Microsoft und Novell kooperieren
Microsoft empfiehlt ab sofort den Suse Linux Enterprise Server. Die Interoperabilität zwischen Linux und Windows vor allem in virtualisierten Umgebungen soll verbessert werden. Hinzu kommt ein Schutz vor Patentansprüchen seitens Microsoft.
Dieser Tage wird der Linux-Markt ordentlich durchgeschüttelt. Nachdem Oracle letzte Woche angekündigt hatte, eine eigene Version von Red-Hat-Linux zu vertreiben, platzte am heutigen Freitag die nächste Bombe: Microsoft und Novell kooperieren – bis zum Jahr 2012 zumindest. Wie Holger Dyroff, Vizepräsident für Produktmanagement und Marketing Suse Linux bei Novell, im Gespräch mit heise open sagte, ging die Initiative zu der Kooperation von Novell aus. An den Details habe man monatelang gefeilt.
Microsoft und Novell wollen in einem gemeinsamen, noch einzurichtenden Labor an technischen Lösungen arbeiten, um die Interoperabilität zwischen dem Windows Server und Suse Linux Enterprise Server (SLES) zu verbessern – gegenseitige Virtualisierung, vereinheitlichtes Management, Active-Directory-Integration und Dokumentenaustausch via OpenDocument Format (ODF) und OpenXML stehen auf dem Programm. Die IT-Welt applaudiert: Von Intel-Chef Ottelini bis AMD-Chef Ruiz, von Dell-CTO Kevin Kettler bis Shai Agassi von SAP, von HP bis IBM, alle freuen sich über mehr Interoperabilität zwischen Linux und Windows, Erleichterungen beim Betrieb gemischter Umgebungen, mehr Freiheit bei der Wahl der Betriebssystemplattform und mehr Akzeptanz für offene Standards.
Zudem stellt das Abkommen zwischen Microsoft und Novell die Unternehmen und ihre Kunden von wechselseitigen Patentansprüchen frei – und nicht nur die: Auch die Open-Source-Community soll nun keine Angst vor Patentklagen durch Microsoft mehr haben müssen. Und um dem Ganzen das i-Tüpfelchen aufzusetzen: Microsoft wird Kunden zukünftig den SLES anbieten; Novell spricht in seiner Pressemitteilung von einer "Vielzahl gemeinsamer Marketingaktivitäten".
Verkauft und bewirbt Microsoft jetzt also eine Linux-Distribution? Ganz so weit geht man dann doch nicht: Microsoft-Chef Steve Ballmer betonte bei der Vorstellung der Kooperation, dass sein Unternehmen seinen Kunden nach wie Windows für alle Lebenslagen nahelegt. Aber: Microsoft wird ganz offiziell den SLES empfehlen, wenn ein Kunde partout Linux einsetzen will, und wird Novell bis zum Jahr 2012 70.000 SLES-Gutscheine pro Jahr abnehmen, um sie an Kunden weiterzugeben. Holger Dyroff bezeichnete gegenüber heise open die damit verbundene Stärkung der Wettbewerbsposition seines Unternehmens als wichtigsten Vorteil der Kooperation für Novell. Kein Wunder: Microsoft als Vertriebschannel für Suse Linux, das eröffnet neue Möglichkeiten.
Interoperabel
Und was hat Microsoft davon? Interoperabilität lautet das Schlagwort. Michael Groezinger, National Technology Officer Microsoft Deutschland, betonte im Gespräch mit heise open, dass die meisten Kunden in großen Unternehmen heterogene Umgebungen einsetzen – und das sollen sie am besten "auf unserer Plattform" tun. Im Zentrum der technischen Zusammenarbeit steht daher die Virtualisierung. Die beiden Unternehmen wollen sicherstellen, dass der SLES virtualisiert unter der kommenden Generation des Windows Server läuft (im Sommer hattte man bereits eine Kooperation mit XenSource angekündigt mit dem Ziel, dass Longhorn xenisierte Linux-Instanzen in virtuellen Maschinen ausführen kann). Eine Reihe wichtiger Entwickler im Xen-Projekt – der kommende Standard für Virtualisierung unter Linux – steht bei Novell auf der Gehaltsliste.
Die Vereinbarung mit Novell geht aber darüber hinaus. Wie Dyroff erklärte, zielt die Kooperation darauf ab, auch Windows paravirtualisiert in einer virtuellen Maschine (VM) unter Linux laufen zu lassen. Das erfordert Anpassungen an Windows, sorgt aber für eine bessere Performance als eine vollständige Virtualisierung à la Vmware, wo die Gastsysteme unmodifiziert laufen. Letztlich hätte der Kunde damit die Wahl, ob er als Hostsystem Windows Server oder SLES einsetzt: Unter beiden Wirtssystemen werden Windows wie Linux perfomant als Gast in einer VM laufen. Laut Dyroff soll der Novell Open Enterprise Server (OES) im nächsten Jahr sowohl Windows als auch Netware paravirtualisiert als Gastsystem ausführen können.
Bei der gegenseitigen Virtualisierung, ergänzte Andreas Hartl, Leiter Plattform Strategie bei Microsoft Deutschland, geht es auch um Fragen des geistigen Eigentums (intellectual property, kurz IP), die bei der Implementierung der Schnittstellen berührt sind. Die technische Zusammenarbeit, so Hartl, geht zudem über die gegenseitige Virtualisierung hinaus: Ein weiteres Entwicklungsziel ist die Verwaltung vor allem der virtuellen Systeme via Web Services. Laut Dyroff will Novell dazu auch seine Managementlösung Zenworks auf Web Services umstellen. In einem gemeinsamen offenen Brief an die Open-Source-Community heißt es, Novell werde Tools zur Verwaltung von Windows-VMs entwickeln und Microsoft Tools zur Verwaltung von Linux-VMs.
Ein dritter Punkt, so Hartl, bei dem Windows und SLES interoperabel werden sollen, ist Microsofts Active Directory. Ziel ist es, in einer Directory-Struktur Windows- und Linux-Maschinen abzubilden. Novells eigenes eDirectory soll sich leicht mit einem Active Directory verbinden lassen.
Ein weiterer Aspekt von Interoperabilität, der Anwender beim Einsatz gemischter Linux- und Windows-Umgebungen besonders schmerzt, sind inkompatible Dokumentenformate. Hier soll die Arbeit an einem Tool vorangetrieben werden, das zwischen dem Open Document Format (ODF) und Microsofts OpenXML-Format übersetzt. Dyroff hält auch entsprechende Import- und Exportfilter in MS Office und OpenOffice für möglich. Über den Dokumentenaustausch hinaus, so Dyroff, gebe es in Richtung Desktop allerdings keine Vereinbarungen oder auch nur Absichten.
Grundsätzlich, so Hartl gegenüber heise open, könne sich Microsoft durchaus vorstellen, auch mit anderen Anbietern ähnliche Abkommen in Sachen Interoperabilität zu schließen – sie müssten nur nachfragen. Konkrete Gespräche gebe es derzeit allerdings nicht. Red Hat zumindest hat schon abgewinkt: In seinem Kommentar zu dem Novell-Microsoft-Abkommen erklärt das Unternehmen, Interoperabilität sei eine Angelegenheit offener Standards und bedürfe keiner bilateraler Absprachen zwischen zwei Unternehmen.