Was war. Was wird.
Einfache Erklärungen der Zusammenhänge sind allzuoft einfach die Unfähigkeit des Zusammenhang-Herstellenden, sein Weltbild in Frage zu stellen. Bis zur endgültigen Wahrheit müssen noch viele Tweets durch die Leitungen sausen, befürchtet Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Die Wege zum Kommunismus, die ich seit vergangener Woche betrachte, sind außerordentlich verzwickt. Ausgerechnet die taz druckte diese verzwickte Grafik ab, die ganz nebenbei entlarvte, wie die komischen Wege von der "Autorin" in den Text geschmuggelt wurde. Eine Petitesse? Eher nicht, wie die Wege zur Demokratie zeigen, auf denen sich Tunesien befindet. In zahllosen Zeitungsartikeln wurde das korrupte System der Familienclans Ben Ali und Trabelsi beschrieben, besonders ausführlich in der Le Monde diplomatique, die auch als taz-Beilage erscheint. Aber nein, nun soll es mal wieder wunderbarerweise eine von Wikileaks veröffentlichte US-Depesche sein, die den Umsturz auslöste. Und natürlich Twitter, die Lieblingslektüre aller Leit-Lemminge. Die simple Sicht der Dinge, das unkritische Lob für Web-Werkzeuge, könnte man als Doof 2.0 abhaken (zumal kluge Köpfe schon weit differenzierter analysierten), wenn es nicht so ernst wäre. Denn die "Beweise" wie dieser Tweet von Sarah Palin im Verein mit einer Fadenkreuz-verzierten Landkarte reichen dann plötzlich aus, eine Politikerin als "Mörderin" zu bezeichnen. Die Abbildung des vergifteten politischen Diskurses im Internet mit dem Amoklauf zu verbinden, muss sich nicht einmal darum scheren, ob der Mörder überhaupt im Netz surfte. Widdewitt, ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt, singt Pipilotta Digitalia Langstrumpf und die Follower der simplen Denke nehmen täglich zu.
*** Einer der Wege zum Kommunismus endete in der DDR unplanmäßig vor einer Mauer, die das Volk überwand, ganz ohne Twitter. In dieser Woche endete in Berlin die Ausstellung Weltwissen, die in ihrem "Computerraum" neben dem obligaten Zuse-Zierrat ein Stückchen vom Computernetz der DDR zeigte: Wer Kommunismus stante pede will, muss auch Kybernetik buchstabieren können. Ohne eine ausgefeilte Echtzeitkoppelung von Messergebnissen aus der Landwirtschaft und der Produktion ist eine Planwirtschaft unmöglich, weil sie mit fiktiven Zahlen und falschen Planvorgaben arbeitet. Wer lernen möchte, worum es ging, sollte sich den langen Eintrag "Kybernetik" im Philosophischen Wörterbuch der DDR zu Gemüte führen, den der führende DDR-Kybernetiker Georg Klaus verfasste. Der Mann, der öffentlich verkündete, dass mit der Kybernetik sich jeder Wahlbetrug beweisen lasse, wird in der ach so gefeierten Wikipedia als Philosoph und Schachspieler vorgestellt: Die neutrale Sicht der Dinge kastriert die Geschichte.
*** Neben Georg Klaus war es der britische Kybernetiker Stafford Beer, der in der Rechentechnik einen wunderbaren Weg zum Kommunismus sah. Für die sozialistische Regierung Chiles entwickelte er das Cybersyn-Netzwerk und die Steuersoftware Cyberstride. Dank der Kybernetik sollte sich der sozialistische Staat als Maschine inmitten der unwirtlichen kapitalistischen Umwelt dadurch bewahren, dass er effektiver als jede andere Maschine die Ökonomie steuert. Nach dem Putsch von General Pinochet fiel das Cybersyn-Netzwerk in die Hände des Militärs. Die Häscher nutzten es zur Fahndung nach Anhängern der demokratisch gewählten Regierung. In Deutschland beschäftigte sich ein Text der Roten Armee Fraktion mit dieser Lage:
"in den zusammenhang gehört natürlich die von der legalen linken überhaupt nicht begriffene tatsache ihrer bereits vollstreckten internierung im computer des bka, ihrer selbst samt bekannten- und freundeskreis, wobei schon klar ist: wenn das bka 394 waffensammler in einer koordinierten aktion schnappen kann, kann es natürlich auch die gesamte *legale* linke in *einer* aktion in die stadien abtransportieren."
In dieser Sichtweise war jedes Terminal genauso gefährlich wie ein "bulle", die "Kämpfer" werden angewiesen, wo immer es geht, die Verbindungen zu kappen, auf Schächte zu achten, in denen Kabel liegen, die durchgeschnitten werden müssen. Der Kampf gegen das Schweinesystem ist der Kampf gegen seine Leitungen. Ich erwähne das in dieser kleinen Wochenschau, damit die Absurdität klar wird, wenn unsere Nachbarn Zeitungsartikel veröffentlichen, in denen dem Chaos Computer Club Kontakte mit der RAF nachgesagt werden. Die gezielte Verunglimpfung allein mit einem Logo zu erklären, greift viel zu kurz. Erst lange nach der Gründung des Clubs, der dieses Jahr auch einen ehrenwerten Geburtstag feiern kann, beschäftigten sich die Ausläufer der RAF mit der Computertechnik, wenn nach viel Geschimpfe über Kapitalismus und den Chaos Computer Club gleichermaßen zum Schluss der Cyberweg zum Kommunismus propagiert wird:
"Mit dieses Form des Politikmachens ist ein neuer Typus der Guerilla durch den virtuellen Raum entstanden: die Cyber-Guerilla. In diesem Sinne wären die Zapatisten so etwas wie ein modernes politisches Virus, das durch den virtuellen Raum geistert und in die Köpfe von Männern und Frauen eindringt. Deshalb kann mit den Worten frei nach Marx geschlossen werden: Ein Gespenst geht um im virtuellen Raum, das Gespenst des Kommunismus."
*** Ob die Verfasser dieser Schriften wirklich Revolutionäre sind, überlasse ich dem Urteil der Wochenschau-Leser. Wie wäre es mit anderen Revolutionären? Mit Revolution: The First 2000 Years of Computing wurde in dieser Woche die Version 2.0 des wichtigsten Computermuseums der USA im Beisein von Steve Wozniak und Al Acorn eröffnet. Eine erster kleiner Rundgang der verschlungenen Wege dieser Revolution am Eröffnungstag ist amüsant, wenn eine weißhaarige Großmutter erzählt, wie sie einen Kryptocomputer bei der NSA programmierte oder besagter Al Acorn sein Pong erklärt. Pong? Pong kann natürlich bald in Berlin bestaunt werden, ganz ohne revolutionäres Drumherum, in der Karl-Marx-Allee.
*** Mit einer Ausnahme, als im Protest gegen ein schädliches Gerichtsurteil eine linkfreie Wochenschau erschien, lebt dieser kleine Rückblick von Verlinkungen. Viele Links gehen auf die Meldungen von heise online, die tagtäglich die Wege durch den Kapitalismus dokumentieren, doch gleich danach kommt die Wikipedia, nicht immer die beste Quelle, doch hinreichend gut für einen ersten Überblick, wenn nicht gerade ein Nachruf, eine Preisverleihung oder eine Beförderung ansteht: Der Tod von Maurice Jarre hat Journalisten gelehrt, in solchen Schnellschuss-Situationen die Hände von der Netz-Enzyklopädie zu lassen, weil Trolle nun einmal schneller sind. Mit der hübsch gewachsenen Wikipedia erinnern wir uns auch an die Nupedia, eine der größten nicht mehr funktionierenden Websites. Nupedia startete im März 2000 mit 115 kommissionierten Artikeln, die von ausgewiesenen Fachleuten geschrieben wurden. Nur zwei Artikel überlebten die lähmende Relevanzdiskussion des peer review von 80 Wissenschaftlern und konnten im November 2000 online gehen. Einer beschäftigte sich mit klassischer Musik, der andere mit der atonalen Musik von Arnold Schönberg. Mit der Wikipedia wurde das anders. Und für alle, die glauben, dass 2001 eine heile Welt war, habe ich einen Link auf diese kleine zeitgenössische Karte der Krisenherde in der Welt. Sie entstand vor 10 Jahren und bekam nach 9/11 ein kleines Update.
Was wird.
Solange nicht klar ist, welche Wege zum Kommunismus führen, muss man sich ja nicht gleich wie ein Derwisch in Manhattan aufführen. Auch wenn, immerhin, Fazil Say, dessen Musik nicht immer derwischhaftig ist, aber immer etwas Ekstatisches hat, ja selbst dafür bekannt ist, sich manchmal mit allem anzulegen, was ihm so in den Weg kommt. Aber ich schweife ab. Jedenfalls, was die Wege zu was auch immer angeht: Ich empfehle vielmehr für die anstehende Wochen die Wege nach Berlin und München. In Berlin findet die Omnicard statt, ihrer eigenen Beschreibung nach der ultimative Kongress der Kartencommunity. Drei Tage lang feiert diese Community die wundersamen Möglichkeiten der elektronischen Identifikation und fragt sich, wie es weitergeht mit dem neuen Personalausweis. Das fragen sich derzeit auch die Inhaber des neuen Ausweises, der derzeit noch ausgesprochen wenig kann. Die Keynote der Omnicard liefert die Mensch-Maschine Sascha Lobo ab, es wird wohl ein Vortrag werden, wie man mit seiner wichtigsten Karte im Kapitalismus kuscheln kann, wenn die queryologische Zukunft des Religionsstifters Edgar Codd anbricht. Die erste Frage in dieser Zukunft: Von wem stammt das bescheuerte Gerücht, dass sich das Internet schneller als andere Medien verbreitet?
Die Alternative zu Berlin ist immer München. Wer von Rot, Gelb, Grün, von Schwarz und Bleich die Nase voll hat, kann immer noch mit der CSU und Seehofer rechnen, der auf einem Kongress der Netzpolitik erzählt, wie "Mein Internet" aussieht. Mit dem Kongress will die Partei die Netzhoheit über den eBiertischen gewinnen. Zur Rolle des Juristen Dirk Heckmann wird es wohl gehören, die Versammlung darüber aufzuklären, dass das Zugangserschwernisgesetz eine Fehlkonstruktion ist und die Websperren nicht der Verfassung entsprechen. Vielleicht schafft die CSU aus netzpolitischer Sicht ein Update der Reality, um ein anderes Münchener Motto von einem Kongress aufzugreifen, auf dem Stephanie zu Guttenberg und die Somaly Mum Foundation gegen Sklaverei und Kinderausbeutung antreten – gegen die Websperren realistisch gesehen vollkommen sinnlos sind. (jk)