"Who tf is U2": Von verärgerten Usern, einem verschenkten Album und Apples Marketingplänen
Bis zu 500 Millionen Apple-Kunden bekommen das neue Album der Rockband U2 kostenlos auf ihre Geräte. Doch viele wollen es offenbar gar nicht haben – und bei der Diskussion um das Gratis-Album rückt die Musik in den Hintergrund.
So läuft das heute: Die irische Band U2 bringt völlig überraschend ein neues Album heraus – und alle reden nicht über die Musik, sondern einen streitbaren Deal mit Apple. Denn so wie "Songs of Innocence" erreichte bisher noch kein Album die Hörer. Apple schenkte es nicht einfach nur einer halben Milliarde seiner Kunden, sondern platzierte es auch noch ungefragt in ihren Mediatheken, egal ob sie U2 überhaupt mögen oder nicht.
"Bin ich gehackt worden?"
Insbesondere jüngere Nutzer scheinen mit dem Geschenk wenig anfangen zu können. So versammelt ein eigenes Blog zahlreiche Twitter-Aussagen, in denen gefragt wird, wer oder was "dieses U2" denn sei und warum es sich plötzlich auf dem iPhone befinde. "Bin ich gehackt worden?", lautete eine der Aussagen und "who tf is U2" ließ sich viele Male lesen.
Dabei meinten es Apple und U2 nur gut. Bei vielen Kunden hinterließ die Zwangsbeglückung jedoch einen faden Beigeschmack. "Ein Geschenk, das an der Haustür liegt, ist eine Sache. Ein Geschenk, das man im Haus hinterlässt, nachdem man sich selbst Zutritt verschafft hat, etwas ganz anderes", fasste das amerikanische IT-Blog Recode die Stimmung zusammen. Das Internet wolle deshalb gern wissen, wo es das Apple-Präsent zurückgeben kann.
Direktvertrieb als (Alb)Traum
Ein solcher Direktvertrieb wirkt auf den ersten Blick wie ein Traum für jeden Musiker: Man muss nicht mehr um die Hörer werben, sie wachen morgens einfach mit dem Album auf ihren Geräten auf. Doch die Rock-Veteranen von U2 müssen jetzt auch feststellen, dass sie ihr jüngstes Werk untrennbar mit der Aktion und Apple verknüpft haben. Abgesehen davon, dass die Musik in den Hintergrund gerückt ist, färben die negativen Reaktionen vielleicht auch auf die Wahrnehmung der Songs ab?
"Songs of Innocence" klingt ein wenig so, als habe die Band sich nach über 30 Jahren im Geschäft viel Mühe gegeben, allen 500 Millionen Apple-Kunden zu gefallen. Für alte Fans gibt es die typischen Gitarren-Riffs, für jüngere Hörer wurden von angesagten Produzenten elektronische Klänge eingeflochten – und das alles in einem satten Hochglanz-Sound. Schon der erste Song "The Miracle (of Joey Ramone)", ein Tribut an den 2001 verstorbenen Leadsänger der Ramones, ist unverkennbar U2. Die raue Gitarre von Edge, darüber schwebt die Stimme von Sänger Bono. Druckvoll, aber auch so, dass es für einen Apple-Werbespot taugt. 100 Millionen US-Dollar soll der so erreichte Marketingeffekt für die Band allein wert sein.
"Sehr persönliches Album"
"Wir wollten ein sehr persönliches Album machen", sagte Bono dem Magazin Rolling Stone. Die Band habe zwei Jahre an den elf Songs gearbeitet und tief in die eigene Vergangenheit geblickt. So geht es in den Liedern um das Erwachsenwerden im von Konflikten zerrissenen Irland, einen Bombenanschlag in Dublin, und Bono setzt sich mit dem Tod seiner Mutter auseinander. Aber auf die rohe Energie eines Songs wie "Sunday Bloody Sunday" oder mitten ins Herz schneidende Balladen wie "One" oder "With or Without You" wartet man in dem neuen Album wieder einmal vergebens.
Trotz der gewaltigen Zahl von 500 Millionen potenzieller Hörer wird "Songs of Innocence" zunächst kein Chartstürmer sein: Bis Mitte Oktober wird das Album nur an Apple-Kunden verschenkt und soll deshalb nicht berücksichtigt werden. Damit andere Anbieter danach noch das neue U2-Werk anbieten, bekommen sie vom Musikkonzern Universal Music eine ausgebaute Version mit mehreren Live-Songs. Zugleich machen sich einige in der Musikbranche Sorgen, dass der Präzedenzfall den Wert von Musik in den Augen der Käufer schmälern könnte. "Ich bin mir nicht sicher, dass diese Gratis-Aktion gut für das Geschäft ist", sagte ein ranghoher Manager dem Musikfachblatt Billboard.
"7 Prozent des Planeten"
U2-Manager Guy Oseary gab sich optimistisch. Die Musik könne "von 7 Prozent des Planeten" nun auf Knopfdruck geteilt werden. Das sei doch "ein ziemlich großes Konzept". U2 und Apple arbeiteten zudem an einer "Langzeitpartnerschaft" mit dem für Inhalte zuständigen iTunes-Vizepräsidenten Robert Kondrk. Angedacht seien unter anderem interaktive Formate.
Laut Recode wurde "Songs of Innocence" bis Freitag zwei Millionen Mal heruntergeladen, was angesichts der Tatsache, dass viele Nutzer auf ihren iOS-Geräten einen automatischen Download für Neukäufe aktiviert haben, zu denen das von Apple in die Bibliothek gelegte U2-Album zählt, eher wenig erscheint. Zudem scheint das Geschenk auch den Abverkäufen älterer Platten der Iren zu helfen. So sind in den USA aktuell 17 weitere U2-Alben in den Top 100 von iTunes. [Update:] Laut Apple wurde auf "Songs of Innocence" mittlerweile von 33 Millionen Nutzern "zugegriffen".[/Update]
Die Mac & i-Redaktion hat einige Tipps zusammengetragen, wie man das U2-Album auf Mac, PC und iOS-Gerät wieder loswerden. Spoiler: Wirklich einfach ist das nicht. (mit Material von dpa) / (bsc)