Was war. Was wird.
Ha! Ein deutscher Generalbundesanwalt, der die Expertise des Chaos Computer Club anerkennt? Ja zwickts mi doch einer, denkt Hal Faber. Das ist doch mal was Positives, trotz TTIP, Terrapower und der tĂĽrkischen Twittersperre.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Wo bleibt das Positive? Diese Frage kommt üblicherweise zum Schluss der kleinen Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene. Eben dann, wenn auf den berühmten Lichtstreif am Horizont hingewiesen wird, der irgendwo im Osten zu sehen ist. Doch, wie Erich Kästner 1930 dichtete, zimmern sie dort im Osten den Sarg. Das geht natürlich nicht ohne ordentliches Spielenlassen derMuskeln – und Aufstockung der Wehretats. Was positiv ist für die deutsche Rüstungswirtschaft, immerhin die Nummer drei in der Welt, nach den USA und Russland. Ja, das ist wirklich positiv, dass man nun nicht mehr Jammern muss, dass Deutschland dringend eine Drohne braucht, für was auch immer. Vielleicht für Päckchen nach drüben, auf die Krim. Darum schnell her mit dem TTIP-Freihandelsabkommen, zumal die Dinger immer billiger werden und jetzt nur noch 23.800 Dollar die Flugstunde kosten. Sigonella, here we come.
Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.
Es gibt genug Lieferanten von Windeln.
Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.
*** Ja Twitter zum Teufel, aber da war doch diese Woche was Positives! Ein äußerst irritierendes Knacken in der Matrix, irgenwo zwischen Kugelblitz und tödlicher Wünschelspießrute: Ein deutscher Generalbundesanwalt, der im Interview erklärt, dass er die Vorratsdatenspeicherung nur für schwere Straftaten haben will, der momentan keine Online-Durchsuchung braucht und keine Quellen-TKÜ auf der Basis von § 100a durchführen will. Ein Generalbundesanwalt, der gefragt wird, wo eigentlich das Problem mit dieser Trojanersoftware ist und darauf antwortet: "Der Chaos Computer Club hat 2011 auf Schwachstellen hingewiesen, die jetzt beseitigt werden." Ein deutscher Generalbundesanwalt, der die Expertise des Chaos Computer Clubs anerkennt. Ja zum Teufel, kann mich mal jemand zwicken?
*** Nach Angaben der Bundesregierung in der Beantwortung (PDF-Datei) einer Anfrage der Linksfraktion des deutschen Bundestages gibt es 36 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten in Amerika, die in den Bereich der inneren Sicherheit fallen. In der umfangreichen Liste dieser Abkommen findet sich kein Hinweis auf eine spezielle Zusammenarbeit zwischen dem BND und deutschen Nachrichtendiensten. Gäbe es das in dieser kleinen Wochenschauen vor kurzem diskutierte Geheimabkommen aus dem Jahre 2009 über eine weitreichende Ausleitung der Datenkommunikation, hätte darüber eine Notiz erfolgen müssen, dass Auflistungen über weitere Verträge im Geheimdienstkämmerlein des Bundestages einsehbar sind. Ein entsprechender Passus fehlt. Bis auf Weiteres mag man vermuten und verschwörungstheoretisieren, was es sonst noch gibt, doch die einzige belegbare Passage bildet diese Antwort des BND, in der es heißt: "Der BND arbeitet seit über 50 Jahren mit der NSA zusammen, insbesondere bei der Aufklärung der Lage in Krisengebieten, zum Schutz der dort stationierten deutschen Soldatinnen und Soldaten und zum Schutz und zur Rettung entführter deutscher Staatsangehöriger." Da bleibt das Positive! Und es wird noch besser!
*** Bekanntlich wurde vom Deutschen Bundestag "in seltener Einigkeit" ein NSA-Untersuchungsausschuss eingerichtet, diese unpositiven Fragen abzuklopfen, wie es um Deutschland und seine fünf Freunde bestellt ist, China diesmal inklusive. Der Untersuchungsauftrag des Ausschusses ist einigermaßen diffus, die Außenwirkung darum umso schönrednerischer, wenn die Ausschüssler "ein Zeichen setzen" sollen, dass eine solche anlasslose Überwachung "mit unserem Verständnis des Rechtsstaates" nicht vereinbar sind. Man darf gespannt sein. Zur Auswahl stehen ein Ausrufungs-, ein Frage- und das $-Zeichen.
*** Ausschussvorsitzender Clemens Binniger (CDU) will nicht nur die Amerikaner informieren, dass es ab jetzt ganz anders läuft, sondern auch die bundeseigenen Dienste Schnüffel, Späh und Schirm: "Wir müssen bei der Überwachung zu dem personenbezogenen Ansatz zurückkommen." Nicht anlasslos das ganze Netz mit dem Wissen vieler Unternehmen über Utah ausleiten, sondern mit der guten alten Personendatendauersammlung zum Ziel kommen, das ist das Gebot der Stunde auch für deutsche Dienste. Das Ganze nach dem Motto "Schuster, bleib beim guten alten Gössnern. Dann wären bei einem Sprengstoffanschlag auf einen Briefkasten von Edathy gleich kinderpornografische Hinweise aufgefallen.
Was wird.
Hach, ist das Positive auf der Strecke geblieben? Aber nicht doch. "Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her", ist je nach Migrationshintergrund ein sorgfältig abgeschriebener Spruch aus dem Poesiealbum oder ein Song des Rappers Bushido. Er passt aber auch zum Lebensmantra des bekennenden Katholiken Bill Gates, der sich im Interview mit Rolling Stone als unerschütterlicher Optimist präsentiert. Gates, der in Zukunft den neuen Microsoft-Chef Satya Nadella beraten soll, präsentiert sich dabei als echter Nerd: Ingenieursmäßig können wir die Welt zum Besseren drehen, auch wenn es hier und da etwa bei der Bekämpfung der Kinderlähmung in Pakistan Rückschläge gibt. Das Interview mit Gates hat für Aufsehen gesorgt, weil er Edward Snowden nicht als Held einordnen will, doch sein Mantra vom "alle Probleme sind lösbar" geht viel weiter, bis hin zur Unterstützung der sauberen Atomkraft mit der von ihm finanzierten Terrapower. Nur an einer Stelle blitzt Verzweiflung auf: das US-amerikanische Schul- und Gesundheitssystem, das selbst von der besten Regierung der Welt in einem Land ohne Korruption und mit einem funktionierenden Rechtssystem nicht geordnet werden kann. Hier spricht der Nerd Gates von einem Deadlock. Die Diskussion zum Interview zeigt, was Amerika in diesen Tagen bewegt: Es sind gläubige Christen, die den vermuteten "Glauben" der Atheisten angreifen und Gates samt seiner Stiftung auffordern, mit seinem Geld den Kreationismus zu unterstützten.
In der Türkei stehen Wahlen an. Aus Angst, diese Wahlen zu verlieren, versucht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan die beiden Medien unter Kontrolle zu bringen, die das Ausmaß der Korruption dokumentieren: Twitter und Youtube. Letzteres, weil dort die kompromittierenden Videos zu sehen sind, die bisher nur ein Bruchteil der Türken sehen konnte, weil der Pinguin die Sicht verstellte. Eine bemerkenswerte deutsche Reaktion findet sich im Interview mit Innenminister Thomas de Maizière. Er weicht vor der Frage aus, wie eine Million wahlberechtigte Mitbürger ihr Wahlrecht wahrnehmen können. Die türkische Regierung soll am Zug sein. Da bietet sich doch glatt dieses Internet an, das man so formidabel kontrollieren kann.
Apropos Wahlen, apropos Twitter. Über dieses schwer demokratische Medium der internationalen Meinungsbildung nicht nur in der deutschen Piratenpartei hat Wikileaks seine Anhänger gefragt, ob Julian Assange nicht bei der Europawahl antreten sollte. Der Assange zugeschriebene Twitter-Account Hazelpress unterstützte den Vorschlag und sprach sich für Sarah Harrison als Wahlkampf-Manager aus. Die wiederum lebt als selbstdeklarierte Terroristin in Berlin und schreibt an einem Buch über Wikileaks. Ähnlich geht es Laura Poitras, die in Berlin einen Dokumentarfilm über den Berliner Jacob Appelbaum und Julian Assange schneidet. Es lebt sich also gut in dieser Stadt Germaniens, die sich langsam aber stetig auf die ultimative Schlacht der Netizen vorbereitet, wenn das NewNormal gegen Into the Wild antritt. Die einen wollen Alltag, die anderen Drei-Wetter-Taft. Da bleibt das Positive glatt auf der Strecke.
Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den leeren Platz ĂĽberm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen,
gescheit und trotzdem tapfer zu sein.
(vbr)