US-Regulierer verabschiedet neue Leitlinien zur Netzneutralität
Die Federal Communications Commission (FCC) hat sich auf ein Rahmenwerk zur Sicherung des offenen Internets verständigt – und sich damit zwischen alle Stühle gesetzt. Die Republikaner kündigten bereits Widerstand im US-Kongress an.
Die Federal Communications Commission (FCC) hat nach einer kontroversen Debatte am Dienstag ein Rahmenwerk zur Festschreibung der Netzneutralität verabschiedet und sich damit erwartungsgemäß zwischen alle Stühle gesetzt. Die Spitze der US- Regulierungsbehörde folgte weitgehend dem Vorschlag von FCC-Chef Julius Genachowski von Anfang Dezember. Demnach bleibt es bei der bislang bereits inoffiziell geltenden allgemeinen Verpflichtung für die Netzbetreiber, die Verbreitung "rechtmäßiger" Inhalte, Anwendungen und Dienste in ihren Netzen sowie den Anschluss von Endgeräten nicht zu behindern. Eine "unangemessene Unterscheidung" zwischen Datenpaketen beim Transfer legitimen Netzverkehrs soll ihnen nicht gestattet sein.
Spezielle Breitband-Zusatzdienste etwa in den Bereichen E-Health oder Internet-TV sollen zunächst von der Regulierung ausgenommen und im Gegenzug genau beobachtet werden. Die Grundprinzipien für ein offenes Netz gelten nur eingeschränkt für den Mobilfunk. Ausdrücklich dürfen aber Voice-Apps von Konkurrenten nicht blockiert werden. Verbraucher sollen ohne Kosten informelle Beschwerden online einreichen können. Ferner ist ein Beirat geplant, der die Einhaltung der Regeln kontrollieren soll. Die beiden der Demokratischen Partei angehörenden Kommissare Michael Copps und Mignon Clyburn votierten gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Genachowski für die neuen Bestimmungen, die beiden republikanischen Kommissionsmitglieder lehnten sie mit scharfen Worten ab. Der genaue Textlaut des Rahmens soll in den kommenden Tagen veröffentlicht werden.
Ursprünglich hatte der FCC-Vorsitzende vorgeschlagen, Breitbandanbieter als Telefonnetzbetreiber einzustufen und damit einem strikteren Regulierungsregime zu unterwerfen. So wollte der Chefregulierer Auflagen zur Beibehaltung des Prinzips eines offenen Netzes auf das Internet ausdehnen. Genachowski sah sich aber nach Widerstand hauptsächlich aus der Branche und der Republikaner gezwungen, deutlich zurückzurudern. Der neue Rahmen lässt so theoretisch erstmals nutzungsabhängige Preise für den Datenaustausch zu. Provider müssten dafür aber nachweisen, dass entsprechende Sondertarife im Interesse der Allgemeinheit sind. So bleibt fraglich, ob damit etwa Anbieter, die vor allem bandbreitenhungrige Online-Videos übertragen, an zusätzlichen virtuellen Mautstellen zur Kasse gebeten werden könnten. Der US- Kabelanbieter Comcast hat dies bereits vorexerziert.
Generell sieht die FCC Transparenz als wichtigstes Mittel zur Aufrechterhaltung des offenen Internets an und setzt so verstärkt auf den Markt und den Wettbewerb als Ausgleichsfunktion. Sollten Zugangsanbieter Techniken für ein "vernünftiges Netzwerkmanagement" etwa zur Gewährleistung einer speziellen Servicequalität oder zum Verhindern von Staus auf der Datenautobahn einsetzen, müssten sie ihre Kunden demnach genau darüber in Kenntnis setzen. Der Rahmen kommt insgesamt einem Vorstoß von Google und Verizon sehr nahe.
Genachowski lobte den verabschiedeten Weg als Kompromiss, der die mit dem klassischen Internet entstandenen Innovationspotenziale für junge Firmen und Erfinder offen halte und zugleich großen Konzernen Möglichkeiten für den Netzausbau und das Aufsetzen kostenpflichtiger Zusatzdienste aufzeige. Den Bedürfnissen nach Produktneuerungen und Investitionen werde an allen Nachfrageseiten der Breitbandnetze Rechnung getragen. Erstmals gebe es nun durchsetzbare Regeln, "um Grundwerte des Internets zu schützen". Copps sprach vom Setzen eines "wichtigen Meilensteins", solange die Bestimmungen von der FCC in Folge auch "wachsam und tatkräftig" gegen potenzielle "Gatekeeper" durchgesetzt würden. Seine Kollegin Clyburn hätte sich stärkere Richtlinien für die Netzneutralität gewünscht. Der Rahmen schütze Verbraucher aber trotzdem beim Forschen, Lernen und Erfinden in der Online-Welt.
Unzufrieden mit dem Ergebnis zeigte sich Al Franken, Senator aus Minnesota. Der Demokrat bezeichnete die Netzneutralität in einem Blogbeitrag als "wichtigste Frage der Meinungsfreiheit unserer Zeit". Die Initiative der FCC bleibe weit hinter den Erwartungen zurück und sei "mit schweren Fehlern behaftet". Franken reibt sich vor allem daran, dass im Mobilfunk bald einzelne Applikationen stärker zensiert werden könnten. Zivilgesellschaftliche Organisationen übten ebenfalls scharfe Kritik. Der Rahmen enthalte "riesige Löcher", monierte etwa die Vereinigung Free Press. Die Bürgerrechtler von Public Knowledge sprachen von einer "vagen und sich wandelnden" Regulierungslandschaft, die "offen ist für Interpretationen". Damit sei den Nutzern nicht gedient.
Republikaner sehen dagegen keine Notwendigkeit und keine rechtliche Basis für die verabschiedeten Regulierungsmaßnahmen. Sie fürchten um die Innovationskraft und das Wachstum der großen Telekommunikationskonzerne. Der texanische Senator Kay Bailey Hutchison machte im Vorfeld bereits einen Änderungsvorschlag für ein Gesetz zur Förderung militärischer Bauprojekte, durch den der FCC die Annahme oder Durchsetzung von Normen zur Netzneutralität untersagt werden soll. Beobachter rechnen zudem damit, dass größere Spieler im Markt gegen die neuen FCC-Vorgaben klagen. Die Regulierungsbehörde war schon einmal in einem Netzneutralitätsverfahren von einem US-Berufungsgericht zurückgepfiffen worden. (pmz)