Zu Guttenberg über Big Data: "Die NSA-Affäre hat tiefe Wunden geschlagen"
Microsoft lädt zum Thema "Big Data zwischen Chaos und Ordnungspolitik" - und Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg kritisiert Obama für den Umgang mit dem Geheimdienstskandal. Er plädiert für ein neues transatlantisches Modell ohne romantische Züge.
Drei Jahre nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister aufgrund der Plagiatsaffäre betrat Karl-Theodor zu Guttenberg am Mittwochabend erneut die Berliner Bühne. Microsoft hatte den Ex-CSU-Politiker, der mittlerweile in den USA lebt und vor Kurzem die Beratungs- und Investitionsfirma Spitzberg Partners in New York gegründet hat, zu einem Vortrag über "Big Data zwischen Chaos und Ordnungspolitik" in die Konzern-Repräsentanz Unter den Linden geladen.
"Stark verhagelt"
Noch bevor er inhaltlich loslegte, versicherte der gefallene Politstar, dass mit seinem Auftritt "keine Ambition verbunden ist, zügig nach Deutschland zurückzukehren". Er wolle auch in seiner alten Heimat zwar zu dem ein oder anderen Thema wieder etwas sagen, aber "ohne sich einzumischen". Noble Zurückhaltung hat der früher weniger verhalten auftretende Adlige inzwischen gelernt. Kokett ist er immer noch, bringt die Zuhörer dabei aber mit einem Schuss Selbstironie immer wieder auf seine Seite. Etwa wenn er seine Ansichten schon vorab als so naheliegend bezeichnet, dass er sie von niemanden habe abschreiben müssen.
Das transatlantische Verhältnis charakterisierte der "Statesman" beim Center for Strategic and International Studies als stark verhagelt. "Die NSA-Affäre hat tiefe Wunden geschlagen", erklärte zu Guttenberg. Der Skandal habe zu einer Form des Vertrauensverlusts auf beiden Seiten geführt, der weit über das hinausgehe, was etwa im Zuge des Irak-Kriegs an Verstimmungen zu verzeichnen gewesen sei. Mit dem Dialog zwischen Berlin und Washington hapere es so "an allen Ecken und Enden".
Hierzulande machte zu Guttenberg gerade in der jüngeren Generation einen "florierenden Anti-Amerikanismus" aus. Aber auch US-Präsident Barack Obama habe auf das "unsägliche Verhalten der NSA" falsch reagiert. So habe Obama zunächst zwei Monate abgewartet, bis die Medien das Abhören Handys von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) öffentlich gemacht hätten. Selbst danach habe er nicht selbst zum Telefonhörer gegriffen. Dies liege offenbar auch am Charakter Obamas. Dieser wirke zwar stark nach außen, "sobald eine Kamera auf ihn gerichtet ist". Die zwischenmenschliche Kommunikation falle ihm aber "unglaublich schwierig".
"Überarbeitete Standards"
Nun, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, plädiert zu Guttenberg dafür, ein neues "transatlantisches Modell" ohne die alte Romantik und Scheinheiligkeit zu entwickeln. Im Rahmen einer solchen Initiative müsse es darum gehen, überarbeitete Standards für Freiheit, Privatsphäre und Sicherheit zu setzen. Man könne in diesem Bereich nach der "9/11-Hysteria" der USA nicht mehr von geteilten Werten zwischen Europa und dem neuen Kontinent ausgehen. Besser sei es, sich der Unterschiede anzunehmen und den kleinsten gemeinsamen Nenner zu formulieren.
Deutschland könne in einem solchen Prozess der erneuten Annäherung durchaus eine führende Rolle spielen und seine Handschrift hinterlassen, betonte zu Guttenberg. Um die Geheimdienstpraktiken wieder "mit dem Recht" zu verbinden, gelte es, ein Netzwerk zu schmieden mit Akademikern, wobei er ausscheide, Unternehmern, Zivilgesellschaft, technischen und rechtlichen Experten sowie Medienprofis. Dieses müsse sich wiederum verbinden mit ähnlich denkenden Gruppen in den USA, Brasilien und anderen Nationen, die an nachhaltigen Reformen und dem Schlagen konstruktiver Brücken interessiert seien.
Erschwert wird ein solche Rück- und Neubesinnung laut zu Guttenberg durch eine "ganze Kaskade an Misstrauensmustern", denen er den längsten Teil seines einstündigen Vortrags widmet. Die am Anfang und am Ende aufblitzende Übersichtlichkeit der Verhältnisse wird damit gehörig durcheinander gerüttelt, teils gar komplett zerstört.
"Großer Topf"
Die NSA werde mit großen Konzernen wie Amazon, Google oder Microsoft vermischt, das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP "eben mal in Geiselhaft genommen" und "alles in einen großen Topf gerührt", monierte zu Guttenberg. Auch das "Element der Offenheit" des Internets werde von Europa aus in Frage gestellt durch Vorstöße für eine EU-Cloud oder ein Schengen-Routing, meint der bislang wenig erfolgreiche Beauftragte für Internetfreiheiten der EU-Kommission. Von einer solchen "Balkanisierung" des Netzes hält er nichts, tut die Befürworter solcher Ideen als "Daten-Separatisten" ab.
Die gravierendste Auswirkung des Internets und der Digitalisierung beschreibt zu Guttenberg in einem ungeheuerlichen Machtverlust der Politik, den er unter das Motto "von Government zu Googlement" fasst. Schier alle klassischen öffentlichen Tätigkeitsfelder würden in einer "disruptiven" Verschiebung der Einflusssphären "von großen Firmen" übernommen. Diese Entwicklung gehe weit über die "fortschreitende Hegemonialstellung" gewisser Unternehmen etwa bei Suchfunktionen hinaus.
Selbst in der Außenpolitik machten Manager wie der Google-Verwaltungschef Eric Schmidt bereits Merkel oder Außenminister Frank-Walter Steinmeier Konkurrenz. Und wer auf Facebook den 2,6 Milliarden Nutzern des Netzwerks gezielt eine Nachricht serviere, könne so "eine Regierung innerhalb einer Sekunde per Knopfdruck stürzen". Derlei Entwicklungen könnten Staaten allenfalls noch in internationaler Kooperation gestalten.
Auf eine Frage aus dem Publikum hin muss zu Guttenberg zum Schluss noch seine Einschätzung über den NSA-Whistleblower Edward Snowden kundtun. Dieser hat ihm zufolge eine "sehr notwendige Debatte zugelassen" und den "Finger in eine klaffend offene Wunden gelegt". Dabei habe er aber gegen das Recht seines Landes verstoßen, und müsse sich daher früher oder später "seinem Rechtsstaat" stellen: "Irgendwann wird er nach Hause wollen." (jk)