Verstärker für die Menschheit: zum Tode von Douglas Engelbart

Der Erfinder und Zukunftsforscher Douglas C. Engelbart ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Er gilt als der Erfinder der Computermaus.

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Von
  • Detlef Borchers

Im Alter von 88 Jahren ist der Erfinder und Zukunftsforscher Douglas C. Engelbart im kalifornischen Atherton am Dienstag nach einem akuten Leberversagen gestorben. Engelbart gilt als der Erfinder der Computermaus, der mit der Mutter aller Demonstrationen im Jahre 1968 die Zukunft des Computers demonstrierte.

Douglas Engelbart wurde am 30. Januar 1925 in Portland im US-Bundesstaat Oregon geboren. Seine Eltern bewirtschafteten eine Farm, auf der Engelbart aufwuchs. Alter von neun Jahren musste er nach dem Tod des Vaters auf dem Hof und in den Wäldern mitarbeiten. Er besuchte das Oregon State College mit dem Ziel, Elektroingenieur zu werden, als er zum Kriegsdienst eingezogen und in der Armee zum Radar-Techniker ausgebildet wurde. Hier lernte Engelbart frühzeitig, symbolische Punkte in räumliche Vorstellungen umzusetzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde der junge Techniker auf den Philippinen eingesetzt. In einer Bibliothek las Engelbart die Ausgabe des Atlantic Quarterly, in der Vannevar Bush seinen Aufsatz As we may Think veröffentlichte.

Bush war damals der Wissenschaftskoordinator in der US-Armee und beschäftigte sich mit der Frage, wie die Menschen in Zukunft Informationen verarbeiten und speichern können. Auf Bushs Anraten wurde ein wissenschaftlicher Thinktank an drei Universitäten (Harvard, Berkeley, MIT) gegründet, der unter anderem das Flugabwehrsystem SAGE mit Pointer-Pistolen entwickelte und mit dem SAGE zugeordneten IPTO die Grundlagen der Computervernetzung erforschte.

Engelbart konnte 1948 sein Studium zum Elektroingenieur beenden und wurde vom Ames Research Center der National Aeronautic Commission (der späteren NASA) eingestellt. Nach Arbeiten zur Miniaturisierung von Schaltkreisen ging er an die Universität Berkeley und promovierte 1955 über Schaltungen des CALDIC Computers. Als Assistenzprofessor an dem Projekt arbeitend, setzte sich Engelbart nach einer Lebenskrise das Ziel, seine verbleibende Arbeitszeit von 5,5 Millionen Minuten für den Fortschritt der Menschheit einzusetzen. Er wechselte zum Stanford Research Institute (SRI) und forschte dort über magnetische Schaltungen und schrieb 1962 seine erste größere Abhandlung als Fortsetzung der Thesen von Vannevar Bush: Augmenting Human Intellect. Im Kern ging es Engelbart darum, wie Mensch und Maschine so verschmelzen können, dass die Leistungsfähigkeit des menschlichen Bewusstseins verstärkt wird. Durch Computer und vor allem durch das Lernen mit Computern, könne die Menschheit Probleme angehen, die sie sonst nicht lösen kann.

Die Erfindung der Computermaus war in diesem Rahmen eher ein Abfallprodukt des komplexen Ansatzes. 1964 besuchte Engelbart eine Konferenz über Computergrafik, auf der über Wege gesprochen wurde, eine Bildmarke (Cursor) auf einem Bildschirm darzustellen, wie dies etwa Ivan Sutherland zu dieser Zeit untersuchte. Auch in Deutschland wurde damals an diesem Problem geforscht, was zu ähnlichen Lösungen führte. Engelbart schilderte seine Idee am SRI dem Mechanik-Spezialisten William English, der daraufhin die erste Maus mit drei Maustasten baute. Engelbart wünschte sich eine Maus mit zehn Tasten, um komplexe Befehle per chording eingeben zu können, doch das gab die Elektronik noch nicht her.

Zusammen mit 15 weiteren Wissenschaftlern arbeitete Engelbart an Problemen, die sich aus dem Cursor-Ansatz ergaben, etwa dem Aufbau einer rudimentären grafischen Nutzeroberfläche und der Datenübertragung in diesem NLS-System (Online-System). Die Mother of all Demos im Jahre 1968 war eine Zusammenfassung dieser Arbeiten. Der enorme Einfluss, den diese Präsentation ausübte, war ohne die kalifornische Szene dieser Jahre nicht denkbar, in der LSD-Experimente an Universitäten den gleichen Stellenwert hatte wie die Arbeit an Maus und Tastatur. Das Video der Veranstaltung vermittelt den tranceartigen Eindruck der Vorführung, von der der anwesende Schriftsteller Ken Kesey später sagte: "It's the next thing after acid."

Mit wechselnden Besetzungen werkelte Engelbart nach dieser Demo weiter an seiner Idee. Sein Talent, fähige Wissenschaftler aufzuspüren, wurde nur von seinem Talent übertroffen, seine Mitarbeiter zu verärgern. Zu den Pionieren, die mit Engelbart arbeiteten und sich mit ihm überwarfen, gehörten Bill English (Miterfinder der Maus, später beim Xerox PARC), Ted Nelson (Erfinder des Hypertext-Systems Xanadu) und Charles Irby (Chefprogrammierer bei Silicon Graphics, dann General Magic).

Das auf einen zentralen Computer ausgerichtete NLS-System war seiner Zeit weit voraus, stand aber diametral der Idee vom PC als unabhängigen, persönlichen Computer entgegen. Engelbarts Computer mit dem NLS-System war der Kommunikations-Knoten Nr. 2, als das Arpanet als Vorläufer des Internets aufgebaut wurde. Die Verbindung mit der Arpanet-Forschung sollte Gelder sichern, trug aber auch zum Niedergang des Projekts bei. Das perfekt für wenige Mitarbeiter ausbalancierte System "skalierte" nicht mit den erweiterten Anforderungen.

Im Jahre 1976 wurde Engelbarts Labor an die Firma Tymshare verkauft, die mit ihrem Tymnet ein weltumspannendes kommerzielles Datennetz entwickelte. Engelbart arbeitete kurzzeitig an der Entwicklung von Tymshare mit, verließ die Firma jedoch, um als Motivations- und Referenten-Trainer zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war Engelbart stark von den Ideen des Psychotrainers Werner Erhard beeinflusst, durch besondere Trainingsmethoden den menschlichen Verstand auf eine neue Stufe zu heben. Mit der Gründung des Bootstrap Institutes (heute Douglas Engelbart-Institut) versuchte er schließlich, Computertechnik und Psychotraining zusammenzubringen.

Den späten Engelbart beflügelte die Idee von einer kollektiven menschlichen Intelligenz, die gemessen, aber auch mit Hilfe von Computern verstärkt werden kann. Menschen könnten in kollektiven Kommunikationsprozessen dann schnell erfolgreich auf unvorhergesehene Probleme reagieren, wenn sie sich auf dynamische, gespeicherte Wissensbasen verlassen. Als Beispiel für eine solche Speicherung verwies Engelbart zuletzt auf Wikipedia und die Auswirkungen der Cloud.

Lange Zeit wurde Engelbarts Werk als Arbeit eines obskuren Motivations-Gurus angesehen. Die Verleihung des Turing Awards 1997 stellte jedoch stark auf seine Forschung zur Entwicklung der grafischen Oberfläche ab. Mit der Verleihung der National Medal of Technology durch Präsident Clinton wurde der komplexe Ansatz gewürdigt, der hinter dem NLS-System in der Tradition von Vannevar Bush stand. Als "echter Pionier" erhielt Douglas Engelbart am 15. März 1992 zusammen mit vier anderen Personen den allerersten Pioneer Award der damals jungen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation. Mit der auf der Konferenz über "Computer, Freedom, and Privacy" verliehenen Auszeichnung wurden Ansätze gewürdigt, die eine demokratische freie Vernetzung aller Menschen jenseits von staatlicher Überwachung gefördert haben. (anw)