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Was war. Was wird.

Das Vergangene ist nicht vergangen, es ist nur auf Vorrat gespeichert. Oder doch nicht, fragt sich Hal Faber? Ach, irgendwas wird hängenbleiben, wenn ein blutendes Herz auch nur zu schlechten Verschwörungstheorien taugt.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Da treffen wir uns schon wieder in diesem Internet, das immer dann zum rechtsfreien Raum deklariert wird, wenn einem das Netz nicht passt. Ein Edathy-Gesetz muss her, das Nacktaufaufnahmen von Kindern unter Strafe stellt, "die ohne sinnstiftenden Zusammenhang allein auf die sexuelle Errgung des Betrachters abzielen". Gespannt darf man sein, wo der sinnstiftende Zusammenhang und damit das Reich der Kunst beginnt, was Posing ist und wie eine heimliche Aufnahme erkennbar wird. Sitte und Anstand werden im Zeitalter der Selfies und Google-Gläser neu verhandelt. Viel Arbeit für einen Justizminister, der sich nach dem Urteil von Luxemburg auch noch um eine angemessene Mindestspeicherung kümmern muss. Geschichte wird gemacht, es geht zurück, könnte man mit den Fehlfarben trällern. Auch der Jugendschutzfilter ist wieder da. Wir bewegen uns zurück in die prüden Jahre, als der Bundesnachrichtendienst mit Mister Dynamit – morgen küsst euch der Tod den deutschen James-Bond-Kracher produzieren wollte. Der Flop soll jetzt als DVD ein Renner werden.

*** Ach, das gehört nicht zusammen? Vielleicht doch. Das Vergangene ist nicht vergangen, es ist nur auf Vorrat gespeichert. Da mag der Kommentator richtig liegen, wenn er die große Koalition als konservierendes Element der deutschen Politik sieht und von den Überwachungsgegnern ein Spiel auf Zeit fordert, das ein Fünkchen Hoffnung in eine neue, bessere Zeit weiterträgt. Aber ob der zur Not vorgeschlagene Kompromiss wirklich hinkommt, nur die IP-Adressen der Black Box Internet zum Speichern zu geben und auf die "deutlich heiklere Vorratsspeicherung der Telefon-, E-Mail- und Mobilfunkdaten" zu verzichten? Da dürften die Koalitionäre aus dem Lachen nicht mehr herauskommen und die schlapp Behüteten um die Kunstpalme tanzen. Wie dokumentierte es Peter Galison mit einem NSA-Zitat in dem Blatt, in dem das Bürgertum gegen die digitale Unterdrückung kämpft? Ein internes Papier aus dem Jahre 1998 bringt es auf den Punkt:

"In der Vergangenheit operierte die NSA in einer überwiegend analogen Welt von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, die über diskrete, feste Sprechkanäle liefen. Der Zugang zu diesen Verbindungen konnte meistens auf konventionellem Weg hergestellt werden. Inzwischen findet Kommunikation überwiegend digital statt, mit Milliarden von Bits, über Sprache, Daten und Multimedia. Sie wird dynamisch weitergeleitet, ist global vernetzt und stützt sich immer weniger auf traditionelle Kommunikationswege wie Mikrowelle oder Satelliten. Um ihren offensiven und defensiven Auftrag erfüllen zu können, muss die NSA ‚im Netz leben‘."

*** Der erwähnte Peter Galison beschäftigt sich in seinem Artikel mit der Bedeutung der Zensur bei den Traumdeutereien von Sigmund Freud, mit der Militärzensur – und mit der alltäglichen Selbstzensur, die alle Netzidentitäten beschäftigt wie beschädigt, wenn man sich nicht traut, nach einem Begriff wie Gentrifizierung zu googeln oder zu yandexen. Es könnte auffallen, es könnte die Schnüffler und Beobachter und Auswerter aufmerksam machen auf einen Bürger, der zwanghaft nichts zu verbergen haben darf. Der sich nichts traut, nichts sucht, und unauffällig geht im Vorfeld der künftigen Smart Cities, in denen alle Straßenlaternen mit Kameras und Sensoren ausgerüstet sind, die Bilder zur automatischen Gesichtserkennung in die Cloud schicken.

*** Was ist nur mit dem Aufstand der Bürger los, die sich selbst zensierend so unter der Digitalisierung ächzen? Die wie ein Enzensberger alle Handys wegwerfen? DIe im Netz nur noch ein Kontrollmedium sehen und meinen, sich dabei auf Sascha Lobo als Kronzeugen unter den Digital Natives berufen zu können? Die nicht die geringsten Probleme damit haben, digitale Folter einzusetzen? Diesem verängstigten Bürgertum fehlt das Subjekt, das im Zeitalter der Industrialisierung automatisch mit eben dieser Industrialisierung entstand: die Arbeiterbewegung. An diesem Wochenende findet das tazlab statt, auf dem die Cypherpunks der 90er als Vorläufer moderner Hacker gefeiert werden. Die Hacker selbst werden dabei umstandlos zu den neuen Revolutionären erklärt, die mittels Hacking, Leaking, Sabotage die neue Gesellschaft vorbereiten. Und hach, das Zentrum dieser revolutionären Avantgarde ist das Berlin, wo es das Netzwerk des Chaos Computer Clubs, die cBase und die vielen netzpolitischen Zirkel gibt, immer bereit, sich schützend vor die Hacker-Avantgarde zu stellen. Berlin, wo Jacob Appelbaum, Sarah Harrison und Laura Poitras in einer Art Exil leben – wobei Poitras zusammen mit Glenn Greenwald unbehelligt in die USA einreisen konnte, um den Polk Award entgegenzunehmen. Ob das ein Indiz für ein Umdenken ist, muss sich zeigen. Die Hacker-Avantgarde kann sich jedenfalls feiern lassen. Aber sonst so? In der Wochenend-taz, derzeit noch nicht online, gehen Hacker und Hartzler gemeinsam auf die Barrikaden des Widerstandes.

"DieAusgangsbasis für eine nächste, zivilgesellschaftliche Angriffswelle liegt also – eigentlich – nahe. Doch bislang ist weder die Strategie geklärt noch die Frage, wer sich dieser Avantgarde anschließen kann und darf. Diejenigen, die sich zu wehren wissen, betrifft die digitale Durchleuchtung schließlich am wenigsten. Für die Bezieherin sogenannter Hartz-IV-Leistungen, die sich vor dem Staat existenziell offenbaren muss, ist die informationelle Ausbeutung und Ernierdigung, die sie erfährt, relevanter. Ihr muss die Befreiung gelten."

*** Befreit vom Amt des NSA-Ausschussvorsitzenden hat sich Clemens Binninger. Ihm wurde die Aufgabe zu unsachlich, nicht weil es um Sachen und Dienste, sondern weil es um eine Person geht, die seine Partei behandelt, als habe sie eine besonders ansteckende Krankheit. Die Rede ist natürlich von Edward Snowden, der einen Preis, den Julia-und-Winston-Award erhielt und eine Laudatio bekam, die es in sich hatte, nicht nur wegen der ansteckenden Krankheit:

"Widerstand ist ein Wort, das man mit dem Aufbegehren gegen ein diktatorisches Regime verbindet. Widerstand ist aber auch in der Demokratie, auch im Rechtsstaat notwendig. Widerstand heißt in der Demokratie nur anders: Er heißt Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang oder auch einfach – Edward Snowden."

Der Preis sind 1 Million Aufkleber, die Asyl für Edward Snowden fordern. Spam-bereinigt sind bereits 100.000 Stück bestellt worden. Dabei ist die Frage strittig, ob ein Asyl in Deutschland für Snowden so viel besser ist als die zur Verlängerung anstehende Asylgewährung im Russland von Vladimir Putin. Auf einer Veranstaltung hielt man das für zu gefährlich und ansonsten wird die deutsche Staatsbürgerschaft als Sicherungsmaßnahme gefordert.

*** Was war da noch? Gestern quälte uns der Qualitätsjournalismus mit dem langweiligsten Tag des Jahrhunderts. Angeblich war der 11.4.1954 eine Wüste der Ereignislosigkeit, aber hey, man wird doch abstauben dürfen bei einer alten Meldung. Bei solch geballtem Unsinn mache ich das, was mein Philosophie-Professor lehrte: In den Spiegel gucken. Am 11.4.1954 sind in Vietnam von einem französischen Fallschirmjägerbatallion (130 Soldaten) ganze sieben Mann übriggeblieben, "aus denen kurz darauf – als sie in ein Minenfeld geraten – drei geworden sind; die laut in die Nacht hinausbrüllen." Im Osten nichts Neues.

Was wird.

Sollte man da nicht lieber das Wochenende bei all dem Ticker-Tamtam und den schlechten Verschwörungstheorien um Heartbleed zünftig nutzen, um das Jubiläum von Rock Around the Clock zu feiern? Oder wenigstens mal rumsuchen, was eine "postapokalyptische Sexfantasie" ist? Atombomben können nämlich segensreich sein:

Last night I was dreaming,
Dreamed about the H-bomb,
Well, the bomb went off,
And I was caught,
I was the only man underground.
There was a thirteen women,
And only one man in town.

Heimlich, still und leise, ganz ohne Knall und Atompilz, zieht in der nächsten Woche der Termin vorüber, an dem die Bundesregierung die letzte Chance hätte, den 10-Jahres-Vertrag mit der Firma Toll Collect zu kündigen. Toll Collect sammelt in Deutschland und bei den ausländischen LKW die Maut ein. Laut den immer noch schwer geheimen Mautverträgen kann der amtierende MautrechenmeisterMister 50 Mbit Alexander Dobrindt noch formlos bis 2018 verlängern. Dann aber ist Schluss. Spätestens dann, wenn nicht schon im Januar 2015, wird die daher die Bundesregierung Toll Collect in Eigenregie übernehmen und dafür den Partnern in diesem Konsortium die 7 Milliarden erlassen, die diese für den Fehlstart der LKW-Maut als Schadensersatzleistung zahlen müssten. Wo schon das Gesetz zur Antiterror-Datei heimlich, still und leise mit erweiterten Datennutzungen nachge"bessert" wird, dürfte auch das bisher recht strikte Mautgesetz den Erfordernissen des neuen Besitzers angepasst werden. (jk)