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Was war. Was wird.

Für die Metaphysik haben wir das Internet, das Medium der Bewusstseinserweiterung oder des Brustumfangs. Hal Faber zeigt aber auch, warum es sich nach wie vor lohnt, die Tageszeitung zur Hand zu nehmen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es klingt immer etwas albern, wenn sich Journalisten auf Karl Kraus berufen und Karl Kraus zitieren, aber etwas Albernheit muss sein in diesen Tagen, in denen sich Deutschland auf die Ausgabe des neuen Personalausweises vorbereitet. Schließlich beschäftigt dieser Ausweis auch den netten Verlag in der norddeutschen Tiefebene, seine Redakteure, die Leser, die Forumstrolle und die RSS-Reader, kurzum die gesamte Öffentlichkeit dieser kleinen Wochenschau. "Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will", schrieb Karl Kraus und das passt durchaus zum aktuellen Thema. Das kleine Winterrätsel zum Personalausweis und seine Auflösung wurde im Bundesinnenministerium absolut nicht belustigt zur Kenntnis genommen. Hinter vorgehaltener Webmailer-Adresse wird da von einer Dreckskampagne gegen den Ausweis gesprochen, weil doch exakte Daten "kleinkrämerischer Kleinkrams" seien, gewissermaßen Nano-Mist mit Jahres-Partikelchen. Wen würde das schon interessieren, ob Gutenberg 1440 oder 1450 druckte.

*** Nun, manchmal ist die Genauigkeit im Detail nicht unwichtig, gerade im Journalismus. Sonst landet man schnell vor dem Bücherregal, in dem Robert Wilsons Lexikon der Verschwörungstheorien steht. Aktualisiert taucht dort gleich nach Corrydon Hammond und seiner Roboter bauenden Nazi-CIA-Gruppen, die in der Operation Zeta Sex- und Mordfilme im Internet zum Sturze der Zivilisation verbreiten, ein gewisser August Hanning auf. Glaubt man dem FoeBuD, so ist Hanning der Drahtzieher im Hintergrund, der den Personalausweis zu Nutzen und Frommen der Bundesdruckerei realisiert hat. Die liefert bekanntlich die Ausweise wie die nötige Behördenausstattung und hat obendrein eine Tochter namens D-Trust, die sich um die Zertifikate von Dienste-Anbietern kümmert. Ein Ring, sie zu binden und knechten, die Deutschen, die sich nach Sarrazin besser vermehren müssen!

*** Genau dieses Ziel steht hinter dem elektronischen Personalausweis, wenn man der Beweisführung des Münchener Kreises folgt, der einen Tagungsband zum Personalausweis veröffentlicht hat. Darin befindet sich ein Aufsatz, in dem ein Firmenvertreter von Init zunächst von den Möglichkeiten des elektronischen Personalausweises von Abu Dhabi schwärmt, an dem die Firma mit einem e-Government-Portal beteiligt war. Dann folgt diese Passage, in der über das Projekt KIndergeld Online extemporiert wird:

"Es gibt viele Anträge, die sehr hohe Transaktionsvolumen haben: Elterngeld wurde eben erwähnt, Kindergeld ist auch ein Thema. Daher möchten wir Kindergeld Online der BA durch den Einsatz des nPAs als medienbruchfreien Antrag umsetzen. Am schönsten wäre es, wenn das Geld in dem Augenblick, wo man den Antrag abgeschlossen hat, gleich im PayPal-Account landen würde. Das würde vielleicht auch wieder einen positiven Beitrag zum Bevölkerungswachstum leisten. Man ist dann ganz sicher, dass in dem Augenblick, wo das Kind zur Welt kommt, schon eine Stunde später das Geld zum Kinderbettkauf zur Verfügung steht."

*** Kindergeld nach PayPal, darauf muss man erst einmal kommen, da zappelt der neue BRD-Bürger noch heftiger, ganz ohne Bettchen. Wie die Aussicht, so schmackes an Kindergeld zu kommen, das Bevölkerungswachstum beflügeln soll, muss mir auch jemand erklären, vielleicht Gunnar Heinsohn, der gerade die ins Land einströmenden, von Seehofer herbeigerufenen Fachkräfte aufklärt. Zuguterletzt darf man verwundert konstatieren, dass nach den Vorstellungen dieser eGovernment-Spezialisten die von Jugendlichen geborenen Kinder Bettchenlos bleiben müssen: Die notwendige eID-Funktion des Personalausweises kann erst ab 18 Jahre freigeschaltet werden.

*** Was würde Karl Kraus zu all dem sagen? Als Österreicher vielleicht nichts, denn dort gibt es beides, einen Personalausweis und eine Identitätskarte. Zudem besaß Kraus nur einen Reisepass, den er kurz vor seinem Tode für eine Ausreise in die USA erweitern ließ. Doch dazu kam es nicht mehr. Das bringt mich auf den Geburtstag einer großen Frau, die mit 100 Jahren ihren Reisepass verlängerte, um noch einmal nach Tibet aufzubrechen: Ohne das Leben und die Werke von Alexandra David-Néel ist der Buddhismus eines William Burroughs, Jack Kerouacs oder eben eines Richard Geres nicht erklärbar. Ja, auch der Buddhismus gehört zweifelsfrei zu Deutschland, wie der Islam, die verschiedenen Jesus-Distributionen und das Judentum. Doch fern bleibe uns jeder Redner, der dem Staat eine religiöse Wurzel antackern will. Für geistige Gefühle und Vorstellungen darf er nicht zuständig sein und für die Metaphysik mit dem ganzen Bimmelbammel haben wir ja noch das Internet, das Medium der Bewusstseinserweiterung oder des Brustumfanges, je nachdem.

*** Damit sind wir wieder einmal bei so wichtigen Sendungen wie dem Tatort Internet angelangt, der im aktuellen Sonntazstreit kulminiert mit der wunderbar logischen Forderung nach einem neuen rechtlichen Rahmen für die Vorratsdatenspeicherung. So geht die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung in die nächste Runde, während darüber gerätselt werden darf, wie die fundierte Datenlage beim Kampf gegen die Sexualstraftäter aussieht. Hier offenbart ausgerechnet das Bundeskriminalamt einen nicht gerade erhellenden Hang zum Number-Dropping, wie es die Veröffentlichung zur Herbsttagung in dieser Woche zeigen. Einem Minus von 6,1 Prozent bei den Fällen vom sexuellen Missbrauch von Kindern im vorigen Jahr steht ein Plus von 300 Prozent bei der Verbreitung von Kinderpornographie im Internet in den vergangenen zehn Jahren gegenüber. Dieses schurkische Netz verstört nicht nur unsere Kinder.

*** Wieder einmal hat Wikileaks den Dokumentenhahn aufgedreht und mit tatkräftiger Unterstützung großer Medien Kriegsprotokolle aus dem Irak veröffentlicht. Erstmals wird dabei auf den Source Code verwiesen, was ebenso aufschlussreich ist wie die Spendenseite, auf der im Vergleich zu früher Moneybookers fehlt. Dort hat man, angeblich auf Druck von der USA und Australien, das Spendenkonto geschlossen. Kein Spendentöpfchen gibt es für die Süddeutsche Zeitung und den Artikel über die geistige Kessellage von Stuttgart 21. Da hat sich ein Journalist in das Stadtarchiv begeben und dokumentiert, wie klein das demokratische Zeitfensterchen war, in dem der ganzen Plan der Öffentlichkeit in einer "kurzfristig anberaumten Pressekonferenz" präsentiert wurde. Wie diese Art von einem gut geplanten "Planungs-Überfall" zu einem demokratischen Verfahren erklärt werden konnte, zeigt grell, was aus dem Slogan "Demokratie wagen" geworden ist. Damit auch solche Sachen an das Tageslicht kommen, sollte man hin und wieder zur Tageszeitung greifen, ob im Töpfchen fürs Papier bezahlt wird, für die Web- oder App-Basis, ist dabei eher nebensächlich. Denn sterben müssen sie alle.

Was wird.

Unter den Metropolen der norddeutschen Tiefebene ist Hannover zweifelsohne die schönste Stadt. Schade, das viele Leser dieser Wochenschau von ihren trüben Messeerfahrungen her keine Vorstellung vom prallen, pulsierenden Leben zwischen Eilenriede und Leine haben und viel lieber Bremen oder noch lieber Hamburg loben. Hamburg die heimliche Hauptstadt der Widersprüche, in der demnächst das neue Startup Google Tours seine Rundfahrten anbieten wird, trumpft weiter auf. Es geht auch individueller, denn Hamburg hat bekanntlich vor Hannover und Bremen den Zuschlag bekommen, als erste deutsche Großstadt mit Car2Go beglückt zu werden. Was in Ulm funzte, soll rund um die Alster explodieren. Natürlich regt sich auch hier der Widerspruch, vor allem bei den echten Carsharern. Was jetzt noch den Hamburgern zu ihrem Glück fehlt, könnte Google liefern. Das Vorbild in Berlin zeigt anschaulich den Nutzen, den Karten so haben.

Ach ja, der neue Personalausweis, da geht es weiter zügig hin zur Einführung, auch ohne Kinderbett per PayPal. Gleich am Montag will ein Bremer Institut mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung eine Studie zum Personalausweis veröffentlichen, die die hohe Kunst der vollständigen Induktion in der Informatik demonstriert. Besonders hübsch ist die Beschreibung bei Amazon: "Die Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen: Alle bereits eingeführten und analysierten Systeme erreichen trotz erheblicher Unterschiede in Inhalt und Form nicht das Ziel, durch eine sicherere Authentisierung die Sicherheitsbedenken der Nutzer bei Online-Transaktionen zu zerstreuen und damit deren Anteil am E-Government zu steigern. Dem neuen Personalausweis dürfte dies kaum besser gelingen." Nicht die kleinste Kinder-Überraschung dabei? Wie wird wohl unser Bevölkerungswachstum damit fertig? Fragen über Fragen, die vielleicht das CAST-Forum zum Personalausweis klären kann. (anw)