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Was war. Was wird.

Entsetzen. Und Wut. Hal Faber hofft, dass die Wut zur Besserung führt. Zu mehr Freiheit statt zu weniger. Ach ja. Those were the days, als das Wünschen noch geholfen hat.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Aus Norwegen kommen Nachrichten von einem Bombenattent und einem anschließenden Amoklauf in einem Jugendlager, die gar nicht in das Bild von diesem Land passen wollen. Bezogen auf die Einwohnerzahl hat das Land gerade mehr Tote zu beklagen als die USA nach dem 11. September 2001. Ein Norweger, der die Demokratie hasste und von der Großtat des Einzelnen schwärmte, soll nach ersten Erkenntnissen für den "christlichen" Terror verantwortlich sein. Hintermänner soll er nicht gehabt haben, jedoch Kontakte in die rechte Szene und einen Computer mit World of Warcraft. Erinnerungen an den christlich geprägten Bomber von Oklahoma werden wach, der die weiße Überlegenheit wiederherstellen wollte. Am Ende blieb damals eine verquere Debatte übrig, ob seine Hinrichtung im Internet gezeigt werden sollte. Eindrucksvoll ist das Bekenntnis zu mehr Demokratie und mehr Offenheit, das bei allem Kummer im Lande vom norwegischen Ministerpräsidenten vorgetragen wird. Eine Haltung, die sich wohltuend vom deutschen Gekreische von der Rückkehr des Terrors in Europa unterscheidet. Was dabei fehlt, ist die sonst gebetsmühlenhaft vorgetragene Formel vom "Homegrown Terrorism": Auch dieser Täter hat sich radikalisiert. Bemerkenswert auch die journalistischen Anmerkungen von einem ganz normalen Arbeitstag, in dem Leser im Namen der Meinungsfreiheit eine Meinung vertreten, die frei von Fakten ans dicke Brett geheftet wird, das man vor dem Kopf zu tragen pflegt.

*** Gegen Entsetzen wegen Oslo hilft vielleicht die Wut. Wut über das Versagen der Medien und des viel beschworenen Qualitätsjournalismus. Dieses Versagen, das leider schon allzu viel in der Gesellschaft verdorben hat. Wenn die Wut hilft, das Entsetzen zu überwinden und "sich wieder an die Werte zu erinnern, die sich auch in unserem Grundgesetz wiederfinden". Ach. Ja. Those were the days.

*** In dieser Atmosphäre kann man an Mark Anthony Stroman erinnern, der in dieser Woche in den USA hingerichtet wurde, weil er auf Menschen schoss, die er für Araber hielt. Stroman schoss auch auf den Moslem Rais Bhuiyan, er überlebte schwer gezeichnet und schlecht verarztet, weil er als Einwanderer keine ausreichende Krankenversicherung besaß. Dennoch setzte sich der Moslem mit World without hate für eine Begnadigung von Stroman ein, die unter Christen keine Chance hatte. Das alles war, in einer Juliwoche anno 2011. Deshalb verschiebt sich das angekündigte Sommerrätsel um eine Woche, weil das Byteraten zum Geburtstag von McLuhan oder dem demnächst anstehenden des IBM-PC nach diesem Terroranschlag nicht unbeschwert zu leisten ist und fertige Welterklärungen vom schwer verschuldeten "Einzeltäter" zu diesem Zeitpunkt nur von weiteren Brettern vor weiteren Köpfen künden. Auch so kann sich eines zum gänzlich anderen fügen, wie etwa dem Geburtstag von Theo van Gogh. Denkt mal drüber nach, sagte einer aus Oslo.

*** Worüber ich auch nachdenke: Bei aller Wut, bei allem Entsetzen, die Trauer ist groß über den Tod von Amy Winehouse. "Lieber mit Amy Winehouse untergehen als mit Joss Stone auf dem Lady-Di-Gedenkkonzert feiern", schrieb ich einmal, auch in der Hoffnung, dass Amy Winehouse das mit dem Untergehen doch vielleicht nicht so wörtlich nehmen wollte. Abseits aller Sprüche vom Club 27 bleibt, dass wir eine große Soul- und R&B-Sängerin verloren haben, gegen die sich all die Adeles und Duffys doch recht mickrig anhören (und, um noch eine Bemerkung über Joss Stone zu verlieren, gegen die andere sich erst langsam zur Essenz dieser Musik vorarbeiten).

*** Wir brauchen eine Europäische Suchmaschine, die unser spezifisch europäisches Digitalgedächtnis aufarbeitet und uns nicht dem würgenden Zugriff von Google überlässt, forderte FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Am besten eine, die das TÜV-Gütesiegel des Chaos Computer Clubs trägt, mit Stempel vom großen Felix von Leitner, dem CCC-Experten für Suchmaschinen. Für Schirrmacher ist die Suchmaschine ein virtueller Bibliotheksdirektor, der einzige Mensch, von dem man erfahren kann, was eigentlich das relevante Wissen der Jetztzeit ist. Wobei in der Tradition des deutschen Weltgeistes der Mensch nur ein Menschlein ist: "Vielleicht müssen wir uns Gott als diesen Bibliotheksdirektor vorstellen." Wer sich an die Suchmaschine Quaero erinnert, die die kleinen Götter Jacques Chirac und Gerhard Schröder in ihren Sonnenstaaten zu bauen beschlossen, an die horrenden Summen, die ohne jede Ausschreibung in das Projekt gesteckt wurden, bis das Projekt wie das Verbmobil verunfallte, dem bleibt nur der Schluss übrig: Wenn es einen Gott geben sollte, lebt er nicht von europäischen Fördermitteln unter der Aufsicht einer Exzellenzkomission. Die Bibel beginnt auch nicht mit der Erzählung, wie Gott einen Projektgrobplan für sieben Tage entwirft, dann Meilensteine definiert, sich an eine Machbarkeitsstudie setzt und dann erst einmal einen Abschlusskongress veranstaltet. Gibt es noch eine Chance für ein Leben ohne Google?

*** Der Appell an den CCC, als TÜV doch bitte dafür zu sorgen, dass wir nicht den Verstand verlieren, beruht auf einer Studie von Betsy Sparrow. Sie fand heraus, dass wir Informationen vergessen, bei denen wir sicher sind, dass wir sie im Internet finden, nicht unbedingt bei Google. Informationen, die eher nicht im Netz zu finden sind, speichert das Gehirn ab, heißt es in "Cognitive Consequences of Having Information at Our Fingertips" – was vom Titel her eine Hommage an Bill Gates ist. Seine Firma wusste als erste, was mit den Fingerspitzen los ist, wenn sie nicht in der Nase bohren, sondern Informationen abfragen, antatschen oder mit Gesten herumschieben. Was bleibt, ist die Frage, ob sich die fun new line of research von Sparrow verifizieren und interationalisieren lässt. "Some trivia questions" und "some trivia statements" warten auf die Wissenschaft. Daneben wartet die immer wieder auftauchende Frage der Singularität, auf die der Homo S@piens wartet. Wenn diese Trivia schon ausgelagert werden können, ist es dann nicht bald Zeit, den ganzen Rest in einer Cloud zu speichern? Dumm nur, dass die Leute vom Fach diese Geschichte viel verhaltener sehen als die Informatiker mit ihren Gattern.

*** In der Düsternis glimmt ein kleines Licht der Hoffnung. Es wird größer werden müssen, wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte einen tragenden Bestand haben soll. In Deutschland ist der Schutz der Whistleblower hoffnungslos unterentwickelt und bedarf dringend der Verbesserung. Noch haben wir eine Justizministerin, die an dieser Stellschraube drehen und einiges bewirken kann. Ob das fantastische Aus für den elektronischen Gehaltsnachweis, von anderen Ressorts bewirkt, da Anschub leisten kann, ist ungewiss. Bedenklich stimmt der Satz, dass die Infrastruktur des Verfahrens und das erworbene Know-how weiter in der Sozialversicherung genutzt werden soll, da hat die Initiative des Bielefelder FoeBuD recht. Dieses Schwerter zu Pflugscharen früherer Bürgerinitiativen kann bei ELENA nicht verfangen als schlichte Code-Reutilization. Das Mindeste wäre die Offenlegung des Codes. Ganz nebenbei: Das Eingeständnis, dass sich die digitale Signatur abseits von Nischensytemen bei den Notaren und der Abfallwirtschaft nicht bewährt hat, wird wie ein Vorschlaghammer wirken. Etwa bei dem Projekt elekrtonischer Personalausweis, bei dem eine solche Signatur für Bürger im Verbund mit einem Komfort-Lesegerät realisiert werden sollte, als Ansporn für Arbeitslose, sich schnell einen solchen Ausweis zu besorgen. Shredder, shredder.

*** Nein nein, das ist kein Sommerrätsel: Das ist die UMTS-Telefon-Vision von Nokia aus dem Jahre 1999, "Future Terminal Concepts" genannt. Begleitet von einem "Marktbericht", dass diese seifigen Dinger ab 2010 über 90 Prozent des Marktes ausmachen werden, natürlich gestellt von Nokia. Wieder und wieder wurden uns Journalisten die simplen, per Finger-Touch und -Wisch bedienbaren Nokia-Geräte vorgeführt. Nach und nach wollte man Telefone mit den entsprechenden Leistungen ausstatten. Heute zeigt sich, dass Apple und Google mit Android weitaus besser verstanden haben, was Nokia wollte, und die ganze Enchilada en Bloc servierten. Die Realität anno 2011? Nokia liegt in roten Zahlen am Boden. Ursprünglich stand hier das beliebte Journalistenwort "blutüberströmt".

Was wird.

Angeblich wird Wikileaks-Chef Julian Assange trotz laufender Verfahren auf der IFA 2011 in Berlin eine Keynote halten. Die Messe für Waschmaschinen und 3D-Fernseher findet vom 2. bis 7. September statt. Das ist nicht ohne Ironie, da in dieser Zeit vor einem Jahr die schwedische Staatsanwaltschaft beschloss, den zuvor abgeschlossenen Fall wieder aufzurollen. Daraufin wechselte Assange seinen Anwalt und tauchte unter, irgendwo in Schweden. Nach der vor einem englischen Gericht gegeben Aussage seines Anwaltes meldete sich Assange dann am 29. September aus Berlin und teilte diesem mit, dass auf der Jagd nach dem Verräter Daniel Domscheit-Berg all seine "Bags" verloren gegangen seien. Welcome back, Julian! (jk)