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Was war. Was wird.

Im Kino läuft die Kulturgeschichte der Nerds, während sie in der Glotze den Tatort Internet säubern. Hal Faber geht lieber auf die oldschool Buchmesse und trifft da auch nur den öffentlichen Sascha Lobo.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In den Kinos ist die hochinteressante Kulturgeschichte der Nerds angelaufen, ein Film über das Gesichtsbuch und seinen Gründer, der ein ausgemachtes Arschloch sein soll. Es geht um Freunde und falsche Freunde, um viel Geld und erstaunlicherweise geht es nicht um Sascha Lobo, den Liebling Mitte, weil der private Sascha Lobo ist nicht auf Facebook. Der sammelt nur. So bleibt es dieser kleinen Wochenschau vorbehalten, die Details zu klären, die zu einem echten sozialen Netzwerk gehören. Da, wo die norddeutsche Tiefebene pardauz in die Ostsee fällt, liegt Kiel, die Heimat des bekannten unabhängigen Datenschutzzentrums. Wer nun annimmt, dass in Kiel die Daten besonders scharf geschützt werden, wird eine Kieler Sprotte auch für einen Singvogel halten. Die Arbeitsagentur Kiel hat Fragen für Hartz IV-Empfänger entwickelt, die ohne Computer ja auch so etwas wie ein soziales Netzwerk haben sollen und diese Fragen netterweise "Hausaufgaben" genannt. Wer diese Hausaufgaben nicht macht, dem können Leistungen gekürzt werden.

*** Lust auf Hausaufgaben? "Wen fragen Sie, wenn Sie Rat brauchen? Wenn es Ihnen gut/schlecht geht, was tun Sie, zu wem gehen Sie dann? Von wem können Sie sich eine größere Geldsumme borgen? Wo ist Ihr Lieblingsplatz in dieser Stadt? Was machen Sie dort? Wer wohnt in Ihrer Straße/im selben Haus? Wer kann Ihrem Sohn Nachhilfe geben? Kennen Sie jemanden, der eine Lese/Rechtschreibschwäche hat? Ja, über Facebook kann man sich trefflich lustig machen, doch was ist schon Schlimmes an diesem Sozialstriptease. Fordern, Fördern und gut Abhängen, das ist die Devise. Die Angaben bleiben bei der Behörde, aber werden nicht elektronisch gespeichert. Wie wäre es dann mit Lochkarten? Das neue Kieler Computermuseum mit seinen umfangreichen Beständen hat vielleicht den passenden Rechner. Welche Daten hier gedankenlos für ein "beschäftigungsorientiertes Fallmanagement" von Bürokraten eingesammelt werden, die für jeden Plausibilitätsverdacht Sanktionen aussprechen können, zeigt bestens, wie die ganze Technosphäre funktioniert, ganz ohne Techno. Mein Lieblingsplatz in Kiel ist übrigens die Seebar Düsternbrook mit tollem Sektfrühstück, falls das bei meiner nächsten Jobsuche hilft.

*** Gleich noch eine Frage hinterher: Zu welchem höheren Wesen haben Sie keinen Kontakt mehr, würden aber gerne wieder welchen haben? Die in der letzten Wochenschau angekündigte Rede unseres Bundespräsidenten-Benjamin war vielleicht rhetorisch grausam, hatte aber mit seinem von Wolfgang Schäuble übernommenen "Islam zu Deutschland" genügend Zunder für ein Stammtischfeuerchen. Für Religionsfreiheit, die frei von allen Eseln und Kamelen ganz auf Götter verzichten kann, ist es 2010 offenbar noch zu früh, wenn ein Präsident mit "G^tt schütze Deutschland" endet. Vielleicht ist Roger Williams das Vorbild für unseren neuen Präsidenten. Heute vor 375 Jahren wurde der streitbare Geistliche von der Kolonie in Massachusetts ausgestoßen und gründete seine eigene Kolonie namens Providence, heute Rhode Island. Er war einer der ersten amerikanischen Siedler, der sich mit den Indianern vom Stamme der Narangansett verstand und in ihrer Sprache Texte veröffentlichte und in "A Key Note into the language of America" Texte drucken ließ. Er war der erste Amerikaner, der Juden in seiner Kolonie akzeptierte, auch wenn er glaubte, dass am jüngsten Tag all die Juden, Indianer, Puritaner, Quäker, Muslime und viele andere zur Hölle fahren werden, nur seine Täufer nicht. Dabei gestattete Williams als Förderer der strikten Trennung von Staat und Kirche allen Menschen ein Leben außerhalb jeder Religion zu. Dass dieser Aspekt im Jahre 2010 betont werden muss, ist keinen Pow-Wow mehr wert, um ein Wort zu verwenden, das Williams in die amerikanische Sprache eingeführt hat.

*** Wie arm wäre die deutsche Sprache ohne deutsche Sprachpolizei: Aus der Vorratsdatenspeicherung ist die Daten-Mindestspeicherfrist geworden, mit der ausgeloggte Terrorfahnder unverzüglich eine brandgefährliche Sicherheitslücke schließen wollen können. Diese Lücke wurde zum Ende der Woche hin einigen ausgewählten Journalisten präsentiert, die dabei nichts Genaueres zur Lücke weitergeben durften, so brandgefährlich ist sie. Dennoch freute sich Innenminister de Maizière in der gedruckten Frankfurter Allgemeinen über die dreiteilige Panik: "Bis jetzt haben wir eine Schutzlücke behauptet, nun haben wir sie bewiesen." Der Beweis bleibt heiß: Von März bis September 2010 wollte das BKA bei rund 1200 Untersuchungen die Verkehrsdaten der Provider sehen, bekam diese jedoch nur 300 mal zu fassen. Macht rund 900 Fälle von "Terrorismus, Mord und Kinderpornografie", die allesamt noch so brisant sind, dass keine Details genannt werden können. Deutschland, ein Land am Abgrund? Da bewahre uns doch Frau zu Guttenberg davor, die tatkräftig den "Tatort Internet" säubert und RTL II gleich mit: Wo eigentlich bei "Grenzenlos geil" Deutschlands Sexsüchtige auspacken sollten, wurde zur Jagd auf Chat-Betrüger geblasen, die eine "mädchenhaft wirkende Schauspielerin" erwartete. Härteres soll folgen, denn angeblich lassen diese von RTL-II entdeckten Täter dem Sender keine Wahl. Was übrig bleibt, ist weniger eine Frage des Niveaus denn eine juristische Frage, wo die Grenzen dieser gespielten Recherche liegen. Ein Tauss, wer Böses dabei denkt. Ganz nebenbei ist auch noch nicht die Frage beantwortet, ob der Auftritt von Frau zu Guttenberg schon so etwas wie der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist, wie Militärblogger fragen.

*** Sieg, Sieg, Sieg: Triumphierend ist Steve Ballmer in dieser Woche in Paris eingeritten, wo Microsoft zusammen mit der Bibliothèque Nationale de France die Gallica via Bing präsentieren wird, wenn im Januar die französische Variante der Suchmaschine startet. Der harte Kampf, den der Chef der Nationalbibliothek gegen Google angekündigt hatte, endete mit einem lachenden Dritten. Die Digitalisierung der Bücher muss Microsoft nicht einmal bezahlen, dafür gibt es Geld aus der "Großen Staatsanleihe" von Präsident Sarkozy. Ballmer verwies auf seine Schweizer Wurzeln und gelobte Neutralität beim Präsentieren der Buchbestände. Buch, Bücher, was sind schon Bücher, wenn es Multitouch gibt und Lese-Apps für alle Lebenslagen? Der neue Literatur-Nobelpreisträger Vargas Llosa hat Angst vor diesen Dingen, doch betont er gleichzeitig, wie wichtig es sein kann, eine staatliche Zensur zu unterlaufen. Dies gilt auch für Liu Xiaobo, den Gewaltlosen, der den Vorzug von Kohl, dem Gewaltigen bekam. Dies gilt auch für das Geburtstagskind John Lennon, der in den USA zensiert werden sollte, nachdem er die Beatles über Jesus stellte. Was heißt schon Geburtstagskind bei einem toten Popstar, der sich als war baby bezeichnet hat?

Was wird.

Der Cyberangriff von Stuxnet hat tiefe Spuren hinterlassen. Die Europäische Union will Nichtangriffs-Pakte schließen, selbst Microsoft reagiert. Doch was ist das gegen einen veritablen Cyberwar, komplett mit dem Eintritt des Bündnisfalles, wenn Heere in Bewegung gesetzt werden? Am Donnerstag beraten die Außen- und Verteidigungsminister der NATO darüber, wie strategische Gefechtsköpfe auf Hacker ausgerichtet werden können. Erstmals in der Geschichte militärischer Bündnisse soll genau definiert werden, was eine Hackerattacke gegen einen Staat ist. Ist schon der einfache Versuch, in das Netzwerk einer Rüstungsfirma einzudringen, ein kriegerischer Vorfall, gegen den Drohnen und anderes eingesetzt werden können? Fragen über Fragen: der "Kriegsschauplatz Internet - schützt endlich unsere Rechner" bei RTL II mit Minister Guttenberg ist die naheliegende Antwort.

"Meine wichtigste Karte" kommt. Der Tag rückt näher, an dem sich die 24 Millionen Euro, die deutsche Behörden in die Umrüstung der Technik zur Ausgabe des elektronischen Personalausweises gesteckt haben, endlich rentieren sollen. Das Leuchtturmprojekt soll das Gewürge um die elektronische Gesundheitskarte vergessen machen. Die Beteiligten am Perso-Abenteuer verbreiten entweder Zuversicht oder schlicht Unfug, wenn ein Bildschirm-PINpad als hackersicher angepriesen wird. Ehe die Zweifel an der Einsetzbarkeit der qualifizierten elektronischen Signatur bei den verwendete Chips allzu laut werden, lädt das Bundesinnenministerium am Freitag zum großen Experten Pow-Wow ein. Die Stimmung muss einfach besser werden, wie der Namenswechsel vom Bürgerclient zur Ausweis-App, der Dynamik signalisieren soll und angeblich dem deutschen Sprachgefühl entgegen kommt. Es darf nicht soweit kommen wie bei den Designern, die beim Ausweis-Logo schon deutsche Autobahntoiletten assoziieren! Baut viele, viele Leuchttürme! (vbr)