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Was war. Was wird. Von Bären mit geringem Verstand und unserem positiven Verhältnis zu den Daten

Mit den Faktoren ist einfach nicht zu spaßen. Sie umringen uns, sie prasseln auf uns nieder, auch auf Hal Faber.

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Sonne, Wolken, Sommer
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Winnie-der-Pu war ein Bär von geringem Verstand. Als Christopher Robin einmal von der Schule zurück in den Hundert-Morgen-Wald kam, berichtete er Pu von den Faktoren, die er in der Schule lernen musste. Pu stellte sich vor, wie er Seite an Seite mit Christopher losreitet, um gegen diese vermaleideten Faktoren zu kämpfen. Pu stellte sich die Sache so einfach vor wie unser digitaler Verkehrsminister Alexander das mit der Maut für Ausländer. Dobrindt lernt gerade, dass die Faktoren in Brüssel leben.

*** Obwohl Pu ein Bär von geringem Verstand war, sprach er ein tückisches Englisch tideludum, das nur Harry-der-Pooh-Rowohlt verstand und angemessen übersetzen konnte. Die Geschichte von der Rückkehr Christopher Robins war fester Bestandteil der Einschulung meiner Kinder und wurde jeweils am Tage davor vorgelesen, zur Warnung wie zur Aufmunterung gleichermaßen. In einem Land, das eine Rate-Show mit dümmlichen Fragen für Bildung hält und eine junge Frau zum Bildungsprekariat erklärt, ist das immer noch bitter nötig. Harry-der-Pooh las das Ende der Pu-Geschichten aberhundertdrölfzigfach vor bei seinen Auftritten, dieses "an jenem verzauberten Ort ganz oben in der Mitte des Waldes" …

"Wenn ich es vorlese, sage ich mir immer: Mal sehen, wer diesmal gewinnt. Ich oder das Kapitel. Wenn das Kapitel gewinnt, muss ich weinen; wenn ich gewinne, muss ich nicht weinen, und dadurch gewinnt wiederum das Kapitel."

*** Ja, mit den Faktoren ist einfach nicht zu spaßen. Sie umringen uns, sie prasseln auf uns nieder wie die very readyness high force der NATO mit ihren überaus einsatzbereiten Soldaten. Soldaten? In einer seiner Kolumnen schrieb Harry-der-Pooh über Soldaten und fensterte dort den verhängnisvollen Satz rein:

"Soldaten sind Mörder? Möglich. Das sind wir alle.

*** Seitdem war Harry-der-Pooh für die CDU und dem Alexander seine Maut-Partei ein Ferkel. Nicht das Ferkel von Pu, das ein sehr weises Tier war und erkannte, wie schwer es ist, tapfer zu sein, wenn man zu den kleinen Tieren gehört. Da geht der Kampf gegen die Faktoren schnell einmal nach hinten los. Nein, Harry-der-Pooh war für die große Politik ein richtiges Ferkel, eine ganz ungehörige Drecksau. Schuld daran war ein angehender Lehrer am Bavink-Gymnasium in Bielefeld (har, har, har). Der verteilte in einer Klasse einen Textausschnitt von Harry unter seinen Schülern, um anhand der Soldaten die ZEICHENSETZUNG zu üben (Caps Lock, für Alexander):

"Soldat A. erkennt früh dass er zu blöd für was anderes ist und wird Karriereoffizier obwohl er Klavier spielen kann und auch sonst das Zeug zu einem Oberkellner hat. Ohne ein einziges Mal Pulverdampf gerochen zu haben wird er Sprecher eines Verteidigungsminsters und späteren Bundeskanzlers macht auf meine (Steuerzahler) Kosten mehrere Segelscheine lässt sich weil seine bisherige Mausi ihm zu feldgrau erscheint scheiden muss weil wichtig ständig umherziehen zeigt in Den Haag Madrid Sandhurst und Washington dass er keine Fremdsprachen kann. Muss sich im Pentagon immer wieder zeigen lassen dass es fünf Ecken hat."

*** Dieser didaktische Übungstext aus Bielefeld (har) führte dazu, dass auf Antrag der CDU die Bildungsminsterin Gabriele Behler begründen musste, warum die "Verunglimpfung von Soldaten Lehrgegenstand" war und wie die unsägliche Indoktrination von Schülerinnen und Schülern abgestellt werden kann. Der Rest ist im NRW-Plenarprotokoll vom Mai 1996 nachlesbar oder eben im Buch "Pooh's Corner II" oder in der Zeit vom 21. Juni 1996, gleich neben dem Nachruf auf Ella Fitzgerald. Der Text von Harry-der-Pooh über die Soldaten endet übrigens so:

"Soldaten sind zum Sterben da. Sórum wird ein Schuh draus. Nun zeigt mal, was ihr könnt. Nun sterbt mal schön. Rekruten natürlich nicht, dass wir uns da nicht missverstehen. In Hamburg zum Beispiel, im alten HSV-Stadion, um die Ecke von dort, wo ihr mich einst gemustert habt: Sterbt, sterbt, sterbt. Da zahl ich dann auch Eintritt. Zum allerletzten Mal."

*** So ist Harry Rowohlt gestorben, und niemand sagt verfatz dich mehr. Mit ihm geht die Erinnerung an Franz Pierenkämper, einem Sitzredakteur beim Bochumer Volksblatt und Mitbegründer der USPD. Der Großvater von Harry-der-Pooh steht für eine ausgestorbene Sorte von Sozialdemokraten, wir haben ganz andere.

*** Wenn diese kleine Wochenschau längst auf einem hannöverschen Parkplatz in die treu sorgenden Hände eines Redakteurs gewandert ist, diskutieren sie bei der SPD im Konvent noch immer über die Vorratsdatenspeicherung und TTIP. Über 50 Wortmeldungen zum Thema VDS müssen abgearbeitet werden. Wer nicht bei diesen Sozialdemokraten ist, dem bietet sich das bemerkenswerte Schauspiel, wie eine Partei sich demütigen lässt von einem ahnungslosen katzenmörderischen Vorsitzenden, der unbedingt einen Überwachungsstaat will, um seine Wahlchancen zu erhöhen. Dazu werden Lügen aufgetischt über Firmen, die "sowieso speichern" und vom erfolgreichen Einsatz der Bevorratung in Österreich und der Schweiz. Für jemanden wie Otto Schily ist das verfassungswidrige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eine zu kurz geratene Selbstverständlichkeit wie die deutsche Rohstoffpartnerschaft mit Kasachstan.

*** Dem Vorsitzenden der SPD hat ein anderer Vorsitzende, der vom Bund deutscher Kriminalbeamten, einen langen Brief geschrieben, was neben Terrorattacken und schwersten Starftaten noch zur Suche in unser aller Daten berechtigt: Kindesmissbrauch, Betrug, Erpressung und Korruption müssten ebenso verfolgt werden, desgleichen politisch motivierte Kriminalität. Was noch nicht da ist, wird gleich ausgeweitet und das mit einer schicken, modernen Begründung:

"Die Digitalisierung unseres Alltags hat längst dazu geführt, dass Telekommunikationsdaten heute auch bei sogenannter Alltagskriminalität benötigt werden."

*** Wer so mit der Digitalisierung des Alltags argumentiert, wird bald beim kleinsten Online-Betrug an die Daten wollen und vor allem die Ausweitung auf E-Mail und De-Mail oder e-Post und sonstige Kommunikationspfade fordern. Sind ja nur in der Digitalisierung des Alltags entstandene Sachen und daher ganz was anderes als dieser Postverkehr mit seinem Briefgeheimnis.

*** Halthalthalt, alles falsch, bitte mal locker machen! Sollen wir nicht alle ein positives Verhältnis zu unseren Daten entwickeln, wie das die Bundeskanzlerin zum Tag der Familienunternehmen forderte? Kann es angehen, dass amerikanische Unternehmen bei der Digitalisierung die Wertschöpfung mit ihren Apps bestimmen? Muss es nicht eher so sein, das Familienunternehmen wie die Deutsche Telekom Geld bekommen für den Bandbreitenausbau? We are family!

Der Bundestag ist gehackt. Bundestagsdaten dringen durch die Mauer und lustige Mails über die Paritätische Doppelresidenz machen die Runde. Die Suche nach den Schuldigen beschäftigt nicht nur das BSI und die beauftragte Firma BFK-Consulting des Cyberwar-Experten Christoph Fischer, sondern auch die Linksfraktion. Die ließ ihre Fraktionsserver von dem auf Staatstrojaner spezialisierten Programmierer Claudio Guarnieri untersuchen und der fand Fernwartungscode und eine Kopieranweisung für Dateien. Die Interpretation einer von ihm gefundenen IP-Nummer als Fingerzeig zu russischen Tätern ist gewagt und wird bezweifelt. Ironischerweise hatten die Firmen FireEye und ihre Tochter Mandiant, die besagte IP-Nummer in einem Bericht den Russen zuordnen, die ganze Woche über einen eigenen Stand auf der Berliner FIRST-Konferenz, doch niemand von der Linkspartei ließ sich da sehen und die Zuordnung erklären. So eine Prüfung stört nur im parlamentarischen Gewusel im Computer-Chaos-Club. Bis zur Sommerpause wird es weitergehen mit den Zuweisungen und Vermutungen und dann kommt ja das Sommerloch, in dem Sammy der Kaiman zuschlägt und den Bundestags-Hacker verspeist, mit Haut, Haaren und dem Sourcecode von Mimikatz.

Wer ein positives Verhältnis zu seinen Daten hat, wird den Besuch des feministischen Vorbilds Queen Elizabeth in Deutschland begrüßen. Verschwörungstheoretiker und Fans von Geheimdienst-Aktionen werden sich an die von der Königin beim GCHQ veranlasste Abhöraktion erinnern, die unter dem Namen Squidgygate archiviert ist. Im Verlauf dieser Aktion legte die US-amerikanische NSA 1056 Seiten mit Abschriften von Telefonaten an, die Diana, Prinzessin von Wales geführt hat. Dieser Sachverhalt kam erst im Jahre 2008 ans Tageslicht: We are family, wohin man auch sieht.

Halthalthalt! Vielleicht lügt da der Telegraph wie gedruckt, bei aller Liebe zu den Daten. Genau dies hat die Sunday Times am vorigen Sonntag gemacht, als sie um jeden Preis den Whistleblower Edward Snowden diskreditieren wollte. Alle Beschuldigungen stellten sich als unwahr heraus, doch in ihrer Komposition sind sie ein Kunstwerk, das vor billigster Fälschung zu schützen eine wichtige Aufgabe von Anwälten ist. Wenn das man keine Schule macht. (anw)