US-Prozess um Lizenzierung von Standardpatenten beginnt
Vor einem US-Gericht in Seattle geht es um mehr als nur den Streit zwischen Microsoft und Motorola: Erstmals könnte ein Bundesgericht die Maßstäbe für FRAND definieren, die für standardrelevante Patente gelten.
Vor dem US-Bundesgericht in Seattle hat am Dienstag ein über die Branche hinaus beachteter Prozess begonnen, in dem Microsoft und Motorola darüber streiten, wie "faire und angemessene" Lizenzgebühren für standardrelevante Patente auszusehen haben. "Seit meiner Striplokal-Verfügung war dieser Gerichtssaal nicht mehr so voll", sagte Richter James Robart laut Seattle Times zur Eröffnung des Verfahrens angesichts zahlreich erschienener Zuschauer.
Die Aufmerksamkeit ist deshalb so groß, weil sich der Ausgang des Verfahrens weit über den konkreten Fall hinaus auswirken dürfte: Erstmals wird ein US-Bundesgericht entscheiden, welche Maßstäbe genau bei der Ermittlung von "fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden" Lizenzbedingungen angelegt werden müssen. Dieser "FRAND"-Grundsatz gilt laut einer Branchenübereinkunft für die Lizenzierung patentgeschützter Techniken, die in anerkannten Industriestandards verwendet werden. Wie genau die Lizenzgebühren bemessen werden ist dabei nicht klar geregelt.
Der Streit zwischen Microsoft und Motorola spielt sich vor dem Hintergrund des globalen Patentkriegs um Mobilfunktechnik ab. Branchenriesen wie Apple und Microsoft, beide mit stattliches Patentarsenalen ausgestattet, bekämpfen die Konkurrenz aus dem Android-Lager mit allen Mitteln. Auch Motorola besitzt einen reichen Patentschatz – unter anderem wegen diesem hatte Google die Handysparte des US-Herstellers für 12,5 Milliarden US-Dollar übernommen.
Motorola und Microsoft streiten vor verschiedenen internationalen Gerichten. Die Google-Tochter führt dabei auch standardrelevante Techniken ins Feld: Patente für den WLAN-Standard 802.11 sowie den Video-Codec H.264. Gegen diese Praxis, die auch von amerikanischen und europäischen Aufsichtsbehörden mit Skepsis betrachtet wird, wendet sich Microsoft in dem laufenden Verfahren. Der Software-Riese argumentiert, Motorola habe sich den FRAND-Prinzipien verpflichtet und müsse die strittigen Patente zu fairen Konditionen lizenzieren. Das von Motorola zwischenzeitlich unterbreitete Lizenzangebot hatte Microsoft als zu teuer und nicht FRAND-konform abgelehnt.
In Deutschland konnte Motorola aufgrund der standardrelevanten Patente bereits ein Verkaufsverbot für Microsofts Spielkonsole Xbox sowie Windows 7 erwirken, darf das auf Anordnung von Richter Robart bisher nicht durchsetzen. Der US-Richter will erst über die FRAND-Frage entscheiden und bis dahin verhindern, dass etwa mit einem Vertriebsverbot in Deutschland irreversibler Schaden angerichtet wird.
Robart hat es mit einer explosiven Gemengelage zu tun. In seinem Gerichtssaal wird es um bisher stets gut gehütete Branchengeheimnisse gehen: Über Details ihrer Lizenzabkommen reden die Unternehmen nicht gerne. Am ersten Prozesstag ging es in den Anträgen der Streithähne auch viel darum, welche Akten unter Verschluss bleiben sollen. Eine Entscheidung über Motorolas Antrag, die Namen der Lizenzpartner aus der Beweisaufnahme rauszuhalten, hat Robart verschoben.
Er versuche, das Recht auf Informationen so weit wie möglich auszulegen, sagte Richter Robart laut Agenturberichten. Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch darauf zu erfahren, wie solche Lizenzgebühren zustand kämen. Das Verfahren soll voraussichtlich bis 21. November dauern, mit einem Urteil wird im Dezember gerechnet. Robart hofft, dass sich die Zuschauer nicht das ganze Verfahren in seinem Gerichtssaal stapeln, der das letzte Mal bei seinem Urteil gegen das Nacktbarverbot in Seattle so voll war: "Wenn Sie merken wie langweilig das hier ist, werden Sie den Saal hoffentlich räumen." (vbr)