"Until Dawn" getestet: Teenie-Horror mit makabrem Spaß

Nach "Heavy Rain" und "Beyond" erklimmt Sony bei seinen interaktiven Spielfilmen neue Produktionsgipfel. Im Horror-Spiel "Until Dawn" kann der Spieler auch gegen seine Figur spielen, um sie grausam sterben zu lassen.

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Until Dawn
Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Normalerweise fiebert man in einem Adventure immer mit seiner eigenen Spielfigur, will sie an Klippen vorbeisteuern, den großen Drachen erlegen und am Ende die Prinzessin retten lassen. Doch wenn man eine achtköpfige Teenager-Gruppe (oder sagen wir Anfang-20-Jährige) auf einer abgelegene Berghütte betreuen muss, bleibt es einfach nicht aus, dass man einige von ihnen nicht ausstehen kann und lieber jetzt als gleich in die nächste Kettensäge laufen lassen würde. Insofern definiert "Until Dawn" die Beziehung vom Spieler zu seinen Figuren neu.

Da ist die dominante Emily, die ihren Freund Matt immer wieder herumkommandiert, während sie hinter seinem Rücken mit ihrem Ex-Freund Mike herummacht. Oder aber die intelligente Ashley, die zu schüchtern ist, um dem kumpelhaften Chris ihre Liebe zu gestehen. Der wiederum verscherzt es sich gleich zu Anfang mit der Tier-Aktivistin Sam (gespielt von Hayden Panetierre, der unkaputtbaren Cheerleaderin aus der Serie "Heroes"), als er auf ein Eichhörnchen schießt. Sie alle haben in der Vergangenheit gemeinsam Mist gebaut, und der Spieler kann moralisch entscheiden, ob sie dafür leiden sollen oder nicht.

Until Dawn (10 Bilder)

Heroes-Star Hayden Panettiere spielt eine der Sympathieträgerinnen.  (Bild: Sony)

Die Macher von "Until Dawn" dem neuesten Film-Adventure von Sony, das am 26. August für die PS4 erscheint, sind sich der Ambivalenz ihrer Charaktere voll bewusst. Und so unterbrechen sie die einzelnen Episoden – die das Spiel wie eine Serien-Staffel unterteilen – immer wieder mit Sitzungen bei einem mysteriösen Psychiater (gespielt von Peter Stormare, der schon im Film "Fargo" einen verstörten Killer gab). Er fragt den Spieler, ob er denn mit dem bisherigen Verlauf zufrieden sei, welchen der Achtergruppe er am meisten, welchen am wenigsten mag. All dies verstärkt im Spieler das Gefühl, die Handlung weitgehend mitbestimmen zu können.

Und tatsächlich ist es gar nicht mal so einfach, alle Figuren möglichst schnell sterben zu lassen. Besonders der vorlaute Mike erweist sich als zäh und steckt in den Flucht- und Jagd-Szenen so manche Fleischwunde weg, sodass man ihn am Ende doch noch respektvoll lieb gewinnt.

Natürlich spielen die Autoren mit allerlei Genre-Klischees: So trennt sich die Achtergruppe in Zweierpärchen auf, obwohl sie eigentlich zusammenbleiben sollte, und natürlich wird der erste angedeutete Sex mit dem Tod bestraft – wenn der Spieler nicht beherzt eingreift. Denn vorbestimmt ist hier nichts. Am Ende kann jeder der acht sterben oder aber überleben.

Die einzelnen Szenen werden auf einem Niveau dargestellt, das durchaus mit besseren Horror-Filmen und Serien-Staffeln mithalten kann. So setzt die Kamera die schaurig schön ausgeleuchteten Kellergewölbe von festen Positionen aus immer wieder kinoreif in Szene. Das Minenspiel der digitalisierten Schauspieler beeindruckt, vor allem die schwierig zu rendernden Augen passen. Einzig Mundpartien und Gebiss wirken noch zu künstlich.

Letztlich bleibt hier alles gekonnt routiniert innerhalb der Grenzen des Teenie-Horror-Genres. Es wird zwar immer wieder munter aus Folter-Pornos wie "Saw" oder "Hostel" zitiert, die Horror-Szenen bleiben aber innerhalb der Mainstream-Grenzen und driften nicht ins Perverse ab; sie sind durchaus drastisch, Genre-Kenner bekommen aber keine Albträume.

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Unser erster Durchlauf dauerte rund siebeneinhalb Stunden. Am Ende waren alle tot. Nach dem Abspann kann man die elf Kapitel einzeln anspringen und versuchen, die einzelnen Teenies doch noch zu retten. Dazu muss man entweder schon früh eine Entscheidung revidieren oder aber während einer Verfolgungsjagd die richtigen Knöpfe in Reaktions-Tests drücken. Weil deren Reihenfolge stets die gleiche ist, klappt es spätestens beim dritten oder vierten Durchgang. Natürlich ändert sich dadurch der Verlauf der Geschichte nicht komplett: Man kommt immer wieder auf den Hauptstrang zurück, betritt zwischendurch aber unterschiedliche Nebenpfade. Es ist, als wenn man eine bekannte Serien-Staffel erneut anschaut und dabei neue Handlungs-Details und Abzweigungen entdeckt.

Einige Spielelemente, wie etwa die Vorausahnungen der Totem-Funde oder aber die Beziehungs- und Charakter-Einstufungen der acht, werden letztlich zu wenig ausgenutzt. "Until Dawn" will dann doch kein Rollenspiel mit knackigen Rätseln sein, sondern konzentriert sich darauf, als interaktiver Film gut zu unterhalten. Entwickler Supermassive Games wählte hier einen völlig anderen, wesentlich leichter zu konsumierenden Ansatz als etwa Bethesda in "The Evil Within", das aufgrund seines unfairen Schwierigkeitsgrades nur von Masochisten wirklich genossen werden konnte.

"Until Dawn" ist stärker verzweigt als Sonys interaktive Filme "Heavy Rain" und "Beyond". Deshalb wird man es wohl nicht nur ein- oder zweimal, sondern vielleicht ein halbes Dutzend Mal angehen, bis man alle wesentlichen Details der Story entdeckt und die komplette Gruppe einmal gerettet hat.

Weil die Story ihr Spannungsniveau ohne Hänger durchhält und es kein "Game Over" gibt, kann man "Until Dawn" auch komplett in einem Zug vom frühen Abend bis tief in die Nacht spielen. Das klappt auch in einer Gruppe. Denn es sind nicht die an sich mageren Spiel-Elemente, die das Spiel nur für den Controller-Halter spannend machen würden, sondern es sind die Entscheidungen, die man durchaus in einer Gruppe diskutieren kann. Insofern kann Sonys Mischung aus Film-Serie und Adventure-Spiel überzeugen und holt auch diejenigen mit ins Boot, die mit Videospielen wenig anfangen können, weil sie weniger an Herausforderungen als an einer mitreißenden Handlung interessiert sind. (hag)