4W

Was war. Was wird.

Gibt es ein Menschenrecht auf Verpixelung? Nun, wer überall Aliens in schwarzen Opeln sieht... Es geht doch nichts über gesunde Paranoia, etwas Hysterie und eine gestandene Verschwörungstheorie. Und Hal wünscht sich glatt, dass der Sommer bald vorbei sei, so groß ist derzeit dessen Loch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 50 Kommentare lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Machen wir uns nichts vor: "All your base are belong to us!" Als Google im Jahre 2009 seinen Namen mit einer Untertasse verzierte, die ein o schluckt und Gogle hinterlässt, war dies mitnichten ein Hinweis auf das Jubiläum von Zero Wing. Nein, dieses Godzillagram war eine Nachricht von den Aliens an die Mit-Aliens in aller Welt, dass die Übernahme von Google geklappt hat. Seitdem sind dort nur noch Replikanten am Werk, die geschickt menschliche Zombies steuern, die ihrerseits mit Opeln (!) durch Deutschland fahren und Häuser filmen. Mit Restmenschen, die dagegen aufmucken, geht Google gar nicht zimperlich um: Ihnen werden die Gemüter gespalten und so laufen sie dann rum und verkünden mit ihrer gespaltenen Persönlichkeit, wie grundübel Google ist – mit vollem Namen vor dem trauten Heim fotografiert und im Zentralblatt der Bliens gedruckt. Irgendwo in der Welt lachen ein paar Nerds und singen ein gar seltsames Liedlein aus des Deutschen Poesiekästleins:

Komm lass dich nicht erweichen,
bleib hart an deinem Kern,
rutsch nicht in ihre Weichen,
treib dich nicht selbst dir fern.

Unter dem Pflaster
ja da liegt der Strand.
Komm reiß auch du
ein paar Steine aus dem Sand.

*** Im Bett zart, gegen Aliens hart, die nichts vom Strand wissen wollen, sondern nur von den Fassaden. Dabei braucht es den Strand mehr denn je, das weiß der deutsche Strandminister Jürgen Drews, der trällert, wo andere Politiker "handeln". Es braucht einen Strand, an den die Wellen besonders hoch schlagen. Wer die Statements dieser besonderen Alien-Art namens Politiker addiert, wird schnell zu dem Ergebniss gelangen, dass Berlin dank Street View bald wieder aussieht wie nach dem II. Weltkrieg, durch und durch geschwärzt dank vieler Wohnungen und dieser Sondersicherheitszonen, die beachtet werden müssen. Waschechte 2.0-Berliner (noch eine andere Sorte Aliens) legen bereits Widersprüche gegen Widersprüche ein und waschechte Rechtsanwälte freuen sich über eine ganz neue Sorte von Prozessen, wenn widersprechende Nachbarn einander das Menschenrecht auf Verpixelung der Häuser nehmen. Und Berlin bleibt auf der Stecke. Wie schrieb schon ein Vorfahr von Don Alphonso:
"Das Ende aller Poesie ist dieses grauenvolle Häusermeer. Wer nicht die Mittel hat, wenigstens ein Drittel des Jahres fern von dieser kalten Welt in irgend einem Waldwinkel oder Seebade sich aufzuhalten, dem versiegt alsbald der heilige Quell, sein Herz wird leer und roh wie diese Steinkolosse, diese ungeheueren, schwirrenden Geschäftsräder, er geht unter an Leib und Seele."

*** Da haben wir es in der norddeutschen Tiefebene einfach besser. Hyperboräische Weiten! Da mag die Kamera über dem Opel kreisen und knippsen, wie sie will, der freie Ausblick ist ihr sicher und Seebäder gibt es auch. Ab und an dürfte eine dieser 400 neuen 40.000er-Flügelstelle den Blick versperren, mit denen ein Schlachthof in Wietze gefüttert wird, der 130 Millionen "Hühner" im Jahr herstellen will. Aber das geschieht mit dem Segen unserer Mastputenbrüterexpertin, die derzeit ihre Kritik bebrütet. Vom Protest gegen die Aliens von Google, der einem Bericht zufolge "aus der norddeutschen Tiefebene mittlerweile quer durch die Republik schwappt" (PDF-Datei), ist hier wenig zu sehen. Was bei uns schwappt, ist die Jauche, die sich nach der Getreideernte auf die Stoppelfelder ergießt. Auch dafür gibt es ein gar poetisches Liedlein, von einem Medienrechtler (!) namens Robert Poerschke zum Stoppelmarkt gedichtet:

Seit meiner Jugend lieb ich sie
diese Stadt voll Energie
Erste Liebe, erstes Bier
mein ganzes Leben leb ich hier!

*** Es gibt Momente, da wünscht man sich einen Rutsch in die Weichteile und Lena zurück. Aber sie gehen vorüber. Ganz anders ist das mit den Verschwörungstheorien, die erklären, dass die Aliens die Sache mit Street View forcieren, um von der viel wichtigeren Debatte über die Netzneutralität abzulenken. Gestartet wurde die Debatte in Deutschland von den magentafarbigen T-Aliens, die bei jeder Gelegenheit der Kanzlerin die Breitbandinitiative vorstellen, um sie anschließend schnell wieder in den Giftschrank marktschädigender Gedanken einzuschließen. In dieser Woche wurde die Debatte in einer Weise aufgenommen, die man am besten so zusammenfasst. Oder, wenn ein paar klärende Gedanken gesucht werden, so findet man sie beim Isotopp oder selbst beim begnadeten Verschwörungstheoretiker Felix von Leitung.

*** Das wirklich Faszinierende an Verschwörungstheorien ist die Tatsache, dass sie funktionieren. Man muss nicht an Aliens glauben oder an kleine grüne Männchen, es geht auch ganz ohne, mit einer einfachen Presseerklärung von Boeing Network & Space Systems, einer der wichtigsten Software-Lieferanten für das Schattenministerium der Homeland Security. Wer danach noch Narus benutzt, hat einfach selber schuld. Ähnlich sieht es beim Hoflieferanten der National Security Agency aus, die ebenfalls einen satten Auftrag bekannt geben kann, nachdem sie Reveal Imaging übernehmen durfte, das nun als "Homeland Security Team" fungiert. Hier herrscht bei uns ein gewisser Nachholbedarf, doch die Geschichte mit der österreichischen Firma EAS Envimet zeigt, dass wir aufholen. Hinter dem Laden, der in Hamburg allerliebste Körperschmeichler liefern soll, steht L3 Communications, die unter anderem Streubomben herstellen. Und wo ich schon dabei bin: Dieser Konzern hat gerade den Drohnenhersteller Airborne Technologies gekauft, deren Geschäfte in Afghanistan prächtig laufen. Da hinten im Hindukusch wird unsere Freiheit sehr zerstreut verteidigt. Da sang mal jemand, der nur noch als Klingelton bekannt ist.

And he's fighting for Democracy,
He's fighting for the Reds,
He says it's for the peace of all.
He's the one who must decide,
Who's to live and who's to die,
And he never sees the writing on the wall.

*** Nun, an der Wand steht heutzutage nix. Der Feuerzauber des Menetekels ist längst digitalisiert und erscheint bei Wikileaks. Doch was wäre ein rechter Feuerzauber ohne seine Hohepriester. Wikileaks, einst angetreten, die Geheimisse der Mächtigen zu verkünden, hat seinen Kurs geändert und wird zur Late Night Show von Julian Assange. Da zählt nicht die Kritik von Menschenrechtlern; und die von Reporter ohne Grenzen wird damit gekontert, dass nur Journalisten beachtet werden, von denen ihre jeweiligen Geheimdienste eine Akte angelegt haben. Man könnte hier im Umkehrschluss folgern, wie das John Young von Cryptome macht: Wikileaks ist selbst ein Geheimdienst mit eigener Agenda. Von Wikileaks werden nur politisch genehme Themen besetzt, die mehrfach nachgefragten Dateien von Anat Kam fehlen. Am Ende steckt die Merkhav-Gruppe dahinter oder ein ähnlich seriöses Unternehmen. Julian Assange ist jedenfalls auf seinem Weg als Medienstar vorangekommen und wird Journalist, in Schweden, was wiederum Wikileaks den Schwedenschutz aktivieren soll, derweil Schweden die Wehrpflicht abgeschafft hat. Unterdessen rollen die nächsten 15.000 Dokumente an, apart begleitet von einem Artikel in unserem Intelligenzblatt, der unter ausdrücklicher Berufung auf den durch die "Veröffentlichung diverser amerikanischer und ISAF-Dokumente in Gang gekommene[n] öffentlichen Diskurs über gezielte Tötungen" eben solche gezielte Tötungen als gerechtfertigt ansieht. Natürlich ist das nur eine Privatmeinung eines ranghohen Bundeswehr-Juristen, aber nun mal los, Leute. Feuer frei, mit besonderem Dank an Wikileaks für die Vorarbeit. Damit diese Nerds die Klappe halten, nennen wir es Project Guttenberg.

So mancher wollt so manches haben
Was es für manchen gar nicht gab:
Er wollt sich schlau ein Schlupfloch graben
Und grub sich nur ein frühes Grab.
Schon manchen sah ich sich abjagen
In Eil nach einer Ruhestatt -
Liegt er dann drin, mag er sich fragen
Warum's ihm so geeilet hat

Was wird.

Es kommt der Tag, da wird sich wenden
das Blatt für uns, er ist nicht fern ...

Selten so gelacht, Herr Brecht, Frau von großer Courage und Herr zu Guttenberg. Vielleicht wird es einen Tag geben, an dem zum Abzug die gebauten Schulen und gebohrten Brunnen aufgelistet werden. "Woher kommen die Chinesen in dem Scheiß?" soll wutentbrannt ein hoher Offizier unserer Armee nach der Lektüre von Wikileaks gebrüllt haben. Vielleicht besinnt sich Wikileaks und macht da weiter, wo es wirklich nötig ist, ganz ohne Ego-Trip.

Doch halt, noch sind wir im tiefsten Sommerloch. Die Menschen planschen im Freibad und gehen mitunter in's Kino, wo Inception läuft. Auch der große Misthaufen ist wieder da, ein Muss für jeden Kulturpessimisten. Die Kanzlerin pflückt immer noch Unkraut in ihrem Garten und kommt dabei auf neue Gedanken. Der Bildungs-Chip unserer Arbeitsministerin kommt nicht, wie noch im letzten WWWW vermutet, aus Schweden, sondern aus Stuttgart. Wo er bislang zum Bezahlen im Freibad eingesetzt wird, was seine eigene Logik hat. Oracle schlachtet Sun nach allen Regeln der Kunst aus und wirft die Knochen weg, wie weiland die Affen weitab vom schwarzen Quader.

Geht es überhaupt weiter? Wie kommt man eigentlich aus dem verdammten Sommerloch heraus? Irgendwo muss es doch einen geheimen Trampelpfad geben, der uns nach Duisburg wieder atmen lässt. Vielleicht reicht dazu das Motto von Ken Thompson, dem Unix-Miterfinder, der dereinst schlicht dozierte: "When in doubt, use brute force." Dort, wo die geliebte Tiefebene ins Meer plätschert, beginnt das kaum minder liebliche Schleswig-Holstein, das als erstes Bundesland die Ortsbindung der KFZ-Kennzeichen abgeschafft hat. Ein Verfahren, das sicher bald in ganz Deutschland zum Standard wird und doofe Witze wie OF = ohne Führerschein endlich abschafft. In KI wie in "künstliche Intelligenz" startet jedenfalls eine Sommerakademie die einen Codex Digitalis verabschieden will.

Diese kleine Wochenschau kann übrigens ab sofort auch ohne erster einself bewertet werden. Ich akzeptiere das nette Rating-System von Idiot International. Salute, Barbaren. (jk)