Vorratsdatenspeicherung: Bundesregierung verlangt Abweisung der EU-Klage
Nach Ansicht der Bundesregierung hat die EU-Kommission mit ihrem Antrag auf Verhängung eines Zwangsgeldes wegen mangelnder Umsetzung der Vorgaben zur Nutzerüberwachung ihre Kompetenzen mehrfach überschritten.
Nach Ansicht der Bundesregierung hat die EU-Kommission mit ihrer Klage wegen mangelnder Umsetzung der Brüsseler Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung ihre Kompetenzen "in mehrfacher Hinsicht überschritten". Die Kommission hatte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf Verhängung eines Zwangsgeldes geklagt, da die Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts unrechtmäßig war und sich die Bundesregierung auf keine Neuregelung einigen konnte.
Eine derart weitgehend Sanktion könne in diesem Fall erst nach einer Verurteilung durch die Luxemburger Richter beantragt werden, heißt es in der heise online vorliegenden Antwort des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums auf die Klageschrift der Brüsseler Regierungseinrichtung. Schließlich habe die Bundesregierung der Kommission bereits erlassene Umsetzungsmaßnahmen ordnungsgemäß mitgeteilt. Diese seien aber vom Bundesverfassungsgericht im Nachhinein für teils unwirksam oder unanwendbar erklärt worden.
Die Regierung in Berlin beantragt daher in dem Schreiben vom Montag, die Klageanträge der Kommission abzuweisen. Brüssel habe mehrere Mitgliedsstaaten wie Österreich, die Niederlande oder Irland wegen eines ähnlichen Sachverhalts zwar ebenfalls verklagt, dabei aber im Gegensatz zum jetzigen Fall kein Zwangsgeld beantragt, führen die Rechtsexperten aus. Dies habe die Kommission nur in der Auseinandersetzung mit Schweden nach beinahe vier Jahren getan, das der EuGH zuvor aber der Verletzung des EU-Vertrags für schuldig gesprochen habe.
Brüssel könne sich zudem nicht darauf berufen, dass Deutschland keine Anstalten gemacht habe, die Maßgaben der umkämpften Richtlinie zur verdachtsunabhängigen Protokollierung von Nutzerspuren in nationales Recht zu gießen. So seien auch nach dem Urteil aus Karlsruhe zahlreiche Vorschriften in Kraft, die eine ganze Reihe von Artikeln der Direktive umsetzten. So müssten Telekommunikationsanbieter etwa Namen und Anschriften der Teilnehmer oder der registrierten Benutzer speichern. Dies schließe die Anwendung von E-Mails oder Internet-Telefonie mit ein. Es sei auch sichergestellt, dass diese Bestandsdaten in bestimmten Fällen an Strafverfolger weitergegeben werden dürften. Für die Sicherheit der Informationen und die Kontrolle der Vorschriften sei die Bundesnetzagentur zuständig.
Der angeführte Artikel 260 des EU-Vertrags stelle ferner hauptsächlich auf eine reine Mitteilungspflicht über Umsetzungsmaßnahmen ab, der die Bundesregierung in jedem Fall nachgekommen sei. Die umkämpfte Richtlinie sei überdies vor Inkrafttreten des neuen Vertrags von Lissabon und somit ohne die erweiterten Mitbestimmungsrechte des EU-Parlaments zustande gekommen. Die geforderten Sanktionen könnten bei einer solchen, vergleichsweise alten Rechtsvorgabe gar nicht mehr in Stellung gebracht werden.
Der Kommission war und ist bekannt, dass die Auflagen zur Vorratsdatenspeicherung "zu ungewöhnlich vielen Urteilen nationaler Verfassungsgerichte geführt hat", erläutert die Bundesregierung. Darin seien die Umsetzungsvorschriften nicht nur in der Bundesrepublik aufgehoben worden. Hierzulande habe Karlsruhe "sehr hohe Hürden" für eine Neugestaltung errichtet. In einem solchen Fall erscheine es unangemessen, "sogleich auf das schärfste Instrument zur Durchsetzung des Unionsrechts" zurückzugreifen.
Sollte der EuGH dem Hauptantrag aus Berlin nicht folgen, plädiert der Bund vorsorglich zumindest für eine deutliche Senkung des geforderten Zwangsgeldes. Die Kommission stütze ihren vorgeschlagenen hohen "Schwerefaktor" unter anderem darauf, dass deutschen Telekommunikationsanbietern ohne weitgehende Auflagen zur Protokollierung von Verbindungs- und Standortdaten Wettbewerbsvorteile entstünden, heißt es zur Begründung. In ihrem Bewertungsbericht von 2011 sei sie aber zum Schluss gekommen, dass die Richtlinie gerade nicht zu einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt geführt und so ihr Hauptziel verfehlt habe.
Auch das Argument, dass die unzureichende Datenspeicherung die innere Sicherheit Deutschlands und andere Mitgliedsstaaten gefährde, greife nicht. Der EuGH habe bereits festgestellt, dass die Richtlinie vor allem auf eine Harmonisierung der Marktbedingungen und nicht auf die Strafverfolgung ausgerichtet sei. Schließlich könne dem deutschen Gesetzgeber beim Ansetzen eines zusätzlichen Zeitfaktors nicht der Vorwurf gemacht werden, am Tag der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht schon ein neues Umsetzungsgesetz in Kraft gesetzt zu haben. Dies sei mit guter demokratischer Tradition nicht zu vereinbaren.
Für den Fall eines Falles drängt die Regierung auf eine Zahlungsverpflichtung bei weiterer Nichtumsetzung frühestens sechs Monate nach der Urteilsverkündung durch den EuGH, um doch noch einen Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ins parlamentarische Verfahren einbringen zu können. Parallel regt sie an, die Klage der Kommission zeitlich nach der ebenfalls anhängenden Beschwerde der Bürgerrechtsorganisation Digital Rights Ireland zu entscheiden, die der Irish High Court Luxemburg vorgelegt hat. Dabei geht es unter anderem um die Klärung der Frage, ob die Richtlinie gegen die EU-Grundrechtecharta und anderer Maßgaben wie die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt und damit ungültig ist. In diesem Fall wäre der Brüsseler Feldzug gegen Berlin gegenstandslos. (jk)