Zuse-Forscher revidieren Bild des Computerpioniers

Wie politisch ist Technik, wieweit stimmt das Bild des "unpolitischen Ingenieurs" Konrad Zuse? Im Rahmen der Jahrestagung Informatik 2010 beschäftigte sich der Arbeitskreis für Technikgeschichte mit neuen Forschungsergebnissen über den "bedeutendsten deutschen Computerpionier" Konrad Zuse.

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Von
  • Detlef Borchers

Neue Forschungen über Konrad Zuse rütteln nachhaltig am Bild des "unpolitischen Ingenieurs", der nur seine Maschinen bauen wollte. Im Rahmen der Jahrestagung Informatik 2010 der Gesellschaft für Informatik in Leipzig beschäftigte sich der Arbeitskreis für Technikgeschichte mit neuen Forschungsergebnissen über den "bedeutendsten deutschen Computerpionier". Während in der Berliner Ausstellung Weltwissen ein schicker Neubau der Z3 mit seinen blauen Relais und ein drahtig-hölzerner Rechnender Raum friedlich nebeneinander herwerkeln, wurden beide Maschinen in Leipzig in ihren finsteren historischen Kontext gebracht.

Zumindest nach Ansicht des Historikers Hans Dieter Hellige von der Universität Bremen sind Zuses Entwürfe über rechnende Räume Vorüberlegungen für effektive Kontroll- und Planungsnetze, mit denen die nationalsozialistische Wirtschafts- und Staatsverwaltung auf effizientes Funktionieren programmiert werden sollte. In Denkschriften wie die zur Einrichtung eines automatischen Ausweiskontrollsystems oder der rechnergestützten Gefolgschaftskontrolle habe sich Zuses Konzept des allgemeinen Rechnens eng an den Kontrollbedürfnissen des NS-Staates ausgerichtet.

Im Unterschied zu nationalsozialistischen Statistikern mit ihren Maschinen habe Zuse an einen universell programmierbaren Rechner gedacht und sei damit seiner Zeit weit voraus gewesen. Seine Überlegungen zum planenden Staat seien ein prägnantes Beispiel für die "Selbstmobilisierung" von Forschern und "unpolitischen Ingenieuren", die zunehmenden Erfolg im NS-Staat hatten. Helliges harte Revision des gängigen Zuse-Bildes endete mit der Einschätzung, dass Zuse das "Glück" hatte, dass der NS-Staat zusammenbrach, ehe seine Ideen auch nur ansatzweise umgesetzt werden konnten.

Konrad Zuse

(Bild: dpa)

Immerhin gelang es Zuse, als "direkter Nutznießer des Führernotprogramms der Endrüstung" (Hellige) im Berlin der Kriegsjahre eine Firma aufzubauen und diese fortlaufend zu vergrößern. Seine Sondermaschinen S1 und S2 berechneten Tragflächenprofile von Flügelbomben, seinen neuesten Computer Z4 konnte er per Sonderbefehl aus dem umkämpften Berlin evakuieren. Er sollte bei der Schmetterling-Flügelbombe zum Einsatz kommen, die im Konzentrationslager Mittelbau-Dora gefertigt werden sollte.

Was Konrad Zuse auf seiner Odyssee mit dem Rechner beim Zusammenbruch des Dritten Reiches erlebte, untersuchte der Historiker Ulf Hashagen vom Deutschen Museum München. Wie in einem früheren Vortrag machte Hashagen auf die Diskrepanz aufmerksam, die zwischen der Darstellung von Zuse in seiner Autobiographie und offiziellen Dokumenten liegt. Tatsächlich informierten sich Engländer wie Amerikaner gründlich über die Arbeitsweise von Zuses Z4, die repariert später nach Zürich geliefert wurde und so die Neugründung einer Firma ermöglichte. Die Alliierten kamen zu dem Schluss, dass Zuses Rechner nicht für die eigene Wirtschaft von Bedeutung waren. Umgekehrt verschätzte sich Zuse gründlich, was seine Erfindung anbelangte. Wie Hashagen in seinem Referat deutlich machte, glaubte Zuse lange Zeit, dass Rechner wie ENIAC Spezialmaschinen (PDF-Datei) waren und er alleine einen universellen Computer gebaut hatte.

Die amerikanische Perspektive verdeutlichte Paul Ceruzzi vom Smithsonian Institute, der seine Dissertation ĂĽber Zuse in den 1970er Jahren geschrieben hatte. Ceruzzi berichtete, dass er in den USA weniger ĂĽber Zuses Computer befragt wurde, stattdessen aber immer wieder gefragt wurde, ob Zuse ein Nationalsozialist gewesen sei. Als Reaktion auf seine Arbeit erhielt Ceruzzi einen langen Brief von Helmut Schreyer, in dem sich dieser bitterlich darĂĽber beklagte, dass seine Mitarbeit an der Z3 unterschlagen wurde.

Auch in der abschließenden Diskusssion über die neue Zuse-Forschung ging es um die historische Einordnung. Kann der nicht in die NSDAP eingetretene Konrad Zuse beispielsweise mit dem SS-Mann Wernher von Braun verglichen werden, der bei seinem Raketenbauprogramm Arbeitskräfte aus Konzentrationslagern einsetzte? Das revidierte Zuse-Bild eines selbstmobilisierten Computerpioniers wird weitere Forschung benötigen. So ist die Nähe des rechnenden Raums zu den Ordnungsplänen der Nationalsozialisten für die Zeit nach dem Krieg nicht unumstritten. Bisher wurde beispielsweise angenommen, dass Zuse seine Denkschrift zur Einrichtung eines neuen Systems der Gefolgschaftskontrolle nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft geschrieben hat. (vbr)