aereo für illegal zu erklären, ohne andere Videodienste aus der Cloud zu kriminalisieren. Seine Argumentation: Cloud-Dienste würden in der Regel Aufnahmen bereitstellen, die der Nutzer bereits rechtmäßig erworben habe. Und diese abzuspielen sei normalerweise eine private Aufführung. Aereo diene aber dem erstmaligen Erwerb der Aufnahme und übertrage selbige. Die Cloud-Betreiber dürfte das kaum beruhigen.

Der IFPI argumentiert, dass die USA internationale Abkommen verletzen würden, wäre Aereo legal. Dagegen halten etwa die kleinen Kabelbetreiber, dass diese Abkommen von der US-Regierung mit Zustimmung nur einer Kammer des Parlaments unterzeichnet wurden. Copyright-Recht müsse laut Verfassung aber von beiden Kammern beschlossen werden. Internationale Abkommen könnten daher kein inländisches Copyright-Recht (er)setzen.

Die ACA meint außerdem, dass es in Wahrheit gar nicht um Copyright geht. In Frage gestellt sei vielmehr das Recht der Bürger, legale Sendungen über öffentliche Frequenzen zu empfangen.

Der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen. Eine Entscheidung des Supreme Court wird für Juni erwartet. Soviel ist sicher: Sollte Aereo auch die dritte Runde gewinnen, werden die TV-Sender ihr Lobbying intensivieren. Sie würden das US-Parlament dazu drängen, das Gesetz umzuschreiben. (ds)